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Sozialwissenschaftliche Theorien

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ätiologisch

Broken Windows (Wilson & Kelling)

Broken Windows, zerbrochene Fensterscheiben, ist ein von James Q. Wilson und George L. Kelling geprägter Begriff. Den beiden Autoren zufolge muss die zerbrochene Fensterscheibe schnellstmöglich repariert werden, damit weitere Zerstörungen im Stadtteil und das Steigen der Kriminalitätsrate verhindert werden. Verwüstungen in Stadtgebieten stehen demnach in unabdingbarer Verknüpfung mit Kriminalität und bedingen diese. Ein scheinbar harmloses Phänomen kann somit gravierende Folgen mit sich bringen.

Hauptvertreter

George L. Kelling, James Q. Wilson

Theorie

Wilson & Kelling nahmen mit Ihren Ausführungen großen Einfluss auf die amerikanischen Policing-Strategien jener Zeit. In Ihren Studien legten sie ihr Augenmerk auf polizeiliche Fußstreifen als Methode des Policings. Auch wenn ihre Studien belegt haben, dass Fußstreifen keinerlei Einfluss auf die Kriminalitätsraten ausübten, haben sie demonstriert, dass die Stadtteilbewohner durch die Anwesenheit der Polizei ein größeres Sicherheitsgefühl aufgebaut haben. Um ihre Sichtweisen zu veranschaulichen entwickelten sie die sog. Broken-Windows-Theorie:

Die Autoren nehmen in der Broken Windows Theorie Bezug auf ein Experiment des Psychologen Philip Zimbardo, das dieser 1969 durchführte. Er stellte jeweils in der New Yorker Bronx und dem Stadtteil Palo Alto in Kalifornien ein Auto mit abmontierten Kennzeichen und geöffneter Motorhaube ab. Im Stadtteil Bronx begannen die Bewohner bereits nach Minuten, verwertbare Teile des Autos abzumontieren und anschließend den Wagen komplett zu zerstören. Im Gegensatz hierzu blieb der PKW in Palo Alto unangetatst. Ein besorgter Passant schloss lediglich die geöffnete Motorhaube. Erst als Zimbardo in das Experiment eingriff und den Wagen mit einem Vorschlaghammer selbst demolierte, wurde auch in Kalifornienen das Auto von den Anwohnern schließlich ausgeschlachtet. Zimbardo schloss darsu, dass der Vandalismus zum einen auf eine sichtbare Vorbeschädigung zurückzuführen ist und zum anderen mit der Erfahrung mit sozialer Unordnung/ Verwahrlosung im Stadtteil.

Wilson und Kelling greifen das Studienergebnis Zimbardos auf und schlussfolgern:

Untended property becomes fair game for people out for fun or plunder and even for people who ordinarily would not dream of doing such things and who probably consider themselves law-abiding. Because of the nature of community life in the Bronx—its anonymity, the frequency with which cars are abandoned and things are stolen or broken, the past experience of „no one caring“—vandalism begins much more quickly than it does in staid Palo Alto, where people have come to believe that private possessions are cared for, and that mischievous behavior is costly. But vandalism can occur anywhere once communal barriers—the sense of mutual regard and the obligations of civility—are lowered by actions that seem to signal that „no one cares.“
(Kelling & Wilson, 1982)

Anknüpfend an das Experiment von Zimbardo übertragen Wilson und Kelling mit dem Broken Windows Ansatz die Studienergebnisse auf Verfallserscheinungen im sozialen Raum. Als Auslöser für kriminelles Handeln sehen Wilson und Kelling den städtebaulichen Verfall („urban decay“) wie z.B. zerbrochene Fenster (Broken Windows). Die zerbrochenen Fenster stehen dabei als bildhaftes Symbol für heruntergekommene Teile der Stadt. Der sichtbare Verfall signalisiert den Bewohnern des Stadtteils eine mangelnde Kontrolle, die auch andere (unerwünschte) Besucher des Stadtteils registrieren. Die Anwesenheit dieser Personen und die Anzeichen physischer Verwahrlosung schüren eine Kriminalitätsfurcht bei den alteingesessenen Bewohnern, die aufgrund dieser Veränderungen jetzt beginnen, den Stadtteil zu verlassen. Der Wegzug der „anständigen Bürger“ sorgt für ein Absinken der sozialen Kontrolle, womit die Begehung von Straftaten objektiv erleichtert wird. Weitere Bewohner verlassen nun den Stadtteil und setzen einen Verstärkerkreislauf (betshend aus Anzeichen des Verfalls -> Kriminalitätsfurcht -> Abnahme der sozialen Kontrolle)  in Gang.

Als Anzeichen mangelnder formeller sowie informeller sozialer Kontrolle (auch Incivilities genannt) unterscheiden Wilson und Kelling zwischen:

  1. physical disorder (wie z.B. verfallende Gebäude, verlassene Grundstücke, beschmierte Wände, etc.) und
  2. social disorder (auf den Straßen streunende Gruppen, Obdachlose, aggressive Bettler, Drogenszene, etc.).

Schema der "Funktionsweise" der Broken Windows Theorie von Wilson und Kelling

Kriminalpolitische Implikation

Das New Yorker Polizeimodell „Zero Tolerance” von William Bratton basiert auf der Broken Windows Theorie. Sie hat die Unterbrechung des Verstärkerkreislaufes nach Shaw und McKay zum Inhalt. Bratton verdeutlicht seine Gedanken am Beispiel der New Yorker Polizei. Hiernach werden die kleinsten Vergehen wie z.B. öffentliches Urinieren, Drogenbesitz oder das Sprühen von Graffiti geahndet (qualify of life offenses). Dies soll zum Zweck der Prävention zeigen, dass auch größere Vergehen geahndet werden. In New York hatte diese Strategie in den 90ern einen großen Erfolg. Es wird auch von einem „problem oriented policing“ gesprochen. Kernelemente dieses waren:

  1. Eine strategisch neue Vorgehensweise
  2. Stärkung des Community Policings durch
    • Dezentralisierung der Kommandostrukturen ( Benennung von Leitern für einzelne Reviere, die nur für ihren Bezirk zuständig sind (Precinat Commanders)
    • Zusammenarbeit mit der Bevölkerung
  3. Erstellung eines Aktionsplans (Benennung von 6 Problembereichen und Zielen)
  4. Erstellung von Lageplänen von Kriminalität (Wann und wie war die Polizei im Einsatz)
  5. Detaillierte Statistikerstellung (z.B. Wie viele Patronen verschossen)
  6. Computer-Compstat-Meetings: Kontinuierliche Erfolgskontrolle der einzelnen Bezirke durch Computer gestützte Analysen
  7. Stärkung des Community Policings durch – Dezentralisierung der Kommandostrukturen – Zusammenarbeit mit Bürgern

Als kriminalpolitische Implikation des Zero-Tolerance-Modells wiederum lässt sich das „Crime Mapping“ sehen. Hierbei handelt es sich um eine sogenannte Kriminologische Regionalanalyse (KRA) – eine Dokumentation von Kriminalität in bestimmten Regionen.

Kritische Würdigung & Aktualitätsbezug

Die Broken Windows Theorie zählt zu den bekanntesten und meist zitierten Annahmen unter den kriminologischen Kriminalitätstheorien.  Ihren Erfolg verdankt die Theorie sicherlich der simplen unterstellten Kausalbeziehung von Ordnung im öffentlichen Raum auf der einen und Kriminalitätserscheinungen auf der anderen Seite.

Kritiker, wie die amerikanischen Kriminologen (Sampson & Raudenbush, 1999), kritisieren jedoch, dass eben jene unterstellte kausale Beziehung einer Fehlannahme unterliege. Der postulierte direkte Zusammenhang zwischen (Un-)Ordnung und Kriminalität sei vielmehr vermittelt durch das Maß der soziale Kohäsion einer Gemeinschaft und der geteilten Erwartung hinsichtlich der sozialen Kontrolle im Wohnumfeld.

Zur Kritik des Broken Window Ansatzes siehe entsprechende ausführliche Ausführungen in der Krimpedia

Literatur

Primärliteratur

  • Kelling, George L; Coles, Catherine M (1997): Fixing broken windows. Restoring order and reducing crime in our communities. New York: Simon & Schuster.
  • Kelling, George L.; Wilson, James Q. (1982): Broken Windows. The police and Neighborhood Safety. The Altlantic. [Volltext]

Sekundärliteratur

  • Hess, H. (2004): Broken Windows: Zur Diskussion um die Strategie des New York Police Department. Zeitschrift für die Gesamte Strafrechtswissenschaft. Band 116, Heft 1, Seiten 66–110.
  • Sampson, Robert J.; Raudenbush, Stephen W (1999): Systematic Social Observation of Public Spaces: A New Look at Disorder in Urban Neighborhoods. American Journal of Sociology. 105 (3): 603–651.
  • Schwind, H.-D. (2008): Kriminologie. Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen. S. 326-330.

Weiterführende Informationen

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[YouTube Video: Broken Windows Theory – Criminology]

You Tube Video: Applying the Broken Window Theory to Cars

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How A Theory Of Crime And Policing Was Born, And Went Terribly Wrong (NPR, 01.11.2016)

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  • Artikel zu „Broken Windows“ auf Criminologia.de

Kategorie: Kriminalitätstheorien Tags: 1982, ätiologisch, Broken Windows, Kontrolle, Makro, Rational Choice, Shaw und McKay, soziale Desorganisation, Soziologie, USA, Zero Tolerance Policing

Soziale Desorganisation (Shaw & McKay)

[auch genannt: Social Ecology, Ökologischer Ansatz, Kriminalökologie, Area Approach, kulturelle Transmission]

Soziale Raumtheorien gehen davon aus, dass in Gebieten mit bestimmten ökologischen Bedingungen wie z.B. hohe Arbeitslosenraten, Bevölkerungsbeweglichkeit oder materieller Verfall, die Kriminalitätsraten konstant sind. Solche Bedingungen verhindern soziale Organisation und Zusammenhalt im Stadtviertel und somit eine informelle soziale Kontrolle von Delinquenz. Wenn Kriminalität erst einmal verbreitet ist, werden kriminelle Normen und Werte, die mit normativen Werten konkurrieren, auf kulturellem Weg weitergegeben. Menschen werden somit in ihrem Handeln von einem bestimmten Umfeld beeinflusst.

Hauptvertreter

Clifford Shaw und Henry McKay

Theorie

Juvenile Delinquency and Urban Areas (1929 durch Clifford Shaw entwickelt, 1942 in Zusammenarbeit mit seinem Assistent Henry McKay veröffentlicht.)
Shaw hatte 1929 im Rahmen seiner Studie „Juvenile Delinquency and Urban Areas in Chicago die Wohnsitze von 60.000 männlichen Jugendlichen, die seitens der Stadt, durch Polizei oder Gerichte als Schulschwänzer (sogenannte „school truants“) oder Rechtsbrecher (sogenannte „offenders“) registriert worden waren, zum Untersuchungsgegenstand gemacht. Die Gegenden, in denen eine große Anzahl der zu untersuchenden jungen Männer lebten, nannte er „delinquency areas“.
Shaw führte einen weiteren Begriff, den der „natural areas“, Gebiete, die sich durch besondere geografische, soziale und kulturelle Merkmale von ihrer Umgebung abgrenzen, ein, Gebiete, die sich im Verlauf des natürlichen Städtewachstums gebildet haben.
Shaw’s Grundthese besagt, dass sich die ‚delinquency areas‘ weitgehend mit den ‚natural areas‘ decken, da sich jede beliebige Stadt in auf natürliche Art und Weise entstandene Gebiete einteilen ließe und dadurch bestimmte Strukturen entstünden, die sich zur Beschreibung und Messung von unterschiedlichen Faktoren eignen würden.
In den 30er Jahren hatte Shaw in Zusammenarbeit mit McKay seine Untersuchungen auf weitere nordamerikanische Städte, mit dem Erklärungsversuch, aus welchem Grund sich sozial abweichendes Verhalten in bestimmten Stadtteilen konzentriert, ausgedehnt (auch ökologischer Ansatz genannt). Demnach beeinflusst die ökologische Situation eines Wohngebietes (Infrastruktur, Qualität der Wohnungen, Versorgung mit Geschäften, etc.) die räumliche Verteilung kriminellen Verhaltens, in dem sie sowohl Einfluss auf die Täterpersönlichkeit als auch auf unterschiedliche Gelegenheiten zur Begehung von Straftaten hat.
Shaw und McKay bezogen sich in ihren Studien auf jugendliche Tatverdächtige und Delinquente im Alter von 16-18 Jahren. Durchgeführt in vier Städten Amerikas kamen die Forscher zu folgendem Ergebnis: In jeder dieser Städte gab es Gebiete mit besonders hohen Kriminalitätsraten. Diese ‚delinquency areas‘ charakterisierten sie folgendermaßen:

  1. höhere Delinquenz- und Schulschwänzerraten,
  2. z.T. hohe Säuglingssterblichkeit,
  3. hohe Anzahl an Tuberkuloseerkrankten,
  4. Überbevölkerung,
  5. hohe Anzahl an Familien, die von staatlicher Unterstützung leben,
  6. ungünstige Sozialstruktur, bedingt durch mangelnde Angebote zur Freizeitgestaltung, aber auch durch hohe Bevölkerungsmobilität.

Weiterführend kamen sie zu dem Ergebnis, dass die hohen Kriminalitätsraten unabhängig von der ethnischen Zusammensetzung der Bewohner anzusehen seien und äußerten die Annahme, dass der Raum selbst Kriminalität hervorbringe. Daraus könnte geschlossen werden, dass in diesen Gegenden bestimmte Faktoren über Jahrzehnte hinaus bestehen, die unabhängig von der Kultur und Wertvorstellung der jeweiligen Bewohner, Jugendliche immer wieder kriminell ‚infizieren‘.

Soziale Desorganisation – Zonenmodell
Zonenmodell (Shaw & McKay nach: Ernest Burgess)

Ein zweiter Erklärungsansatz wäre die Annahme, dass der Raum Kriminelle anzuziehen vermag. – Die Delinquenzgebiete lagen dort, wo die Stadtteile am verfallensten waren und aufgrund billiger Mieten vor allem von Armut betroffene Menschen anzogen. In diesen Wohngebieten kam es unter dem Druck sozial zersetzender Kräfte zu einer Auflösung gesellschaftlicher Bindungen und daher zu höherer Kriminalität (geringe soziale Kontrolle).
Bezüglich der unterschiedlichen sozialen Strukturen entstanden mehrere Ringe, die sich um die Innenstadt gruppierten. Entsprechend dieser Verteilung von innen nach außen nahmen auch die Kriminalitätszahlen ab.

Kriminalpolitische Implikation

Die Beobachtungen zur soziale Desorganisation durch Shaw & McKay dienen als Ausgangspunkt für kommunale Regionalanalysen und führten u.a. zur Broken Windows Theorie und zur Null-Toleranz-Strategie (Zero Tolerance Policing).
Die makrosoziologischen Beobachtungen der Theorie der sozialen Desorganisation mit ihrer Fokussierung auf Formen der informellen Kontrolle stehen zudem im Zusammenhang mit Kontrolltheorien. Schließlich lässt sich eine Verbindungslinie zwischen der postulierten Weitergabe kultureller Werten und der Theorie des differentiellen Lernens ziehen.

Kritische Würdigung & Aktualitätsbezug

Hauptkritikpunkt an der Theorie der sozialen Desorganisation als Erklärung für abweichendes Verhalten und Kriminalität lautet, dass die Verantwortung für individuelles Handeln von dem Einzelnen weg, hin zur Gesellschaft verlagert werden würde.

Literatur

Primärliteratur

  • Shaw, C.R., McKKay, H.D. (1969): Juvenile Delinquency and Urban Areas: A Study of Delinquency in Relation to Differential Characteristics of Local Communities in American Cities.

Sekundärliteratur

  • Vito, G./Maahs, J./Holmes, R. (2007): Criminology. Theory, Research, and
    Policy, S. 146-154.
  • Schwind, H.-D. (2008):Kriminologie. Eine praxisorientierte Einführung mit
    Beispielen. S. 140-143.
  • Lamnek, S. (2007): Theorien abweichenden Verhaltens I „klassische Ansätze“.
    S. 98, 311.
  • McLaughlin, E., Muncie, J. ( 2006): The Sage Dictionary of Criminology. Sage Publications, London: S.39

Weiterführende Informationen

  • siehe: Kriminalpolitik im Städtebau

Kategorie: Kriminalitätstheorien Tags: 1969, ätiologisch, Kontrolle, Makro, soziale Desorganisation, Soziologie, USA

Routine Activity Approach

Der Routine Activity Approach besagt, dass es für Kriminalität einen motivierten Täter und ein geeignetes Tatobjekt, bei gleichzeitiger Abwesenheit von ausreichendem Schutz für das Tatobjekt, geben muss.

Hauptvertreter

Lawrence E. Cohen, Marcus Felson, Ronald V. Clarke

Theorie

Nach Cohen und Felson sind Kriminalitätsraten abhängig von den sich ständig verändernden Lebensgewohnheiten und Verhaltensweisen der Bevölkerung. Je nach Zeit und Ort variieren drei für Cohen und Felson entscheidende Faktoren, die für das Eintreten oder Ausbleiben krimineller Verhaltensweisen verantwortlich sind (s. Schaubild).

Schaubild: Routine Activity Approach

Demnach ist die Voraussetzung für Kriminalität ein zu einer Straftat motivierter Täter, wobei diese Motivation ganz unterschiedlicher Natur sein kann.

Zudem muss es ein für den Täter geeignetes Tatobjekt (potenzielles Opfer, verlockender Gegenstand u.a.) geben. Dabei gibt es verschiedene Faktoren, die beeinflussen, ob das Objekt auch geeignet ist: Wert, Größe/Gewicht und Sichtbarkeit des Objektes sowie Zugang zum Objekt.

Zu guter Letzt ist das Fehlen informeller oder formeller Kontrolle als Schutz für das Tatobjekt zu nennen. Dabei kann es sich um personale, aber auch technische Kontrolle handeln: Polizeibeamte und Sicherheitsleute, Videoüberwachung und Alarmanlagen, aufmerksame Passanten, Nachbarn, Freunde und Personal.

Zusammenfassend beschreibt der Routine Activity Approach also Kriminalität als situatives Ereignis, welches weniger von der Persönlichkeit und Sozialisation des Täters als vielmehr und zum großen Teil von der Situation, in der sich der Täter befindet, abhängt.

Kriminalpolitische Implikationen

Kriminalpolitische Folge aus dem Rational Choice, aus den Deterrence Theories, vor allem aber aus dem Routine Activity Approach ist die so genannte Situational Crime Prevention.

Diese Form der Kriminalpolitik versucht nicht, durch Resozialisierung, Abschreckung oder Segregation des Täters zukünftige Kriminalität zu verhindern, sondern setzt ausschließlich auf eine Reduktion der kontextuellen und situativen Möglichkeiten für Kriminalität. Die kriminalpolitische Aufgabe besteht demnach darin, die Lebensumwelt so zu verändern, dass sich die Zahl der Tatgelegenheiten verringert.

In der ursprünglichen Konzeption der Situational Crime Prevention unterscheidet Ronald Clarke zwischen drei Techniken der situationalen Kriminalprävention, die sich unmittelbar auf die drei Elemente des Routine Activity Ansatzes beziehen:

  1. Erhöhung des Tataufwandes für den Täter, zum Beispiel durch die Kontrolle von Tatwerkzeugen oder die Ab- und Umlenkung des Täters weg vom Tatobjekt,
  2. Erhöhung des Risikos für den Täter, vor allem durch verschiedene Formen der Überwachung,
  3. Reduzierung des Nutzens aus der Tat für den Täter, zum Beispiel durch Beseitigung der Tatobjekte oder durch Minderung des Anreizes, die Tat zu begehen.

In einer späteren Erweiterung erweitern Clarke und Eck (2005) den Ansatz auf 25 Techniken der situativen Kriminalprävention. Neben den benannten theoretischen Fundierungen ist hier v.a. der Bezug zu Sykes‘ und Matzas Techniken der Neutralisierung auffällig (siehe 5. Spalte der Tabelle: Remove Excuses).

25 Techniken der situativen Kriminalprävention

Increase the effortIncrease the risksReduce the rewardsReduce provocationsRemove excuses
1. Target harden

  • Steering column locks and ignition immobilizers

  • Anti-robbery screens

  • Tamper-proof packaging

6. Extend guardianship

  • Go out in group at night

  • Leave signs of occupancy

  • Carry cell phone

11. Conceal targets

  • Off-street parking

  • Gender-neutral phone directories

  • Unmarked armoured trucks

16. Reduce frustrations and stress

  • Efficient lines

  • Polite service

  • Expanded seating

  • Soothing music/muted lighting

21. Set rules

  • Rental agreements

  • Harassment codes

  • Hotel registration

2. Control access to facilities

  • Entry phones access

  • Electronic card

7. Assist natural surveillance

  • Improved street lighting

  • Defensible space design

  • Support whistle-blowers

12. Remove targets

  • Removable car radio

  • Women's shelters

  • Pre-paid cards for pay phones

17. Avoid disputes

  • Separate seating for rival soccer fans

  • Reduce crowding in bars

  • Fixed cab fares

22. Post instructions

  • ‘No Parking’

  • ‘Private Property’

  • ‘Extinguish camp fires’

3. Screen exits

  • Ticket needed for exit

  • Export documents

  • Electronic merchandise tags

8. Reduce anonymity

  • Taxi-driver IDs

  • ‘How's my driving?’ deals

  • School uniforms

13. Identify property

  • Property marking

  • Vehicle licensing and parts marking

  • Cattle branding

Reduce temptation and arousal

  • Controls on violent pornography

  • Enforce good behaviour on soccer field

  • Prohibit racial slurs

23. Alert conscience

  • Roadside speed display boards

  • Signatures for customs declarations

  • `Shoplifting is stealing’

4. Deflect offenders

  • Street closures

  • Separate facilities for women

  • Disperse pubs

9. Use place managers

  • CCTV for double-deck buses

  • Two clerks for convenience stores

  • Reward vigilance

14. Disrupt markets

  • Monitor pawn shops

  • Controls on classified ads

  • Licensed street vendors

19. Neutralize peer pressure

  • ‘Idiots drink and drive’

  • ‘It's OK to say No’

  • Disperse trouble-makers at school

24. Assist compliance

  • Easy library checkout

  • Public lavatories

  • Litter receptacles

5. Control tools/weapons

  • ‘Smart’ guns

  • Restrict spray-paint sales to juveniles

  • Toughened beer glasses

10. Strengthen formal surveillance

  • Red-light cameras

  • Burglar alarms

  • Security guards

15. Deny benefits

  • Ink merchandise tags

  • Graffiti cleaning

  • Disabling stolen cell phones

20. Discourage imitation

  • Rapid repair of vandalism

  • V-chips in TVs

  • Censor details of modus operandi

25. Control drugs and alcohol

  • Breathalysers in bars

  • Server intervention programs

  • Alcohol-free events

(Clarke, 2005, S. 46f.)

Erwähnenswert bleibt noch die Forderung von Clarke, das Justizsystem nur im äußersten Falle zu benutzen. Im Vordergrund sollten natürliche Strategien zur situationalen Kriminalprävention stehen, sodass es für die Menschen in den einzelnen Situationen als bequem und sinnvoll erscheint, sich legal zu verhalten. Als Beispiel wäre hier eine angemessene Parkplatzpolitik mit dem Ziel, Falschparken zu verhindern, zu nennen.

Kritische Würdigung / Aktualitätsbezug

Der Routine Activity Approach ist zunächst als theoretische Grundlage für das erstmals nicht mehr rein täterorientierte Konzept der Situational Crime Prevention zu würdigen.

Deren Erfolge bezüglich Kriminalitätsverringerung sind in einer Vielzahl von Studien belegt worden. Jedoch hat die situative Kriminalitätsprävention mit dem Vorwurf der Deliktsverlagerung zu kämpfen, nach dem Kriminalität nicht sinkt, sondern lediglich auf zeitlicher, räumlicher, methodischer u.a. Dimension verlagert wird. Kritiker mahnen zudem an, dass durch die Konzentration auf situative Faktoren die eigentlichen Ursachen, die Kriminalität zugrunde liegen, unangetastet bleiben.

Darüber hinaus leidet der Routine Activity Approach unter den gleichen Schwächen wie die Rational Choice Theory und die Deterrence Theories, da auch dort von einem stets rational agierenden Menschen ausgegangen wird, der sich durch die benannten kriminalpräventiven Maßnahmen von seinem Tatentschluss abringen lässt. Dabei werden jedoch emotionale, psychische, soziale und entwicklungsbedingte Faktoren außer Acht gelassen werden.

Schließlich ließe sich argumentieren, dass die situative Kriminalpolitik für eine konservative Weltsicht steht, die durch den Ruf nach mehr Überwachung, Exklusion von gesellschaftlichen Randgruppen gekennzeichnet ist. Der „nüchterne“ Blick auf Kriminalität als Ergebnis einer unzureichenden Absicherung situativer Gefahren, lässt zudem keine empathische Haltung gegenüber den Kriminalitätsopfern zu (die nach dieser Sichtweise gescheiter sind, die Kriminalitätsgefahren ausreichen „gemanagt“ zu haben).

Primärliteratur

  • Clarke, R. V. (2005). Seven misconceptions of situational crime prevention. In: Tiiley, N. (Hrsg.). Handbook of Crime Prevention and Community Safety (S. 39-70).  London: Routledge. Online verfügbar unter: https://www.routledgehandbooks.com/doi/10.4324/9781843926146.ch3
  • Clarke, R. V. & Eck, J. E. (2005). Crime analysis for problem solvers: In 60 small steps. Washington DC: Office of Community Oriented Policing.
  • Clarke, R. V. (1995). Situational crime prevention. In: Michael Tonry (Hrsg.). Building a safer society: strategic approaches to crime prevention. Chicago: University of Chicago Press.
  • Clarke, R. V. (1993). Routine activity and rational choice. New Brunswick, NJ: Transaction Publishers.
  • Cohen, L. E.; Felson, M. (1979). Social change and crime rate trends: a routine activity approach. In: American Sociological Review, Vol.44, Nr.4, S.588-608.

Kategorie: Kriminalitätstheorien Tags: 1979, ätiologisch, Kontrolle, Makro, Rational Choice, Routine Activity Approach, Situation, Soziologie, USA

Rational Choice Theory

Die in der Kriminologie angewandte Version der Rational Choice Theory versteht Kriminalität als Folge individuellen rationalen Abwägens zwischen dem erwarteten Nutzen und den erwarteten Kosten der kriminellen Handlung.

Hauptvertreter

Gary S. Becker, Derek Cornish, Ronald Clarke, u.a.

Theorie

Die These des ‚Rational Choice’ ist eine ökonomisch geprägte, allgemeine Handlungstheorie. Generell besagt dieser sowohl wirtschaftswissenschaftliche als auch sozialwissenschaftliche Ansatz, dass jegliches Handeln durch Ziele, Wünsche und Bedürfnisse sowie durch den menschlichen Versuch, diese Ziele in höchstmöglichem Ausmaß zu realisieren, bedingt ist. Eine Handlung wird demnach umso wahrscheinlicher begangen, je größer der persönliche Nutzen ist und je geringer die persönlichen Kosten dieser Handlung sind.

Da es sich bei der Rational Choice Theory um eine allgemeine Handlungstheorie handelt, beschränken sich Nutzen und Kosten nicht nur auf finanzielle oder sonstige wirtschaftliche Faktoren, sondern können auch psychische oder soziale Nutzen und Kosten implizieren. Die eigenen Vor- und Nachteile einer Handlung werden kalkuliert und sich dementsprechend für oder gegen die Handlung entschieden.

In der Kriminologie wurde dieses allgemein handlungstheoretische, aber auch bereits in der klassischen Schule angedeutete Modell des ‚Rational Choice’ genutzt, um auch das Phänomen von Kriminalität beziehungsweise Abweichung zu erklären. Demnach erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer delinquenten Handlung, wenn der Nutzen einer solchen Tat schwerer wiegt als die Kosten – beispielsweise wenn die Beute größer eingeschätzt wird als die Gefahr, gefasst zu werden.

Nach Cornish und Clarke ist zudem zwischen genereller und situativer Entscheidung zu kriminellem Verhalten zu differenzieren. Menschen können somit aufgrund einer hohen persönlichen Nutzenerwartung prinzipiell bereit sein, Verbrechen zu begehen, unterliegen jedoch vor der konkreten Handlung noch situativen Faktoren (Polizeigegenwart, Größe der Beute, Ort des möglichen Verbrechens), unter denen sie sich für den eigentlichen kriminellen Akt nochmals aktiv entscheiden müssen.

Kriminalpolitische Implikationen

Da die Theorie der rationalen Wahlhandlung auf der Annahme individueller Nutzenmaximierung beruht, ergibt sich kriminalpolitisch die Aufgabe, konformes Verhalten so zu belohnen und gleichzeitig kriminelles Verhalten so zu bestrafen, dass ersteres für den Einzelnen rationaler wird. Die Gesellschaft, der Staat und ihr Strafrecht müssen also so konzipiert werden, dass es nutzenmaximierender, also rationaler für den Einzelnen ist, konformes Handeln dem kriminellen Handeln vorzuziehen.

Konkret bedeutet dies erstens, dass Anreize zu legalem Verhalten geschafft werden müssen. Zweitens müssen Zugänge zu kriminellem Handeln gesperrt werden, um quasi die Entscheidungssituation von vornherein auf konforme Alternativen zu beschränken. Drittens fordert die rational choice theory ein abschreckendes Strafrecht.

Sie ist somit eng mit den deterrence theories sowie – aufgrund der engen Verwandtschaft mit dem Routine Activity Approach – mit dem Konzept der Situational Crime Prevention verbunden.

Kritische Würdigung / Aktualitätsbezug:

Bei einem Theoriegebilde, welches die Rationalität der Menschen zum Gegenstand hat, fällt sicherlich als Erstes die mangelnde Erklärungskraft für emotionale, affektive und triebgesteuerte Handlungen ins Auge. Der klassische „Totschlag“ ist mit ‚rational choice’ wohl kaum zu begründen.

Sinnvoll erscheint die Theorie der rationalen Wahlhandlung jedoch vor allem im Bereich der Wirtschaftskriminalität, da sie die in Chefetagen und Managerkreisen durchgeführten Kosten-Nutzen-Kalkulationen zugunsten devianter Handlungen als den Ursprung krimineller Machenschaften darzustellen vermag.

Jedoch schafft es die rational choice theory in ihrer Grundkonzeption nicht, Kriminalität jenseits wirtschaftlicher Motive zu erklären, denn offensichtlich gibt es weit mehr als Geld, für das es sich (delinquent) zu handeln lohnt.

Der daraus folgende Versuch, den Nutzenbegriff um nicht-finanzielle, soziale und psychologische Aspekte zu erweitern, erscheint auf den ersten Blick zwar sinnvoll, endet schlussendlich jedoch in einer theoretischen Konzeption ohne jedweden Erklärungsgehalt. Geht man nämlich davon aus, dass für den einen Dinge nützlich sind, die für den anderen vielleicht unnütz oder sogar kostspielig sind, drängt sich bei der Suche nach Handlungsursachen die alles entscheidende Frage auf, was denn eigentlich für wen Kosten und Nutzen ist. Viel wichtiger erscheint es nun plötzlich, die situativen, persönlichen und Sozialisationsbedingungen zu untersuchen, welche für diese uneinheitlichen Definitionen von Kosten und Nutzen verantwortlich sind.

Eine rationale Kosten-Nutzen-Kalkulation bleibt inhaltlich leer, solange nicht klar ist, was denn überhaupt kalkuliert wird beziehungsweise solange man annimmt, jedes Individuum kalkuliere gänzlich verschiedene Nutzen- und Kostenfaktoren. Zu ergänzen ist hier zudem die Tatsache, dass die rational choice theory keinen Versuch unternimmt, Sozialnormen in ihren Ansatz zu integrieren. Diese können aber durchaus auch für die weit reichenden Unterschiede individueller Kosten- und Nutzenkalküle verantwortlich sein. Kurz: Die Theorie der rationalen Wahlhandlung liefert in ihrer erweiterten Fassung keine Erklärung von Kriminalität, sondern beschreibt lediglich einen Mechanismus, dessen Elemente jedoch nicht fest bestimmbar sind.

Des Weiteren muss kritisiert werden, dass der Ansatz des ‚rational choice’ lediglich das Vorhandensein eines rational motivierten Täters berücksichtigt. Die Tatgelegenheit, also beispielsweise die notwendige Anwesenheit eines Opfers, wird bei hiesigem Ansatz nicht erwähnt. Zu verweisen ist an dieser Stelle auf den Routine Activity Approach.

Literatur

  • Homans, George Caspar (1968): Elementarformen sozialen Verhaltens. Opladen. [Allgemeine Grundlagen zu Rational Choice]
  • Derek B. Cornish and Ronald V. Clarke (1985): Crime as rational choice. In: The Reasoning Criminal. New York, 1986.
  • Gary S. Becker (1968): Crime and punishment: An economic approach. In: Essays in the economics of crime and punishment. New York, 1974.

Weiterführende Informationen

  • Artikel „Rational Choice“ in der Krimpedia

Kategorie: Kriminalitätstheorien Tags: ätiologisch, Kontrolle, Mikro/Makro, Rational Choice, Situation, Soziologie, USA

Subkulturtheorie (Cohen)

Die Subkulturtheorie nach Cohen geht davon aus, dass Kriminalität eine Folge des Zusammenschlusses von Jugendlichen zu so genannten Subkulturen ist, in denen normabweichende Wert- und Moralvorstellungen herrschen.

Hauptvertreter

Albert K. Cohen

Theorie

Die Grundannahme von Cohen ist, dass die meisten jugendlichen Verbrecher Mitglieder delinquenter Subkulturen sind. Subkulturen sind dabei definiert als Unter- oder Antisysteme der Gesellschaft mit eigenen, oftmals im Widerspruch zu den Moralbegriffen der Gesamtgesellschaft stehenden Überzeugungen und Normen.
Nach Cohen ist der Zusammenschluss von Jugendlichen zu Subkulturen das Resultat aus Anpassungs- und Statusproblemen ihrer Mitglieder, die durch die Ungleichheit der bestehenden Klassengesellschaft hervorgerufen werden.
So strebt ein Junge aus der Unterschicht stets nach Anpassung an höhere Schichten, sieht sich dabei jedoch mit Erwartungen und Zielen konfrontiert, die er aufgrund seiner sozialen Herkunft nicht erfüllen beziehungsweise wegen starrer Gesellschaftsstrukturen nicht erreichen kann. Im direkten Vergleich zu Jungen aus der Mittelschicht muss er dabei den eigenen niedrigen Status, schlechtes Prestige und wenig Erfolgsaussichten für das Bestehen in Wirtschaft und Gesellschaft wahrnehmen. Die daraus folgenden Probleme der Selbstachtung führen schließlich zu Zusammenschlüssen mehrerer solcher Jungen zu alternativen Subgruppen, die sich durch ihre Abgrenzung zur unerreichbaren Mittelschicht definieren.
Diese delinquenten Subkulturen zeichnen sich nach Cohen vor allem durch ihre normabweichenden Wert- und Moralvorstellungen aus, die es ihren Mitgliedern ermöglichen, Prestige und Anerkennung zu erlangen. Die Verhaltensweisen, die innerhalb der Subkultur an den Tag gelegt werden, unterscheiden sich aufgrund dieser neuen Normen grundlegend von jenen außerhalb der Subkultur. Für die Gesamtgesellschaft erscheinen sie deviant, oftmals auch kriminell. Als alternatives Statussystem rechtfertigt die Subkultur jedoch Feindschaft und Aggression gegenüber Nicht-Mitgliedern, wodurch sonst möglicherweise entstehende Schuldgefühle beseitigt werden.

Schaubild: Subkulturtheorie nach Cohen

Delinquente Subkulturen sind nach Cohens Vorstellung:

  • nichtutilitaristisch (die devianten Handlungen werde nicht aufgrund der Erwartung eines Vorteils begangen)
  • böswillig (der Zweck der delinquenten Handlungen ist es, andere Personen zu ärgern oder gar zu verletzen)
  • negativistisch (die kriminellen Handlungen werde gerade aufgrund ihres Verbots begangen, um die konventionelle Kultur bewusst zu verneinen)
  • vielseitig (im Sinne der vorkommenden Verhaltensweisen)
  • auf kurzen Genuss aus (es wird viel Wert auf das momentane Vergnügen gelegt)
  • resistent (gegenüber Konformitätsdruck von außen)

Die Subkulturtheorie ist keine eigentliche Lerntheorie, sondern mehr ein Hybrid aus Lern-, Anomie– und anderen Theorien. Eine Besonderheit ist zudem, dass sich die Subkulturtheorie nur mit Jugendkriminalität, nicht aber mit kriminellem Verhalten im Allgemeinen beschäftigt.

Cohen hat sich später noch mit anderen Formen von Subkulturen auseinandergesetzt. Zudem entstanden von anderen Autoren eine Reihe weiterer Theorien um das Phänomen der delinquenten Subkultur. Gemeinsam haben all diese Konzepte jedoch Cohens Grundthesen:
Gesamtgesellschaftlich ungleich verteilte sozialstrukturelle Bedingungen führen zur Entwicklung von Subkulturen als Ausdruck sozialer Differenzierung und damit einhergehenden Statusproblem. Deren divergierende Normen ziehen Verhaltenserwartungen nach sich, welche von der Gesamtgesellschaft als abweichend begriffen, innerhalb der Subkultur jedoch als normal angesehen werden.

Kriminalpolitische Implikationen

Wie auch die Anomietheorien kritisieren die Subkulturtheorien soziale Ungleichheiten in der Schicht- oder Klassengesellschaft, welche für Druck und Anpassungsprobleme des Einzelnen verantwortlich sind. Demnach wäre nach Cohen eine gute Kriminalpolitik gute Sozialpolitik. Tatsächlich standen zu Entstehungszeiten der Subkulturtheorien in den USA politische Vorhaben wie „Kampf gegen Armut“ im Vordergrund der Kriminalpolitik. Bezogen auf das Phänomen der Jugendkriminalität müsste man die Sozialpolitik noch beispielsweise durch die Forcierung schulischer Bildung von Jugendlichen aus Unterschichten erweitern. Genaue kriminalpolitische Forderungen stellte Cohen selbst aber nicht.

Interessant und auch nicht ohne politische Bedeutung ist indes die Tatsache, dass Cohens Subkulturtheorie mit die einzige bekannte Kriminalitätstheorie ist, nach der konkret aufgrund abweichender Normen abweichend gehandelt wird. Der Resozialisierungsgedanke wäre hier also auf gute Erziehung mit nachhaltiger Vermittlung von Werten und Moral anzuwenden.

Kritische Würdigung / Aktualitätsbezug

Cohens Subkulturansatz macht darauf aufmerksam, dass Kriminelle aus ihrer Sicht gar nicht kriminell handeln. Als Mitglieder von Subkulturen unterliegen sie abweichenden Verhaltensanforderungen, die auf gesamtgesellschaftlich abweichenden Werten und Normen beruhen. Das gezeigte Verhalten ist innerhalb der Subkultur und somit auch für den Handelnden ein konformes Verhalten. Hieraus lässt sich bereits etwas ableiten, was eigentlich erst viel später in die kriminalsoziologische Diskussion Einzug erhielt: Die für das gleiche Verhalten unterschiedliche Definition von Abweichung und Konformität im Rahmen von verschiedenen sozialstrukturellen Bedingungen führt zu der gleichermaßen simplen wie bedeutenden These: Was für den einen als abweichend oder kriminell gilt, kann für den anderen normal und konform, vielleicht sogar zwingend notwendig sein, da es das eigene Wert- und Normensystem so vorschreibt.
Die Subkulturtheorien sind daher für ihr Verständnis, dass Abweichung in bestimmten Gruppen Normalität ist, zu würdigen. Indem auch der Gedanke der Anomietheorie von Status- und Anpassungsproblemen aufgenommen wird, zeigen sich die Ansätze als frühe Versuche, sowohl lerntheoretische als sozialstrukturelle Bedingungen zur Erklärung abweichender Verhaltensmuster heranzuziehen. In Abgrenzung und Erweiterung zu Mertons Anomietheorie bezieht sich das von Cohen beschriebene deviante Verhalten und die zugrundeliegenden Statusprobleme der Mitglieder der Subkultur nicht auf wirtschaftliche Faktoren (Devianz ist nicht-utilitaristisch, böswillig und negativistisch, s.o.).
Eine entscheidende Schwäche birgt Cohens Theorie jedoch in ihrer eigenen Begrenzung auf Jugendkriminalität. Empirisch stützt sie sich lediglich auf Untersuchungen nordamerikanischer Straßengangs und Jugendbanden. Spätere Versuche, sie auf Kriminalität im Allgemeinen auszuweiten, scheiterten, da es offensichtlich absurd ist, jegliche kriminelle Handlungen auf die Existenz delinquenter Subkulturen zurückzuführen. Delikte aus der Wirtschaftskriminalität können damit ebenso wenig erklärt werden wie Verbrechen durch die Mittelklasse oder beispielsweise durch Frauen. Zudem teilt Cohens Theorie die Kritik, die ebenfalls an Mertons Anomietheorie gerichtet werden kann: Die Mitglieder der Unterschicht teilen zunächst die mittelschichtszentrierten Ziele. Merton geht von fünf möglichen Anpassungsformen auf einen drohenden Zustand der Anomie aus und Cohen postuliert, dass sich bei Nicht-Erreichung der Ziele eine Statusfrustration und Wut einstellt. Keine der beiden Theorien hält eine potentielle Abkehr von mittelschichtszentrierten Zielen und eine Orientierung an schichtspezifischen Zielen der Unterschicht für eine mögliche Erklärung.
Manche Kritiker bezweifeln zudem, ob die untersuchten Jugendbanden und Gangs tatsächlich solch postulierte Subkulturen mit festen Strukturen und abweichenden Normen darstellen. Nicht wenige Untersuchungen haben ergeben, dass viele Jugendgruppen eher lose und wenig strukturierte Verbindungen sind. Vertreter der Neutralisationsthese bezweifeln indes, dass gesamtgesellschaftlich abweichende Werte tatsächlich entwickelt und vollständig internalisiert werden können.

Literatur

Primärliteratur

  • Albert K. Cohen (1955): Delinquent Boys: The Culture of the Gang. New York: Free Press. Auflage von 1967.
  • Cohens Buch wurde in Auszügen in deutscher Sprache veröffentlicht in: Cohen, A. K. (2016) Kriminelle Subkulturen. In: Klimke, D. & Legnaro, A. (Hrsg.) Kriminologische Grundlagentexte. Springer VS: Wiesbaden. S. 269-280. Oder auch: Cohen, A. K. (1957) Kriminelle Subkulturen. In: Heintz, P. & König, R. (Hrsg.) Soziologie der Jugendkriminalität. Studien zur Sozialwissenschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag. S. 103-117.

Weiterführende Literatur

  • Albert K. Cohen and James Short: Research in Delinquent Subcultures. In: Journal of Social Issues, S.20–37. 1968.
  • Frederic M. Thrasher (1927): The Gang. Chicago. Auflage von 1968.
  • William F. Whyte (1943): Street Corner Society. Chicago. 4. Auflage von 1993.
  • Lewis Yablonski (1959): The delinquent gangs as a near group. In: Social Problems, 7, S.108-109
  • Walter B. Miller (1958): Lower class culture as a generating milieu of gang delinquency. In: Journal of Social Issues, 15, S.5-19.

Kategorie: Kriminalitätstheorien Tags: 1955, Anomie, ätiologisch, Lernen, Mikro/Makro, Soziologie, Subkultur, USA

Theorie des sozialen Lernens (Akers)

Die Theorie des sozialen Lernens besagt, dass kriminelle Verhaltensweisen dann erlernt werden, wenn die positiven Konsequenzen, die normabweichendes Verhalten nach sich ziehen, stärker wirken als die positiven Konsequenzen, die normkonformes Verhalten nach sich ziehen.

Hauptvertreter

Ronald L. Akers und Robert L. Burgess

Theorie

Bezug nehmend auf Sutherlands Theorie der differenziellen Assoziationen stellt sich Akers Theorie des sozialen Lernens die Frage, wie erlernt wird.

Die Antwort darauf ist zum einen die Berücksichtigung des Prinzips des Beobachtungslernens nach Bandura, vor allem jedoch die Annahme, kriminelles Verhalten werde durch das Prinzip der operanten Konditionierung erlernt.

Demnach ist das Erlernen krimineller Verhaltensweisen davon abhängig, ob diese differentiell verstärkt werden – ob also auf ein abweichendes Verhalten ein positiver Reiz erfolgt oder ein negativer Reiz ausbleibt – oder ob sie vielmehr bestraft werden bzw. konforme Verhaltensweisen mehr verstärkt werden als kriminelle Verhaltensweisen.

Entscheidend ist daher vor allem, welche verstärkenden Konsequenzen auf abweichendes Verhalten zur Verfügung stehen, wie wirksam jene sind, wie intensiv und häufig sie auftreten, und wie wahrscheinlich es ist, dass sie auf das gezeigte Verhalten auch tatsächlich folgen.

Akers Theorie wurde daher in ihrer Erstveröffentlichung (zusammen mit Burgess) auch als Theorie der differentiellen Verstärkung bezeichnet. Die Namensänderung macht jedoch deutlich, dass neben dem Konzept der operanten Konditionierung Akers später auch das Prinzip des Modelllernens berücksichtigte. Demnach kann die Beobachtung von Handlungen anderer und ihren Konsequenzen ebenso zu einer Verstärkung des eigenen Verhaltens führen: Die Belohnung einer beobachteten Person für deren Verhalten wirkt insofern verstärkend, indem das beobachtete Verhalten nun selbst durchgeführt wird.

Ein direkter sozialer Interaktionsprozess ist (im Gegensatz zu Sutherlands Theorie) hier also nicht zwingend erforderlich, da auch nicht-soziale Situationen (z.B. über Medien) verstärkend wirken können. Jedoch schließt sich Akers insofern Sutherland an, indem auch bei ihm erstmals gezeigte kriminelle Verhaltensweisen (ob sie nun anschließend verstärkt werden oder nicht) zumeist durch den Kontakt zu einem kriminellem Umfeld entstehen.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass Akers Theorie des sozialen Lernens die Grundüberlegung Sutherlands als Ausgangspunkt nimmt (s. obere Ebene im Schaubild), diese um die Idee des Modell- bzw. Beobachtungslernens erweitert (s. untere Ebene im Schaubild), und schließlich den Prozess, wie kriminelle Verhaltensweisen erlernt werden, durch das Prinzip der operanten Konditionierung erklärt (s. mittlere Ebene im Schaubild).

Dadurch unterscheidet sie sich trotz einiger Übereinstimmungen doch grundlegend von Sutherlands Theorie der differenziellen Assoziation: Nicht der Kontakt zu kriminellen Personen ist die Ursache für Kriminalität, sondern die Verstärkung / Belohnung abweichender Verhaltensweisen.

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Kriminalpolitische Implikationen

Akers Theorie des sozialen Lernens impliziert zunächst die gleichen kriminalpolitischen Forderungen wie die Theorie differenzieller Assoziationen, jedoch kommen zwei entscheidende Aspekte hinzu, die in der Verhaltenstherapie durch Konzepte wie die token economy versucht werden, zu berücksichtigen:

Erstens muss versucht werden, kriminelle Handlungen mit solchen negativen Konsequenzen zu belegen, dass diese die positiven Konsequenzen überwiegen. Im Umkehrschluss müssen konforme Handlungen so belohnt werden, dass deren negative Folgen in den Hintergrund treten. Die Kriminalpolitik muss also sowohl die Verstärkung krimineller und die Bestrafung konformer Verhaltensweisen verhindern als auch die Bestrafung krimineller und die Belohnung konformer Verhaltensweisen unterstützen. Eine politische Verwandtschaft mit der rational choice theory ist hier nicht zu übersehen.

Zweitens muss der Einfluss der Massenmedien auf das individuelle Verhalten berücksichtigt und gegebenenfalls durch staatliche Zugriffe eingegrenzt werden. Theorien wie die von Akers legen somit für die andauernden Diskussionen um die Wirkung von sogenannten „Killerspielen“ oder gewalttätigen Kinofilmen die theoretischen Grundlagen.

Entscheidend bleibt dabei aber zu erwähnen, dass nach Burgess und Akers die reine Beobachtung eines Verhaltens nicht zu deren Imitation führt (so jedoch bei Gabriel Tarde). Vielmehr muss das Verhalten und dessen positive Folgen beobachtet werden. Ein brutaler Film, in dem der Gewalttäter aber schlussendlich zu lebenslanger Haft verurteilt wird, wäre demnach wenig bedenklich.

Kritische Würdigung / Aktualitätsbezug

Akers gelingt es, die bei Sutherland noch zu vermissenden Prozesse und Mechanismen des sozialen Lernens theoretisch einzubinden, jedoch kann auch er die prinzipiellen Einwände gegen den lerntheoretischen Ansatz (partielle Tautologie, individuell unterschiedliche Lernfähigkeit, Nicht-Berücksichtigung von Affektverbrechen) nicht auflösen.

Zu würdigen ist zwar somit die theoretische Fortentwicklung durch die Berücksichtigung der Prinzipien des Beobachtungslernens und der operanten Konditionierung. Allerdings misslingt auch bei Akers der Versuch, eine reine Lerntheorie als allgemeingültige Kriminalitätstheorie darzustellen.

Immerhin kann die behavioral ausgerichtete Psychologie direkt an Akers Thesen anschließen, indem sie das Zeigen konformer Verhaltensweisen durch die Belohnung solcher Handlungen trainiert. Problematisch stellt sich jedoch die kriminalpolitische Schlussfolgerung auf der Makro-Ebene dar, die Verstärkung von kriminellen Verhaltensweisen müsse verhindert werden, da aus dieser Forderung nicht deutlich wird, wie diese Verhinderung stattfinden soll.

Offensichtlich ist etwas, was für den einen als Verstärker fungiert, für den anderen weniger positiv zu beurteilen. Welche Konsequenzen sollen nun verhindert, welche hervorgerufen werden?

Primärliteratur

  • Ronald L. Akers and Robert L. Burgess (1966): A Differential Association-Reinforcement Theory of Criminal Behavior. In: Social Problems, Bd. 14, Nr. 2, S. 128-147. 1966.
  • Ronald L. Akers: Deviant behavior: a social learning approach. Belmont, CA, 1977.

Weiterführende Literatur

  • Ronald L. Akers and Christine Sellers: Criminological Theories: Introduction, Evaluation, and Application. 4. Auflage. Los Angeles, 2004.
  • B. F. Skinner (1953): Science and human behavior. 5. Auflage. New York, 1967.
  • Albert Bandura (1963): Social learning and personal development. Auflage von 1970, London.
  • Albert Bandura (1977): Social learning theory. Englewood Cliffs.
  • Piers Beirne: Between classicism and positivism: crime and penalty in the writing of Gabriel Tarde. In: Criminology, 25, S.785-819. 1987.
  • Arno Bammé: Gabriel Tarde und die „Gesetze der Nachahmung“. In: Tönnies-Forum, Jg.18, H.1, S.5-28. Kiel, 2009
  • Hans J. Eysenck (1977): Crime and personality. Deutsche Auflage 1980, Frankfurt am Main.

Kategorie: Kriminalitätstheorien Tags: 1966, ätiologisch, Lernen, Mikro, Soziologie, Sutherland, USA

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