Was ist Kriminologie?
Kriminologie leitet sich ab von dem lateinischen Wort ‚crimen‘ (Verbrechen) und dem griechischen Wort ‚logos‘ (Lehre). Die „Erfindung“ des Begriffes Kriminologie (hier: criminologia) wird dem italienischen Gelehrten Raffaele Garofalo zugeschrieben, der 1885 das Buch „Criminologia: Studio sul Delitto, Sulle sue Cause e sui Mezzi di Repressione“ veröffentlichte.
Der britische Kriminologe David Garland (2002) stellt fest, dass sich die historisch noch relativ junge Disziplin der Kriminologie durch zwei wesentliche Kernbereiche charakterisieren lässt. Dies ist zum einen ein „governmental project“ und zum andern das „Lombrosian project“. Hinter erstgenannter Kategorie verbirgt sich eine Kriminologie, die sich administrativen Zwecken verschrieben hat und in empirischen Studien die Entwicklung der Kriminalität erfasst und die Arbeit staatlicher Institutionen wie Gefängnissen oder auch der Polizei evaluiert.
Das Lombrosianische Projekt geht auf den italienischen Psychiater und Gefängnisarzt Cesare Lombroso zurück, der als Begründer einer empirisch fundierten (positivistischen) Kriminologie gilt. Durch Studien an Strafgefangenen wollte Lombroso das Wesen Krimineller ermitteln und so die Ursachen für Kriminalität erfassen (s.u.). Garland stellt weitergehend fest, dass sich in jüngerer Zeit diese beiden Bereiche zunehmend überschneiden und zusammenwachsen.
Definition I
Kriminologie lässt sich zunächst also die Lehre vom Verbrechen definieren.
Kriminologisches Wissen wird sowohl theoretisch als auch empirisch (also in Form von wissenschaftlichen Studien) geschaffen.
Das lateinische Wort crimen steht jedoch nicht nur für Verbrechen, sondern lässt sich auch mit Anklage oder Beschuldigung übersetzen (es leitet sich von cernere – auswählen, entscheiden – ab). Kriminologie beschäftigt sich demnach nicht nur mit Verhaltensweisen, die wir als Verbrechen auffassen, sondern auch mit der Frage, welche Verhaltensweisen, wann und warum als verbrecherisch aufgefasst werden. Diese zwei Perspektiven werden deutlicher, wenn wir uns den Gegenstand der Kriminologie näher anschauen.
Was ist der Gegenstand der Kriminologie? – Der Verbrechensbegriff
Der Verbrechensbegriff aus juristischer Perspektive
Auf den ersten Blick erscheint die Frage, was ein Verbrechen ist, einfach zu beantworten: nämlich alle Handlungen, die gegen ein Strafgesetz verstoßen. In Deutschland ist dies in § 12 des StGB geregelt. Hier heißt es:
§ 12 Verbrechen und Vergehen
- Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.
- Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind.
- Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind, bleiben für die Einteilung außer Betracht.
Schaut man sich jetzt einzelne Gesetzesnormen an, ist klar, dass beispielsweise Geldfälschung (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr) ein Verbrechen ist, Zuhälterei (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren) indes ein Vergehen usw.
Handlungen, die von keinem Gesetz erfasst werden (z.B. das Füttern von Gremlins nach Mitternacht), können dem Rechtsgrundsatz nulla poena sine lege folgend, weder Verbrechen noch Vergehen darstellen.
Trotz seiner Eindeutigkeit ist dieser strafrechtliche Verbrechensbegriff aus kriminologischer Sicht ungenügend.
Der Verbrechensbegriff aus kriminologischer Perspektive
Die zunächst einleuchtende Definition von Verbrechen gemäß Strafgesetzbuch – auch als der formelle Verbrechensbegriff bezeichnet – muss jedoch weiter differenziert werden, wenn man sich den Gegenstand der Kriminologie – also das Verbrechen – vergegenwärtigt. Wir alle nutzen den Begriff und er erscheint uns zunächst einleuchtend, ohne dass wir weiter über die Bedeutung reflektieren. Forderte man jemanden auf zu definieren, was ein Verbrechen ist, so würde diese Person vermutlich zu dem Schluss kommen, dass ein Verbrechen eine Handlung ist, die gegen ein Strafgesetz verstößt. Dieser legalistische Zugang ist – obwohl er in vielen Kriminologiebüchern zu finden ist – jedoch unbrauchbar; bedeutet diese Definition doch, dass kein Verbrechen existieren kann, wenn es kein Strafgesetz gäbe. Bestimmte Handlungen erscheinen uns jedoch einen großen Unrechtsgehalt zu haben, dass wir auch ohne juristisches Hintergrundwissen, diese Taten als böse, moralisch verwerflich oder ungerecht bewerten würden. Diese Frage verweist auf den sog. natürlichen Verbrechensbegriff, der sich an der Frage orientiert, ob es nicht Handlungen gibt, die zu allen Zeiten und in allen Kulturen als moralisch schlecht und verwerflich angesehen wurden. Bereits Raffaele Garofalo hat sich mit dieser Frage auseinandergesetzt und gefragt, ob nicht delicta mala per se von delicta mere prohibita zu unterscheiden wären. Erstgenannter Kategorie gehören Handlungen an, die von sich aus schlecht (male, lateinisch: schlecht, schlimm, unsittlich) sind, während die delicta mere prohibita (prohibita, lateinisch: Verbotenes) Handlungen bezeichnen, die verboten sind und vom Sinngehalt deckungsgleich mit dem formellen Verbrechensbegriff sind. Doch auch diese Unterscheidung erweist sich bei näherer Überlegung als unbrauchbar. Selbst bei einem Tötungsdelikt erweist sich das moralische Urteil über die Tat und den Täter nicht immer und aus allen Perspektiven als eindeutig. So fällt beispielsweise das Urteil über einen sog. Ehrenmord je nach kulturellem Standpunkt sehr unterschiedlich aus. Aus der Perspektive der Täter und ihrer Familien handelt es sich hierbei um eine ehrbare Handlung, die es vermag, die beschmutzte Würde der Familie wieder herzustellen. In den Augen der meisten Mitglieder westlicher Gesellschaften gilt der Ehrenmord jedoch als eine niederträchtige Handlung. Trotz ihrer (scheinbaren) definitorischen Trennschärfe des formellen und des natürlichen Verbrechensbegriffs erweisen sich diese Definitionen als untauglich, wenn es darum geht, den Gegenstandbereichs der Kriminologie festzulegen. Hier ist eine deutliche definitorische Erweiterung des Gegenstandbereichs erforderlich, wie sie im sog. materiellen oder auch soziologischen Verbrechensbegriff Anwendung findet. Hiernach fallen alle Handlungen, die als sozialschädlich und abweichend angesehen werden.
Die nachstehende Tabelle stellt die Vorzüge und Nachteile der unterschiedlichen Verbrechensbegriffe noch einmal gegenüber.
formelle Verbrechensbegriff | natürliche Verbrechensbegriff | materielle/ soziologische Verbrechensbegriff |
|
---|---|---|---|
Gegenstand | orientiert an Legaldefinition von Verbrechen/ Vergehen (in Deutschland: StGB) | orientiert an Moral (delicta male per se) | orientiert an abweichendem Verhalten |
Vorzüge | definitorische Trennschärfe | (vermeintliche) universelle Gültigkeit | weit gefasster Begriff, der kulturübergreifende und historische Vergleiche ermöglicht (Ent-/Kriminalisierung) |
Kritik | zu eng gefasst, da nur aktuell unter Strafe gestellte Handlungen zum Gegenstand gemacht werden | universelle Gültigkeit von delicta male per se fragwürdig | fehlende definitorische Trennschärfe |
Verbrechen als Ergebnis gesellschaftlicher Zuschreibungen
Wo aber verläuft die Grenze zwischen Handlungen, die verbrecherisch sind und solchen, die lediglich nicht wünschenswert sind? Welche Qualität müssen Handlungen haben, damit sie als Verbrechen, Vergehen oder als lediglich sozial unerwünscht gelten? Auf wessen Werturteil nehmen wir hierbei Rücksicht – das der Mehrheit der Gesellschaft, das der schlausten, reichsten, lautesten Mitglieder einer Gemeinschaft?
Verbrechen hat keine ontologische Realität, also keine festgeschriebene und unveränderbare Wesensart. Anders als beispielsweise ein Tisch, der als physisch präsentes Objekt durch eine Tischplatte, vier Tischbeine und einen festgeschriebenen Zweck und Nutzen beschrieben werden kann, handelt es sich bei dem Verbrechensbegriff um eine Zuschreibung. Dem Tisch ist sein „tischartiges“ Wesen eigen – unabhängig davon, ob er als solcher bezeichnet oder genutzt wird. Ein Verbrechen hingegen wird erst durch die Bezeichnung, und dass sich Menschen entsprechend hierzu verhalten zu einem Verbrechenstatbestand. Bestimmte Handlungen werden als Verbrechen oder verbrecherisch bezeichnet. Dies ist jedoch keine Qualität der entsprechenden Handlungen per se und kein Urteil, dass sich a priori erschließen ließe. Welche Handlungen als Verbrechen bezeichnet werden, unterliegt einem historischen und einem kulturellen Wandel. Verbrechen sind demnach soziale Konstrukte. Dieser vielleicht zunächst abstrakt erscheinende Gedanke wird deutlich, wenn wir uns Beispiele anschauen:
-
In den Jahren 1920 bis 1933 galt in den USA die Alkoholprohibtion. Die Herstellung, der Transport und der Verkauf von Alkohol waren verboten. Wer die Prohibition umging, beging ein Verbrechen und wurde mit Strafe bedroht. Trotz der Verbote wollten viele Amerikaner nicht auf Alkohol verzichten und fanden sich in sog. Flüsterkneipen (Speakeasy) ein, die illegalerweise Alkohol ausschenkten oder brannten sich ihren Schnaps (Moonshine) selbst. Die Versorgung der trinkwilligen Amerikaner erwies sich als ein finanziell lukratives Beschäftigungsfeld für die Organisierte Kriminalität. Männer wie Meyer Lanski oder Al Capone wurden durch den Alkoholschmuggel reich und zu landesweit gesuchten Staatsfeinden.
Eine Alkoholprohibition ist aus heutiger Perspektive nur schwer vorstellbar. Der Alkoholkonsum ist in unserer Kultur weit verbreitet und ein Verbot ließe sich (genauso wie vor achtzig Jahren in den USA) kaum durchsetzen. Anhand des Beispiels wird jedoch deutlich, dass es nicht die intrinsische Qualität einer Handlung (Alkohol trinken) ist, die ein Verbrechen konstituiert, sondern die gesellschaftliche Zuschreibung (Alkohol ist schlecht, ergo: ist Alkohol ab sofort verboten). - Andere Beispiele zeigen, dass auch in Deutschland ein kultureller Wandel stattgefunden hat, der sich u.a. in einem Wandel von Handlungen zeigt, die als Verbrechen aufgefasst wurden oder werden.
Der Paragraph 175 StGB, der von 1871 bis 1994 existierte, stellte homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Im Deutschen Kaiserreich, der Weimarer Republik, während der Zeit des Nationalsozialismus und auch in der Bundesrepublik Deutschland wurden viele zehntausende Männer kriminalisiert, verfolgt, bestraft und (während der NS-Zeit) in Konzentrationslager verschleppt. Es ist offensichtlich, dass eine sexuelle Präferenz nicht per se ein Verbrechen darstellt. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass gerade im Bereich der Sexualität Moralvorstellungen häufig Gegenstand gesellschaftlicher Kontroversen und eines kontinuierlichen Wandels sind (z.B. sog. Lustknaben – puer delicatus, aber auch in Hinblick auf Prostitution, außereheliche Beziehungen, Polyamorie usf.).
Diese Perspektive auf Verbrechen als Ergebnis eines Zuschreibungsprozesses ist vor allem in der sog. Kritischen Kriminologie verbreitet. In Abgrenzung zu einer ätiologischen Perspektive, die in der Tradition des Lombrosian project (s.o.) steht, entwickelte sich in den 1950er und 60er Jahre der Etikettierungs- oder Labelligansatz. Hier wird Verbrechen nicht als Folge einer individuellen Pathologie angesehen, sondern der Fokus auf die Kriminalisierung abweichenden Verhaltens gelegt.
Definition II
Criminology is the body of knowledge regarding juvenile delinquency and crime as social phenomena. It includes within its scope the processes of making laws, of breaking laws, and of reacting towards the breaking of laws. These processes are three aspects of a somewhat unified sequence of interactions.
(Sutherland & Cressey, 1978, S. 3)
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Kriminologie als Lehre vom Verbrechen, sich mit allen Verhaltensweisen beschäftigt, die als sozial abweichend angesehen werden. Dies schließt historische und kulturvergleichende Perspektiven auf die verschiedenen und sich verändernden normativen Standards mit ein (Kriminalisierung und Entkriminalisierung). Während Kriminalität durch formelle Normen, die kodifiziert – also in schriftlicher Form vorliegen – seitens des Staats bestimmt werden, existieren zahlreiche informelle Normen und Regeln, die mit Bezug auf unterschiedliche Gruppen und Akteure in unterschiedlichen Kontexten Anwendung finden. Die kodifizierten Normen haben die größte Verbindlichkeit. Eine Nicht-Einhaltung dieser Regeln wird bei Entdeckung sanktioniert (Muss-Normen). Die sog. Kann- und Soll-Normen sind weniger verbindlich. Ihre Einhaltung ist erwünscht aber nicht verpflichtend und ein Verstoß kann durch soziales Verhalten sanktioniert werden (z.B. Schimpfen, Naserümpfen). Welche Normen zu welchen Zeiten und in welchen Kulturen als Muss-/ Soll- oder Kann-Norm angesehen wird, unterliegt einem steten Wandel (siehe z.B. den Umgang mit Ehebruch, Homosexualität, Umgang mit illegalisierten Drogen, Majestätsbeleidigung usw.).
Gibt es den typischen Verbrecher?
Unser Wissen über Kriminalität beruht im Wesentlichen auf zwei Quellen: zum einen auf offiziellen Kriminalitätsstatistiken und zum anderen auf Befragungen von Tätern und Opfern, die im Zuge sog. Dunkelfeldforschung untersucht werden. Der internationale kriminologische Forschungsstand zum Thema Verbrechen wird vom australischen Kriminologen John Braithwaite in folgenden 13 Thesen zusammengefasst:
- Crime is committed disproportionately by males.
- Crime is perpetrated disproportionately by 15–25 year olds.
- Crime is committed disproportionately by unmarried people.
- Crime is committed disproportionately by people living in large cities.
- Crime is committed disproportionately by people who have experienced high residential mobility and who live in areas characterized by high residential mobility.
- Young people who are strongly attached to their school are less likely to engage in crime.
- Young people who have high educational and occupational aspirations are less likely to engage in crime.
- Young people who do poorly at school are more likely to engage in crime.
- Young people who are strongly attached to their parents are less likely to engage in crime.
- Young people who have friendships with criminals are more likely to engage in crime themselves.
- People who believe strongly in complying with the law are less likely to violate the law.
- For both men and women, being at the bottom of the class structure –whether measured by personal socioeconomic status, socioeconomic status of the area of residence, being unemployed or belonging to an oppressed racial minority – increases rates of offending for all types of crime apart from those for which opportunities are systematically less available to the poor.
- Crime rates have been increasing since the Second World War in most countries, developed and developing. The only case of a country which has been clearly shown to have had a falling crime rate in this period is Japan.
(Braithwaite, 1989, S. 44-49; hier zitiert nach: Walklate, 2007, S. 8)
Gründungsväter der Kriminologie
Die Kriminologie ist eine vergleichsweise junge Wissenschaft, deren genaue „Geburtsstunde“ sich nicht genau festmachen lässt. In kriminologischen Lehrbüchern werden jedoch stets eine Reihe von Gründungsvätern benannt, deren Arbeiten aus heutiger Perspektive als Grundsteine der Disziplin der Kriminologie angesehen werden können. Die wichtigsten Persönlichkeiten und ihre Arbeiten und Ideen werden im Folgenden skizziert.
Cesare Beccaria (1738 – 1794) war ein italienischer Rechtsphilosoph und Strafrechtsreformer. Geprägt durch das Zeitalter der Aufklärung tritt Beccaria in seinem Hauptwerk „Dei delitti e delle pene“ (deutsch: „Von den Verbrechen und von den Strafen“) für Rechtsgrundsätze wie die Verhältnismäßigkeit der Strafe, die Abschaffung der Todesstrafe und Beendigung von Folter ein. Beccarias Werk ließe sich heute der kriminologischen Teildisziplin der Poenologie zuordnen. Seine Ideen prägten die europäische Rechtsgeschichte nachhaltig. Beccaria gilt als Vertreter der sog. Klassischen Schule der Kriminologie. Kennzeichnend für diese Denkrichtung ist der Utilitarismus als zweckorientierte Ethik. Hiernach ist ein Handeln zu befürworten, wenn der Nutzen für eine Gesamtheit überwiegt.
Der Brite Jeremy Bentham, ein weiterer Vertreter der klassischen Schule der Kriminologie, beschrieb das Gute als „das größte Glück der größten Zahl“. Das Individuum sei auf die Maximierung seines persönlichen Nutzens aus. Daher würde der Mensch stets versuchen, seinen persönlichen Nutzen zu steigern und Leid zu vermeiden. Bentham trat für eine am Utilitarismus ausgerichtete Kriminalpolitik ein, für die der abschreckende Charakter einer hohen Strafandrohung als auch der Sanktionierung an sich charakteristisch ist. Zugleich lehnte Bentham die Todesstrafe als inhuman ab. Bentham trat zudem für eine Reform des Strafvollzugs ein. Von ihm stammt der Entwurf des Panoptikons, als eine die Überwachung perfektionierende Strafanstalt.
Erst ein gutes halbes Jahrhundert nach Beccaria prägte der italienische Jurist und Rechtsgelehrte Raffaele Garofalo durch die Veröffentlichung seines Buches „Criminologia: Studio sul Delitto, Sulle sue Cause e sui Mezzi di Repressione“ (1885) den Begriff Kriminologie. Garafalo war Student bei dem italienischen Gerichtsmediziner und Psychiater Cesare Lombroso (1835 – 1909).
Lombrosos Verdienst für die Kriminologie liegt in die Begründung der sog. Positiven Schule der Kriminologie, die für eine empirisch fundierte Kriminologie eintrat. Lombroso untersuchte mit den ihm zur Verfügung stehenden medizinischen/ naturwissenschaftlichen Methoden systematisch verurteilte Verbrecher, zu denen er als Gefängnisarzt Zugang hatte. In seinem 1876 veröffentlichten Hauptwerk L’Uomo delinquente (Der Verbrecher) vertrat er die Meinung, dass Verbrecher psychische und mentale Anomalien aufwiesen, die sich auch in bestimmten Körpermerkmalen zeigten und zudem vererbbar seinen. Aufgrund dieser biologischen Disposition seien Verbrecher von den ehrbaren Bürgern zu unterscheiden. Seine Untersuchungsergebnisse sind heute als die anthropologische (anthropogenetische) Kriminalitätstheorie bekannt und seine bereits zu Lebzeiten kontrovers diskutierte (heutzutage verworfene) Annahme vom „geborenen Verbrecher“ ist Gegenstand jedes Kriminologie-Lehrbuches.
Bereits zu Lombrosos Lebzeiten, war der von ihm postulierte biologische Determinismus umstritten. Insbesondere französische Wissenschaftlicher aus dem Umfeld des Arztes und Kriminologen Alexandre Lacassagne vertraten die These, dass es soziale Umweltfaktoren seien, die für Kriminalität verantwortlich zu machen seien. Laccassagne prägte u.a. den Ausspruch „Jede Gesellschaft hat die Verbrecher, die sie verdient.“. Die Kriminologie war geprägt durch den Streit der sog. Italienischen Schule mit der sog. Französischen Schule. Während die Erstgenannten Kriminalität alleine auf individuelle Faktoren und eine biologische Prädeterminierung zurückführten, glaubten die Vertreter der französischen Schule, dass erst das soziale Umfeld einen physiologischen Einfluss auf das Gehirn ausüben würde.
Der in Österreich geborene und in Deutschland lehrende Jurist Franz von Liszt schlichtete schließlich durch die sog. Vereinigungsthese Frieden in diesem Streit. Von Liszt plädierte für eine Anlage-Umwelt-Formel, nach der Verbrechen das Resultat einerseits der Eigenart des Täters und andererseits den diesen zur Tatzeit umgebenden äußeren Einflüsse darstellt.
Zeitleiste zur Geschichte der Kriminologie
Kriminologie im Kontext der Kriminalwissenschaften
Die Kriminologie zählt neben Kriminalistik zu den nicht-juristischen Kriminalwissenschaften. Damit lassen sich Kriminologie und Kriminalistik von den juristischen Kriminalwissenschaften (z.B. Strafrecht und anderen Rechtsgebieten) abgrenzen.
Kriminalwissenschaften | |
---|---|
juristische Kriminalwissenschaften z.B. | nicht-juristische Kriminalwissenschaften |
Strafrecht | Kriminalistik |
Strafverfahrensrecht | Kriminologie |
Sowohl die Kriminologie als auch die Kriminalistik beschäftigt sich mit dem Verbrechen. Doch während der Kriminalist vornehmlich mit der Aufklärung von Delikten beschäftigt ist, widmet sich der Kriminologe der Ursachenforschung, ermittelt Gründe für das Kriminellwerden und beschäftigt sich mit Prozessen des gesellschaftlichen Normenwandels.
Teildisziplinen der Kriminologie
Die Kriminologie unterteilt sich in verschiedene Teildisziplinen, wobei die Unterscheidung hier nicht immer trennscharf ist und sich Schnittmengen zwischen einzelnen Teildisziplinen ergeben.
Teildisziplinen der Kriminologie | |
---|---|
(Kriminal-) Phänomenologie | Lehre von den Erscheinungsformen des Verbrechens |
(Kriminal-) Ätiologie | Lehre von den Ursachen des Verbrechens (siehe hier) |
Kriminalstatistik | Lehre von den Verbreitung/ statistischen Erfassung (siehe hier) |
Viktimologie | Lehre vom Opfer und der Wirkung seines Verhaltens (siehe hier) |
Kriminalpsychologie | Psychologie des Täters |
Kriminalpsychiatrie | Forensische Psychiatrie – Behandlung des Täters |
Instanzenforschung | Aufbau, Wirkung und Arbeit von Institutionen der Verbrechensbekämpfung (siehe hier) |
Poenologie | Lehre von den Strafen, deren Art und Wirkung |
Kriminalgeographie | Lehre von den Einflussfaktoren der Geographie auf Kriminalität |
Quellen und allgemeine einführende Literatur
- Braithwaite, J. (1989). Crime, shame and reintegration. New York: Cambridge University Press.
- Bruinsma, G. & Weisburd, D. (2014) Encyclopedia of Criminology and Criminal Justice. New York u.a.: Springer.
- Garland, D. (2002) Of crime and criminals : The development of criminology in Britain . In: Maguire, M.; Morgan, R. & Reiner, R. (Hrsg.) The Oxford Handbook of Criminology (3. Aufl.). Oxford: Clarendon Press.
- Hayward, K., Maruna, S., & Money, J. (Hrsg.). (2010). Fifty Key Thinkers in Criminology. New York: Routledge.
- Kaiser, G. (1997) Kriminologie (10. Aufl.). Heidelberg: C.F. Müller.
- Kaiser / Kerner / Sack / Schellhoss (Hrsg.) (1993) Kleines kriminologisches Wörterbuch (3. Aufl.). Heidelberg: C.F. Müller.
- Klimke, D. & Legnaro, A. (Hrsg.) (2016) Kriminologische Grundlagentexte. Wiesbaden: Springer VS.
- Kunz, K.-L. (2011). Kriminologie: Eine Grundlegung (6. Auflage). Stuttgart: UTB.
- Neubacher, F. (2017) Kriminologie (3. Aufl.). Baden-Baden: Nomos.
- Newburn, T. (2017) Criminology (3. Aufl.). London, New York: Routledge.
- Pientka, M. (2014) Kriminalwissenschaften II. München: C. H. Beck.
- Sutherland, E. H. & Cressey, D. R. (1978). Criminology (10 Aufl.). Philadelphia, New York, San Jose, Toronto: J.B. Lippincott Company.
- Walklate, S. (2007). Understanding criminology. Current theoretical debates. (3. Aufl.). New York: Open University Press.
Weiterführende Informationen
Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle des LKA NRW
Podcasts
5 Minuten Kriminologie – Folge 2: Kriminologie als Wissenschaft
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Krimschnack – Episode 1: Was ist Kriminologie?
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