Städte sind mehr als nur Ansammlungen von Gebäuden und Straßen. Sie sind komplexe soziale Räume, in denen sich gesellschaftliche Strukturen, Chancen und Ungleichheiten verdichten. Die Stadtsoziologie beschäftigt sich mit dem sozialen Leben in der Stadt, mit den Bedingungen des Zusammenlebens, mit Konflikten, Mobilität, Kontrolle – und mit der Frage, wie städtische Räume geordnet, beobachtet, gestaltet und erlebt werden.
Gerade für die Polizei ist die Auseinandersetzung mit stadtsoziologischen Perspektiven von hoher Relevanz. In der Stadt zeigt sich die Gesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt: dicht, schnell, anonym, konflikthaft – aber auch offen, kreativ und veränderbar. Soziale Unterschiede, Sicherheitsbedürfnisse und Kontrollpraktiken treffen hier auf engstem Raum zusammen.
Was macht die Stadtsoziologie aus?
Sie [Die Großstadt] gewährt nämlich dem Individuum eine Art und ein Maß persönlicher Freiheit, zu denen es in anderen Verhältnissen gar keine Analogie gibt
Georg Simmel (1903) Die Grossstadt.
Die Stadtsoziologie fragt nicht nur, was eine Stadt ist, sondern vor allem, was Stadt mit Gesellschaft macht – und umgekehrt. Sie analysiert Städte als Prozesse und Strukturen gesellschaftlicher Teilsysteme. Stadt ist ein Ort, an dem sich Inklusion und Exklusion, Freiheit und Kontrolle, Verdichtung und Fragmentierung räumlich verdichten.
Städte ermöglichen Individualität und Selbstverwirklichung (Simmel), sie offenbaren aber auch soziale Ungleichheiten (Engels) und erzeugen neue Formen von Anonymität, Mobilität und Überwachung (Wirth). Für die Polizei bedeutet das: Stadt ist nicht nur Einsatzort – sie ist ein gesellschaftlich strukturierter Handlungsraum.
Vertiefende Themen auf SozTheo
- Segregation
Wer wohnt wo – und warum? Segregation beschreibt die soziale, ethnische und funktionale Trennung innerhalb der Stadt. Sie betrifft Wohnen, Bildung, Mobilität – und prägt damit auch polizeiliches Handeln und Lagebilder. - Raum und (Un-)Sicherheit – städtebauliche Kriminalprävention
Wie beeinflusst die gebaute Umwelt unser Sicherheitsempfinden? Die Gestaltung von Stadtteilen, Lichtverhältnisse, Zugänge und Sichtachsen sind keine neutralen Faktoren – sie formen das Verhalten von Menschen, auch im Hinblick auf Devianz. - Videoüberwachung
Öffentliche Räume unter Beobachtung: Wie wirkt Videoüberwachung auf Verhalten, Sicherheit und Freiheitsrechte? Und wie verändert sie das Verhältnis von Staat, Bürger:innen und urbanem Raum? - Lokale Sicherheit – Community Policing
Wie lassen sich Sicherheitsbedürfnisse auf lokaler Ebene verstehen – und was bedeutet das für eine bürgernahe Polizei? Stadtteile als soziale Einheiten, Vertrauen, soziale Kontrolle und kooperative Prävention stehen hier im Fokus.
Fazit
Stadtsoziologie eröffnet einen differenzierten Blick auf urbane Räume als soziale Möglichkeitsräume – aber auch als Orte von Spannung, Kontrolle und Exklusion. Wer in der Stadt handelt – sei es als Bürger:in, als Verwaltung oder als Polizei – braucht ein Verständnis für diese Dynamiken. Denn Stadt ist nicht nur Kulisse – sie ist sozialer Raum.
Literatur und weiterführende Quellen
Klassiker der Stadtsoziologie
Folgende Werke gelten als grundlegende Beiträge zur soziologischen Analyse von Städten, urbanem Raum und gesellschaftlichem Zusammenleben in der Stadt:
- Georg Simmel (1903) – Die Großstädte und das Geistesleben
- Friedrich Engels (1845) – Die Lage der arbeitenden Klasse in England
- Louis Wirth (1938) – Urbanism as a Way of Life
- Robert E. Park & Ernest W. Burgess (1925) – The City
- Jane Jacobs (1961) – The Death and Life of Great American Cities
- Henri Lefebvre (1968) – Le droit à la ville (Das Recht auf Stadt)
- Michel Foucault (1975) – Surveiller et punir (Überwachen und Strafen)
- David Harvey (2008) – Rebel Cities: From the Right to the City to the Urban Revolution
- Loïc Wacquant (2008) – Urban Outcasts: A Comparative Sociology of Advanced Marginality
- Saskia Sassen (2001) – The Global City
Diese Werke bieten unterschiedliche Perspektiven auf die Stadt: als Lebensform, als Ort von Ungleichheit, als politische Arena oder als technologische und soziale Infrastruktur.
- Bundeszentrale für politische Bildung – Dossier Stadt und Gesellschaft
- Eckardt, F. (Hsrg.) (2012). Handbuch Stadtsoziologie. Wiesbaden: Spinger.
- Fink, P.; Hennicke, M. & Tiemann, H. (2019). Ungleiches Deutschland. SozioökonomischerDisparitätenbericht 2019. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung. Online verfügbar unter: http://library.fes.de/pdf-files/fes/15400-20190430.pdf
- Glasze, G.; Pütz, R. & Rolfes, M. (2005). Die Verräumlichung von (Un-)Sicherheit, Kriminalität und Sicherheitspolitiken-Herausforderungen einer Kritischen Kriminalgeographie. Diskurs – Stadt – Kriminalität: Städtische (Un-)Sicherheiten aus der Perspektive von Stadtforschung und Kritischer Kriminalgeographie (S. 13–104).
- Projektseite „Migration und Sicherheit in der Stadt“ migsst.de
- Sektion Stadt- und Regionalsoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS)
- Wehrheim, J. (2006). Die überwachte Stadt. Sicherheit, Segregation und Ausgrenzung. (3. Aufl.). Opladen: Budrich.