Kurzdefinition
Subkulturtheorien sind soziologische und kriminologische Ansätze, die abweichendes Verhalten und Kriminalität als Ausdruck spezifischer Werte, Normen und Lebensstile innerhalb sozialer Gruppen interpretieren, die sich von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzen.
Ausführliche Erklärung
Subkulturtheorien gehen davon aus, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen – vor allem in marginalisierten sozialen Räumen – eigene Wert- und Normensysteme entwickeln, die teilweise im Widerspruch zu den dominanten gesellschaftlichen Normen stehen. Diese subkulturellen Systeme entstehen häufig als Reaktion auf gesellschaftliche Ungleichheit, fehlende Zugangsmöglichkeiten zu Bildung und Arbeit oder soziale Exklusion. Kriminelles oder deviantes Verhalten ist in diesen Gruppen nicht zwangsläufig Ausdruck individueller Fehlanpassung, sondern kann als logische Folge der subkulturellen Werte verstanden werden.
Wichtige Subkulturtheorien im Überblick
Theorie | Hauptvertreter | Kernidee | Typen der Subkultur |
---|---|---|---|
Delinquent Boys | Albert K. Cohen (1955) | Statusfrustration bei Jugendlichen aus der Arbeiterklasse; Entwicklung einer eigenen Wertehierarchie. | Gangs und juvenile Delinquenz |
Theorie der differentiellen Gelegenheiten | Cloward & Ohlin (1960) | Zugang zu kriminellen Karrieren ist sozialstrukturell bedingt. | Kriminelle, Konflikt- und Rückzugssubkulturen |
Focal Concerns Theory | Walter B. Miller (1958) | Kriminalität als Ausdruck spezifischer Werte der Arbeiterklasse. | Arbeiterklasse-Subkulturen |
Drift Theory | David Matza (1964) | Jugendliche driften zwischen Konformität und Devianz. | Keine festen Subkulturen, sondern situative Devianz |
Subculture – The Meaning of Style | Dick Hebdige (1979) | Subkulturen als symbolischer Widerstand gegen die Mainstream-Kultur. | Mods, Punks, Skinheads |
Cultural Criminology | Ferrell, Hayward & Young (2008) | Kriminalität als kultureller Ausdruck und symbolischer Akt. | Street Art, Graffiti, Gangster-Rap |
In Search of Respect | Philippe Bourgois (2003) | Subkulturen entstehen aus wirtschaftlicher Marginalisierung. | Drogensubkulturen in innerstädtischen Räumen |
Labeling Approach | Howard S. Becker (1963) | Subkulturen entstehen durch gesellschaftliche Stigmatisierung. | Abweichende Gruppen (Hippies, Gangs) |
Konzepte und Mechanismen:
-
Statusfrustration (Cohen):
-
Jugendliche erfahren aufgrund sozialer Ungleichheit und mangelnder Aufstiegsmöglichkeiten Frustration und entwickeln alternative Statussysteme in Subkulturen.
-
-
Differenzielle Gelegenheiten (Cloward & Ohlin):
-
Zugang zu kriminellen Karrieren ist abhängig von sozialstrukturellen Gegebenheiten.
-
-
Focal Concerns (Miller):
-
Bestimmte Werte der Arbeiterklasse wie Härte, Männlichkeit und Abenteuerlust fördern kriminelles Verhalten.
-
-
Drift (Matza):
-
Jugendliche pendeln zwischen abweichendem und konformem Verhalten; Kriminalität ist oft eine temporäre Phase.
-
-
Symbolischer Widerstand (Hebdige):
-
Subkulturen wie Punks oder Mods verwenden Mode, Musik und Symbole als Ausdruck des Widerstands.
-
-
Kultureller Ausdruck (Cultural Criminology):
-
Abweichendes Verhalten wird als Form des kreativen Ausdrucks und als Protest gegen soziale Kontrolle verstanden.
-
-
Ökonomische Marginalisierung (Bourgois):
-
In ökonomisch ausgegrenzten Stadtteilen wird Kriminalität zur ökonomischen Überlebensstrategie.
-
-
Labeling und Etikettierung (Becker):
-
Subkulturen werden erst durch gesellschaftliche Stigmatisierung als „deviant“ wahrgenommen und gefestigt.
-
Theoriebezug
Subkulturtheorien sind stark mit dem symbolischen Interaktionismus und der Konflikttheorie verknüpft, da sie Machtverhältnisse, soziale Ungleichheit und kollektive Identitätsbildung als zentrale Einflussfaktoren für Devianz und Kriminalität betrachten. Insbesondere in der Cultural Criminology findet sich ein starker Bezug zur Kritischen Theorie und postmodernen Ansätzen, die Kriminalität als sozialen Konstruktionsprozess verstehen.