Die Polizei gilt in rechtsstaatlichen Demokratien als zentrale Institution zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung. Ihr kommt dabei eine besondere Rolle zu: Als unmittelbarer Gewaltträger des Staates darf sie im Rahmen gesetzlicher Vorgaben physische Gewalt anwenden – ein Privileg, das in modernen Gesellschaften exklusiv staatlichen Akteuren vorbehalten ist. Gleichzeitig wird immer wieder kritisch diskutiert, inwiefern polizeiliche Gewaltanwendung rechtlich, moralisch und gesellschaftlich legitim ist. Der vorliegende Beitrag beleuchtet das Verhältnis von Polizei und Gewalt aus rechtsphilosophischer und demokratietheoretischer Perspektive.
Das Gewaltmonopol des Staates
Der Begriff des Gewaltmonopols geht maßgeblich auf Max Weber zurück. In seinem Vortrag „Politik als Beruf“ (1919) bezeichnet er den Staat als jenes Gemeinwesen, „welches innerhalb eines bestimmten Gebietes das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht“.
Diese Definition verweist auf zwei zentrale Aspekte: Erstens darf der Staat als einziger Akteur physische Gewalt systematisch einsetzen. Zweitens ist diese Gewalt nur dann legitim, wenn sie auf gesellschaftlicher Anerkennung beruht. Der moderne Staat hat im Zuge historischer Prozesse das Recht auf Gewaltanwendung monopolisiert, wodurch individuelle Selbstjustiz, Fehden und private Gewaltanwendung zurückgedrängt wurden. Die Monopolisierung von Gewalt gilt daher auch als zivilisatorischer Fortschritt (vgl. Elias 1939).
Die Ausübung staatlicher Gewalt ist jedoch an rechtliche und institutionelle Bedingungen gebunden. Sie unterliegt der Kontrolle durch unabhängige Gerichte, parlamentarische Gremien, eine kritische Öffentlichkeit sowie interne und externe Aufsichtsmechanismen. Ohne diese Kontrollinstanzen droht ein Rückfall in willkürliche oder autoritäre Gewaltverhältnisse.
Rechtsphilosophische Perspektiven
Die Idee staatlicher Gewalt lässt sich rechtsphilosophisch unterschiedlich begründen:
- Thomas Hobbes (1651) betont in „Leviathan“, dass der Mensch im Naturzustand einem allgegenwärtigen Gewaltpotenzial ausgesetzt sei („Krieg aller gegen alle“). Der Staat soll dieses Gewaltpotenzial durch die Konzentration von Macht eindämmen und Frieden gewährleisten. Gewalt wird hier als notwendiges Übel zur Sicherung der Ordnung legitimiert.
Leviathan – das Gewaltmonopol als Friedensgarant:
In seinem Werk Leviathan (1651) entwirft Thomas Hobbes ein Staatsmodell, das auf der Vorstellung vom „Naturzustand“ basiert: Ohne übergeordnete Ordnung herrscht ein permanenter „Krieg aller gegen alle“ (bellum omnium contra omnes).
Um diesem Zustand zu entkommen, schließen Menschen einen Gesellschaftsvertrag: Sie übertragen ihre Rechte auf eine übergeordnete Machtinstanz – den Leviathan. Dieser symbolische Staatskörper erhält das alleinige Recht zur Gewaltanwendung, um Frieden und Sicherheit zu gewährleisten.
Der Leviathan steht damit für ein frühes Modell des staatlichen Gewaltmonopols – autoritär gedacht, aber funktional begründet: Gewalt wird zentralisiert, um willkürliche Gewalt zu verhindern. In modernen Demokratien wurde dieser Gedanke weiterentwickelt – mit rechtsstaatlicher Begrenzung und demokratischer Kontrolle.
Die Idee des staatlichen Gewaltmonopols und des Souveräns zeigt sich eindrücklich in der Titelgrafik der Erstausgabe von Hobbes’ Leviathan. Der übergroße Staatskörper ist aus unzähligen kleinen Individuen zusammengesetzt, die ihre Rechte an eine zentrale Instanz abgetreten haben. In der rechten Hand hält der Leviathan den Bischofsstab (geistliche Macht), in der linken das Schwert (weltliche Macht). Über ihm steht das biblische Motto aus dem Buch Hiob: „Non est potestas Super Terram quae Comparetur ei.“ – „Keine Macht auf Erden ist mit ihm vergleichbar“ (Hiob 41, 24).
Die Illustration macht deutlich: Staatliche Gewalt ist nach Hobbes keine Willkür, sondern Ausdruck einer kollektiven Delegation – sichtbar, konzentriert und symbolisch aufgeladen. Der Souverän verkörpert das Gewaltmonopol in einer radikalen, aber logisch geschlossenen Weise.
- John Locke (1689) argumentiert liberal: Der Staat entsteht aus dem Bedürfnis nach Schutz individueller Freiheit und Eigentumsrechte. Gewalt darf nur im Rahmen gesetzlicher Verfahren ausgeübt werden. Hier steht die Begrenzung staatlicher Macht im Zentrum.
- Jean-Jacques Rousseau (1762) sieht den Staat als Ausdruck des Gemeinwillens. Gewalt, die im Namen des Volkes ausgeübt wird, gilt als legitim, solange sie den allgemeinen Willen verkörpert. Die Legitimität liegt hier im kollektiven Einverständnis.
In seiner Schrift Two Treatises of Government (1689) begründet John Locke die Entstehung des Staates mit dem Bedürfnis, individuelle Rechte auf Leben, Freiheit und Eigentum dauerhaft zu schützen. Im Naturzustand besitzt jeder Mensch diese Rechte – doch es fehlt eine neutrale Instanz, die sie sichert und durchsetzt.
Der Gesellschaftsvertrag entsteht bei Locke also nicht aus Angst, sondern aus dem rationalen Interesse, legitime Eigentumsverhältnisse abzusichern. Der Staat darf Gewalt nur im Rahmen klarer Gesetze und zur Verteidigung dieser Rechte ausüben.
Implikation: Eine Gesellschaft, in der kein Privateigentum existiert, könnte – in Lockes Logik – auf gesetzlich geregelte Gewalt verzichten. Das Gewaltmonopol wäre dann überflüssig, weil niemand etwas zu verlieren hätte, was geschützt werden müsste. Diese Überlegung wird in modernen Debatten um Eigentumskritik, Utopien oder anarchistische Gesellschaftsmodelle immer wieder aufgegriffen.
In seinem Werk Du contrat social (1762) entwickelt Jean-Jacques Rousseau die Vorstellung eines Gesellschaftsvertrags, in dem sich alle Individuen dem volonté générale – dem allgemeinen Willen – unterwerfen. Dieser Gemeinwille steht für das gemeinsame Wohl, nicht für die Summe individueller Interessen.
Staatliche Gewalt ist für Rousseau legitim, wenn sie Ausdruck des Gemeinwillens ist. Sie dient nicht der Repression, sondern der Selbstgesetzgebung des Volkes. Freiheit bedeutet in diesem Sinn nicht die Abwesenheit von Zwang, sondern die freiwillige Unterwerfung unter Gesetze, die man sich selbst gegeben hat.
Rousseaus Modell betont die demokratische Legitimität staatlicher Gewalt – zugleich birgt es die Gefahr, dass der Gemeinwille autoritär ausgelegt wird. Der Staat erscheint hier nicht als äußerer Zwang, sondern als kollektiver Ausdruck moralischer Selbstverpflichtung.
Die Idee des Gemeinwillens bei Rousseau hat weitreichende politische Folgen gezeitigt. Während er in Du contrat social (1762) eine demokratische Ordnung entwirft, in der das Volk sich selbst Gesetze gibt, griffen die Akteure der Französischen Revolution seine Gedanken auf – nicht selten in radikalisierter Form.
Besonders die jakobinische Phase unter Robespierre bezog sich direkt auf Rousseaus Vorstellung des Gemeinwillens. Der Staat sollte nicht mehr nur das Recht schützen, sondern Tugend durch Gesetz erzwingen. Gewalt – auch gegen innere Feinde – wurde als legitimer Ausdruck des Gemeinwillens gedeutet. Der berühmte Satz „Liberté, Égalité, Fraternité“ steht in dieser Tradition, ebenso wie das Ideal des citoyen als moralisch-politisches Subjekt.
Damit wurde Rousseaus Demokratietheorie zugleich zur Legitimationsquelle für revolutionäre Gewalt. Der Übergang von der Idee kollektiver Selbstgesetzgebung zur Tyrannei im Namen des Volkes markiert eine der tiefsten Ambivalenzen in der modernen politischen Philosophie.
Allen Positionen gemein ist die Einsicht, dass Gewalt nur unter spezifischen normativen Bedingungen legitim sein kann. In rechtsstaatlichen Demokratien werden diese Bedingungen durch die Verfassung, das Gewaltenteilungsprinzip und Menschenrechtsstandards operationalisiert.
Legale und legitime Gewalt
Im Diskurs über polizeiliche Gewaltanwendung ist es entscheidend, zwischen Legalität und Legitimität zu unterscheiden. Nicht jede gesetzlich erlaubte Gewaltanwendung wird auch gesellschaftlich als legitim empfunden – etwa bei der Räumung friedlicher Proteste. Umgekehrt kann gesetzeswidriges Verhalten, wie ziviler Ungehorsam oder Fluchthilfe, aus moralischer Sicht als legitim erscheinen.
Legitime Gewalt ist in der Regel:
- rechtlich normiert (z. B. durch Polizeigesetze und Grundrechte),
- zweckgebunden (z. B. zur Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung),
- verhältnismäßig (bezogen auf Mittel und Ziel),
- kontrolliert (z. B. durch Justiz, Politik, Öffentlichkeit).
Die öffentliche Akzeptanz von Gewaltanwendung hängt stark von diesen Kriterien ab. Insofern stellt die Frage nach Legitimität keine rein juristische, sondern auch eine gesellschaftspolitische und ethische Herausforderung dar.
In Demokratien muss sich jede Ausübung von Gewalt daran messen lassen, ob sie die Grundrechte achtet, durch rechtsstaatliche Verfahren legitimiert ist und der öffentlichen Rechenschaftspflicht unterliegt.
In Deutschland ist das staatliche Gewaltmonopol verfassungsrechtlich begrenzt und durch das Grundgesetz normativ gerahmt. Zwei zentrale Artikel definieren die Bedingungen, unter denen staatliche Gewalt legitim ausgeübt werden darf:
- Artikel 1 GG – Schutz der Menschenwürde:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
→ Gewalt darf nie entmenschlichen, sondern muss sich an der Menschenwürde orientieren. - Artikel 20 GG – Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip:
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“
→ Gewalt darf nur durch verfassungsmäßige Institutionen ausgeübt werden – und unterliegt der Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative.
Funktion der Gewaltenteilung:
Sie sorgt dafür, dass staatliche Gewalt weder willkürlich noch unkontrolliert ausgeübt werden kann. Die Polizei (Exekutive) unterliegt dabei der Gesetzgebung (Legislative) und der Kontrolle durch unabhängige Gerichte (Judikative).
Das staatliche Gewaltmonopol ist damit keine absolute Macht, sondern ein rechtlich gebundenes Instrument – eingebettet in die Ordnung eines freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Gemeinwesens.
Die Polizei als staatlicher Gewaltträger
Die Polizei ist die Institution, die das Gewaltmonopol im Alltag konkret zur Anwendung bringt. Sie wird tätig bei Personenkontrollen, Festnahmen, Durchsuchungen, Platzverweisen oder im Rahmen des Versammlungsrechts. Diese Aufgaben erfordern ein hohes Maß an rechtlicher, psychologischer und interkultureller Kompetenz.
Gleichzeitig steht die Polizei in einem Spannungsfeld zwischen Schutzfunktion und Machtposition. Einerseits wird sie als Garantin von Sicherheit wahrgenommen, andererseits können Maßnahmen als repressiv, diskriminierend oder übergriffig erlebt werden – insbesondere von marginalisierten Gruppen.
Polizeiliche Gewalt ist nicht auf physische Zwangsausübung beschränkt. Auch symbolische Gewalt (etwa durch Auftreten, Sprache, Uniform) und strukturelle Gewalt (z. B. durch rassistische Kontrollpraktiken) gehören zu ihrem Wirkungsspektrum. Diese Formen sind häufig schwerer zu erkennen, können aber ebenso gravierende soziale Folgen haben.
Herausforderungen und Kontrollfragen
Die Legitimität polizeilichen Handelns steht und fällt mit der Fähigkeit zur Selbstbegrenzung und Rechenschaft. Problematisch wird es dort, wo institutionelle Kontrollmechanismen nicht greifen, strukturelle Fehler toleriert werden oder Gewalt durch Korpsgeist relativiert wird (vgl. Cop Culture).
In der gesellschaftlichen Debatte stellt sich daher die Frage:
- Welche Maßnahmen sind geeignet, um Gewaltanwendung transparent und überprüfbar zu machen?
- Wie kann demokratische Kontrolle polizeilichen Handelns gestärkt werden?
- Welche Rolle spielen Ausbildung, Fehlerkultur und externe Aufsicht?
Vertrauen in die Polizei ist kein Selbstläufer – es basiert auf gelebter Rechtsstaatlichkeit, professionellem Verhalten und kontinuierlicher Rechenschaft.
Fazit
Gewalt ist ein notwendiges, aber gefährliches Werkzeug staatlicher Macht. Ihre Legitimation erfordert rechtliche Normierung, gesellschaftliche Akzeptanz und demokratische Kontrolle. Die Polizei verkörpert dieses Spannungsfeld wie kaum eine andere Institution: Sie schützt die Ordnung, steht aber auch selbst unter Beobachtung. Die Soziologie der Gewalt leistet einen wichtigen Beitrag zur Reflexion dieses ambivalenten Verhältnisses – jenseits polarisierter Debatten.
Literaturverzeichnis und weiterführende Informationen
- Grutzpalk, J. (2012, 14. Juni). Das Gewaltmonopol des Staates. Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.bpb.de/themen/innere-sicherheit/dossier-innere-sicherheit/125721/das-gewaltmonopol-des-staates/?p=all
- Herrnkind, M. & Scheerer, S. (Hrsg.) (2003). Die Polizei als Organisation mit Gewaltlizenz. Möglichkeiten und Grenzen der Kontrolle. Münster: LIT Verlag.
- Heitmeyer, W. & Schröttle, M. (Hrsg.) (2006). Gewalt. Beschreibungen, Analysen, Prävention. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
- Hobbes, T. (1651). Leviathan.
- Kugelmann, D. (Hrsg.) (2019). Polizei und Menschenrechte (Schriftenreihe Band 10451). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
- Locke, J. (1689). Two Treatises of Government.
- Rousseau, J.-J. (1762). Du contrat social.
- Weber, M. (1919). Politik als Beruf.