Viele Studierende möchten im Rahmen ihrer Bachelorarbeit oder einer größeren Seminararbeiten empirisch arbeiten und entscheiden sich, ein sog. Experteninterview zu führen. Der nachfolgende Beitrag erklärt, was ein Experteninterview ist, welche Besonderheiten bei der Erhebung und Auswertung der Daten zu beachten sind und warnt vor häufigen „Fallstricken“ über die Studierende stolpern.
Das Führen und Auswerten von (Experten-)Interviews ist ein äußerst komplexes Verfahren der qualitativen Sozialforschung, das zahlreiche Feinheiten kennt, die hier im Einzelnen nicht behandelt werden können. Es wird daher dringend die ergänzende Lektüre zahlreich verfügbarer Fachliteratur zum Thema empfohlen (z.B. Bogner, Littig, Menz, 2014; Flick, 2009; Mayring, 2010).
Was ist ein Experteninterview und wer gilt als „Experte“?
Bei einem Experteninterview (oder natürlich auch: Expertinneninterview) handelt es sich i.d.R. um ein sog. teilstrukturiertes Interview. „Teilstrukturiert“ meint, dass sich das Gespräch mit dem Experten an einem Leitfaden orientiert. Die Fragen an den Experten sind jedoch weder standardisiert und in sich geschlossen (also etwa wie in einer Fragebogenerhebung, in der z.B. die Zustimmung abgefragt wird: ja/ nein, stimme voll zu, teils/teils, stimme nicht zu etc.) noch handelt es sich um ein sog. narratives Interview, in dem der Interviewte völlig frei und ohne Steuerung durch den Interviewer frei „aus dem Nähkästchen“ plaudert. Für ein Experteninterview muss ein Leitfaden vorbereitet werden, der alle zu besprechenden Themen und Fragen enthält. Dieses Dokument dient jedoch nur als Arbeitshilfe für den Interviewer und wird dem Interviewten nicht ausgehändigt. Es darf sowohl vom Wortlaut der Fragestellung als auch der Reihenfolge der Fragen abgewichen werden.
Formal zählt ein Experteninterview zu den qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung. Was dies genau bedeutet wird bei der Auswertung des Interviewmaterials ersichtlich.
Vorbereitung auf das Experteninterview
Einen Experten zu befragen, entbindet den Autor einer Arbeit nicht von der Pflicht, sich selbst Expertenwissen anzueignen. Im Gegenteil: Bevor das Interview geführt werden kann, muss der Interviewer sich selbst eine Expertise aneignen. Nur so kann vorab ein vernünftiger Leitfragen erstellt werden und ein geeigneter Experte gewählt werden.
Wer gilt überhaupt als Experte?
Die Frage, wer als Experte gelten kann, wird innerhalb der qualitativen Sozialforschung durchaus strittig diskutiert. Flick (2009) plädiert für einen weiten Expertenbegriff:
Die Expertise ist also unabhängig von akademischen Titeln o.ä. und abhängig vom Forschungsgebiet bzw. der forschungsleitenden Frage. Der Experte wird in der Regel in seiner Funktion als Rollen-/ Funktionsträger interviewt. Je nach Forschungsthema und -frage kann also beispielsweise ein Mitglied einer jugendlichen Subkultur, ein Drogenkonsument oder ein Behördenmitarbeiter „Experte“ sein.
Die Antwort auf die Frage, wer oder was ‚Experten‘ sind, fällt in Abhängigkeit vom Untersuchungsgegenstand und darauf bezogenem theoretisch-analytischen Forschungsansatz ganz unterschiedliche aus. (…) Als Experten könnte man diejenigen Personen bezeichnen, die in Hinblick auf einen interessierenden Sachverhalt als ‚Sachverständige‘ in besonderer Weise kompetent sind.
Deeke, 1995, S. 7f.; zitiert nach Flick 2009: 214
Ist ein Experte gefunden, gilt es einen Gesprächstermin zu vereinbaren. Da der Erfolg einer Arbeit mit qualitativ guten, verwertbaren Interviews steht und fällt, ist es entscheidend einen verbindlichen Termin zu vereinbaren und ggf. den Gesprächspartner kurz vor dem verabredeten Interviewtermin erneut an die Verabredung zu erinnern. Häufig besteht der Wunsch bei den Gesprächspartnern vorab bereits die konkreten Interviewfragen zu erfahren. Diesem Wunsch sollte nach Möglichkeit nicht nachgekommen werden, da hierunter die Spontanität der Interviewsituation leiden würde. Aus demselben Grund ist ein Interview, das in einer face-to-face Gesprächssituation geführt wird, einem E-mail-Interview vorzuziehen. Es empfiehlt sich zudem, den Interviewpartner bereits jetzt darauf aufmerksam zu machen, dass das Gespräch zu Auswertungszwecken aufgenommen werden soll. So kann sich der Experte bereits auf die Situation einstellen.
Vor dem Interview ist ein Gesprächsleitfaden zu erstellen. Er dient als Gedankenstütze für den Interviewer, um im Laufe des Gesprächs keine wichtigen Fragen zu vergessen. Der Leitfaden bildet einen idealisierten Gesprächsverlauf ab, der sich vermutlich in dieser Form nicht realisieren lassen wird. Bei teilstandardisierten Befragungen ist die Reihenfolge der Fragen variabel und kann/ muss an den sich natürlich ergebenden Gesprächsverlauf angepasst werden. Um sich schnell und dezent einen Überblick über die noch ausstehenden Fragen zu verschaffen, ist es ratsam, die Fragen zum einen nach Oberthemen zu gruppieren und zum anderen die Fragen in großer Schriftgröße auszudrucken (nichts stört den Gesprächsfluss mehr, als wenn der Interview sekundenlang in seinen Notizen blättern muss, um die nächste Frage zu finden).
Im Rahmen der Gesprächsvorbereitungen muss sich der Interviewer auch Gedanken über den Gesprächsbeginn machen. Welche Informationen über die eigene Person und das Forschungsvorhaben sollen/ müssen preisgegeben werden? Es gilt hierbei die Balance zu finden zwischen einer geeigneten Einstimmung in das Thema und der unbedingten Vermeidung einer tendenziösen Beeinflussung des Interviewpartners.
Schließlich gilt es, das Aufnahmegerät zu testen und sich damit vertraut zu machen. Wie laut sind Nebengeräusche im Raum zu hören? Wie lange hält der Akku des Aufnahmegeräts? Wie groß ist die Speicherkapazität des Gerätes? Lassen sich die erstellten Aufnahmen problemlos auf den Rechner übertragen und weiterverarbeiten? etc. Die Aufnahmefunktion von Mobiltelefonen erzielt hier recht brauchbare Ergebnisse. Gerade für schwierige Aufnahmesituationen (viele Nebengeräusche, Interview muss im Freien geführt werden etc.) bietet sich jedoch ein professionelles Diktiergerät an.
Durchführung eines Experteninterviews
Der Experte, der sich für ein Interview zur Verfügung stellt, tut dies in der Regel ohne eine Gegenleitung zu erhalten. Es versteht sich von daher, dass sich die Durchführung des Interviews sofern möglich nach den Wünschen des Interviewten richtet; d.h. dieser bestimmt in der Regel Zeit und Ort des Interviews. Bei der Festlegung des Ortes sollte jedoch darauf geachtet werden, dass möglichst wenig störende Nebengeräusche die Aufnahmequalität negativ beeinflusst. Ein Straßencafé ist daher eher nicht als Gesprächsort geeignet ebenso wenig wie ein Aufenthaltsraum, der von vielen Mitarbeitern genutzt wird etc.
Zu Beginn des Interviews muss unbedingt geklärt werden, ob dem Interviewpartner Anonymität zugesichert werden soll/ kann. Da dieser in seiner Funktion als Rollenträger und weniger als Individuum ausgewählt wurde, stellt dies in der Regel kein Problem dar. Schwieriger ist, wenn die spezifische Rolle einen eindeutigen Rückschluss auf die Person zulässt (z.B. Leiter der Behörde X, Mitarbeiter der Y verantwortlich für den Bereich Z). Der Grad der Anonymität hat Auswirkungen auf das Antwortverhalten. Ein Gesprächspartner, der dem Interviewer vertraut, dass seine Anonymität bewahrt bleibt, wird sich sehr viel eher auch zu kritischen/ kontroversen Themen äußern.
Vor Beginn des Interviews muss erneut darauf hingewiesen werden, dass das Gespräch aufgezeichnet wird. Erst nachdem der Interviewpartner der Aufzeichnung erneut zustimmt, wird das Aufnahmegerät angeschaltet. Es sollte so positioniert werden, dass eine gute Tonqualität gewährleistet ist, aber gleichzeitig der Gesprächspartner nicht zu sehr durch das vor ihm liegende Gerät abgelenkt wird.
Wenn man plant, die Forschungsergebnisse über eine hochschulinterne Veröffentlichung hinaus zu veröffentlichen (also z.B. in einem Fachjournal), ist es notwendig, sich eine schriftliche Einverständniserklärung einzuholen, Interviewpassagen (wenn möglich in anonymisierter Form, s.o.) nutzen zu dürfen.
Sind diese Fragen geklärt, kann das eigentlich Interview beginnen.
Plant man mehrere Interviews durchzuführen, ist es ratsam Ort, Zeit und Interviewpartner zu benennen, so dass man später bei der Auswertung die Aufnahmen eindeutig zuordnen kann („Heute ist der TT.MM.JJ. Wir befinden uns in den Räumlichkeiten der Firma X. Mir gegenüber sitzt der Leiter der Abteilung Y, Herr Meier, der sich freundlicherweise bereit erklärt hat, mir einige Fragen zum Thema Z zu beantworten.“).
Um den Interviewpartner auf das Gespräch einzustimmen, leitet der Interviewer zum eigentlichen Thema über. Dieser Gesprächsimpuls ist mit Bedacht zu setzen, da er über den weiteren Gesprächsverlauf bestimmt. Im Allgemeinen sollte man sich um eine größtmögliche Objektivität bemühen und auf alle wertenden Aussagen verzichten (z.B. „Wie Sie bereits wissen, forsche ich zum Thema Drogenprohibition. Hierzu habe ich einige Fragen an Sie.“). Je nach Forschungsthema/ -frage kann es aber auch denkbar sein, dass man gezielt versucht, den Gesprächsverlauf zu lenken (z.B. „In den letzten Jahren ist die Zahl der Drogentoten gestiegen, ebenso wie die Zahl der polizeilich registrierten erstauffälligen Konsumenten harter Drogen. Dies war Anlass für mich, ein Forschungsprojekt zur Legalisierung von Cannabis zu initiieren. Hierzu würde ich Ihnen nun gerne ein paar Fragen stellen.“). Man kann sich vorstellen, dass das Gespräch je nach gewähltem Einstieg in den o.g. Beispielen sehr unterschiedlich verläuft.
Das Problem der sozialen Erwünschtheit
Mit sozialer Erwünschtheit bezeichnet man in der empirischen Sozialforschung den Umstand, dass Probanden Ihr Antwortverhalten auf die antizipierte Haltung des Fragestellers abstimmen und vermeintlich „wunschgemäß“ antworten. Ein Beispiel für ein Antwortverhalten, das von der sozialen Erwünschtheit geprägt ist, findet man z.B. in Untersuchungen zum Sexualverhalten. Wird nach der Anzahl bisheriger Sexualpartner gefragt, geben männliche Befragte i.d.R. eine deutlich höhere Zahl an, als die weiblichen Befragten. Dies ist vermutlich dem Umstand geschuldet, dass Männern in westlichen Kulturen eher Promiskuität zugestanden wird als Frauen, von denen gesellschaftlich eine sexuelle Enthaltsamkeit oder zumindest ein monogames Sexualverhalten erwartet wird. Eine Frau, die wahrheitsgemäß von mehreren vergangenen Sexualpartnern berichtet, bräche hier mit diesen normativen gesellschaftlichen Vorstellungen. Um dem drohenden Ansehensverlust abzuwenden, entscheidet sich diese Frau möglicherweise eine niedrigere Anzahl an Sexualpartnern anzugeben. Derselbe Effekt kann auch dafür verantwortlich sein, dass männliche Befragte die Zahl ihrer vergangenen Sexualpartner überschätzen.
Das Problem der sozialen Erwünschtheit tritt insbesondere bei Themen zutage, die einer moralischen Beurteilung unterliegen (können) (z.B. Wie stehen Sie zu der Todesstrafe? Sind Sie in der Vergangenheit bereits einmal straffällig geworden? Wie stehen Sie zur körperlichen Züchtigung von Kindern? etc.).
Grundsätzlich gilt es, offene Fragen zu stellen. Ziel eines Experteninterviews muss sein, dass der Experte möglichst viel von seinem Expertenwissen offenbart. Dies gelingt jedoch nicht, wenn er geschlossene Fragen mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet. Zudem sollten Suggestivfragen unbedingt vermieden werden (z.B. „Sie sind doch sicherlich auch der Meinung, dass … Oder etwa nicht?“).
Idealerweise entsteht nach kurzer Zeit ein natürlicher Gesprächsfluss, der durch den Interviewer vorsichtig gelenkt nicht jedoch unterbrochen werden sollte. Durch leichtes Kopfnicken oder ein bestätigendes „Ja“ kann der Gesprächspartner ermutigt werden, weiter zu sprechen. Der Interviewer behält unterdessen den Leitfaden im Blick und überprüft, welche Themen bereits besprochen wurden. Da es sich um ein teilstrukturiertes Interview handelt, muss die vorgesehene Reihenfolge der Themen nicht eingehalten werden. Lasst den Experten in seinem Tempo und seiner eigenen Logik folgend, in Ruhe erzählen. Wenn der Experte mit seinen Ausführungen am Ende ist, könnt Ihr immer noch auf ein Thema zurückkommen und Nachfragen stellen („Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie …. Können Sie dazu noch mehr erzählen?“).
Transkription und Auswertung eines Experteninterviews
Das Transkribieren von Experteninterviews
Wenn das Gespräch mit einem oder mehreren Experten geführt wurde, beginnt die eigentliche Arbeit. Die aufgezeichneten Gespräche werden jetzt abgehört und Wort für Wort aufgeschrieben. Diese Tätigkeit bezeichnet man als das Transkribieren (lat. transkribere = umschreiben). Ihr werdet dabei schnell feststellen, dass dies ein äußerst zeitraubendes Unterfangen ist. Dies liegt u.a. auch daran, dass sich das gesprochene Wort stark von der Schriftsprache unterscheidet. Sätze werden nicht zuende gebracht, Verben fehlen am Ende des Satzes oder Endungen entsprechen nicht den grammatikalischen Vorschriften und viele Pausen und Füllwörter zerstückeln den Wortfluss. Die Transription erfolgt hier wortgenau.
Je nach Forschungsvorhaben und Fragestellung kann es sogar entscheidend sein, auch nicht-sprachliche Äußerungen zu notieren. Wenn die interviewte Person beispielsweise eine längere Pause macht, bevor er oder sie zur Antwort ansetzt, mag das auf Unsicherheit, innere Zerissenheit oder Unmut zurückzuführen sein. Aber auch Lachen, Weinen, das Absenken oder Anheben der Stimme können/ sollten beim Transkribieren mit vermerkt werden.
Die transkribierten Interviews werden dem Anhang der Arbeit beigefügt. Sie erhalten jeweils eine eindeutige Nummerierung/ Beschriftung, eine eigenständige Seitennummerierung und vor allem Zeilennummerierung. So lässt sich eindeutig ein Quellenverweis auf Passagen aus den Interviews erstellen (z.B. „Interview 1, S. 3, Z. 18“)
Software zur Unterstützung bei der Transkription und Auswertung von Experteninterviews
Die Transription und auch die spätere Auswertung von Experteninterviews lässt sich ohne Weiteres mit herkömmlichen Office-Programmen bewerkstelligen.
Allerdings stellen speziell auf diese Aufgaben zugeschnittene Programme eine erhebliche Arbeitserleichterung dar. Besonders bewährt haben sich das Programm f4transkript für die Transkription von Experteninterviews und das Programm MAXQDA für die Auswertung transkrbierter Interviews. Beide Programme sind kostenpflichtig, bieten jedoch preislich moderate, zeitlich begrenzte Lizenzen für Studierende an.
Die Auswertung von Experteninterviews
Bei der inhaltsanalytischen Auswertung von Interviews handelt es sich um ein datenreduzierendes Verfahren, d.h. die transkribierten Interviews müssen nun auf ihren Sinngehalt überprüft und zusammengefasst werden. Diesen Arbeitsschritt bezeichnet man auch als Kodierung.
Dies geschieht durch die Bildung von Kategorien oder eben Codes. Welche und vie viele Kategorien/ Codes gebildet werden, hängt von den Experteninterviews und der forschungsleitenden Fragestellung ab. Durch das mehrfache Lesen der Experteninterviews und die Interpretation von Aussagen werden einzelne Wörter, Sätze oder auch ganze Passagen einer Kategorie zugeordnet. Dieser Auswertungsschritt ist der bedeutendste im Forschungsprozess. Bei der Kategorisierung sollte man sich durch das Material leiten lassen und der Versuchung widerstehen ein erwünschtes Ergebnis durch die Fehl- oder Überinterpretation von Aussagen zu erlangen. Gewissheit schafft hier in Zweifelsfällen die sog. Intercoder-Validität, d.h. die Überprüfung, ob bei der Codierung des Materials durch zwei unabhängige Personen vergleichbare Ergebnisse erzielt werden.
Nachdem in etwa ein Drittel des Material kodiert wurde, werden die Kategorien gesammelt und erneut überprüft, ggf Kategorien ergänzt oder gestrichen. Nach der Festlegung auf das Kategorienschema wird dann das gesamte Material einer Prüfung unterzogen.
Die Auswertung von Experteninterviews auf die beschriebene Art und Weise ist grundsätzlich eine qualitative Forschungsmethode. Aber natürlich bieten sich auch Anknüpfungspunkte an quantitative Forschungsansätze. So ließen beispielsweise Wortnennungen zählen und statistisch auswerten.
Darstellung der Forschungsergebnisse in schriftlichen Arbeiten
Ist das Experteninterview geführt, transkribiert und ausgewertet, folgt die schriftliche Ergebnisdarstellung. Bei qualitativen Arbeiten bietet es sich zumeist an, die im Zuge der Codierung festgelegten Kategorien als Gliederungsgerüst für die schriftliche Arbeit zu nehmen. Bei der Ergebnisdarstellung können die eigenständig, empirisch gewonnenen Daten mit Erkenntnissen, die man der Fachliteratur entnommen hat angereichert werden.
In vielen studentischen Arbeiten werden die Ergebnisse aus der inhaltsanalytischen Bearbeitung von Experteninterviews als eigenständiges Kapitel (mitunter sogar als Anhang an die Arbeit) in den Schlussteil der Arbeit verbannt. Das entspricht zum einen nicht dem gängigen Stand wissenschaftlicher Praxis und vor allem verkauft man hier die mühsam gewonnenen Erkenntnisse unter Wert. Durch die Entscheidung, Experteninterviews zu führen, entscheidet man sich für eine empirische Arbeitsweise. Der Darstellung der empirischen Methode und der empirisch gewonnenen Erkenntnisse dürfen und müssen entsprechend prominent in der Arbeit platziert werden.
Beispiel für eine Gliederung
Nehmen wir einmal an, in einer Arbeit sollen die Gründe für normabweichendes Verhalten von Jugendlichen erforscht werden Zu diesem Zweck wurden leitfadengestützte Interviews mit einigen Jugendlichen geführt und diese kodiert. Zahlreiche Interviewpartner erwähnen Langeweile als ein Motiv für deviantes Verhalten. In diesem Kontext wird auch vom Konsum legaler und illegalisierter Drogen berichtet. Die entsprechenden Interviewpassagen wurden den Auswertungskategorien „Langeweile“, „Alkohol“ und „Cannabis“ zugeordnet.
Um dieses empirische Ergebnis jetzt adäquat schriftlich abzubilden, würde sich ein Gliederungspunkt anbieten, den man „Freizeitverhalten“ nennen könnte. Neben direkten und indirekten Zitaten aus den Experteninterviews ließe sich in diesem Abschnitt auch noch auf andere kriminologische Forschungsarbeiten verweisen, die ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Freizeitverhalten und devianten Handlungen festgestellt haben. Das Kapitel „Freizeitverhalten“ könnte ein Unterkapitel zugeordnet werden, in dem auf den jugendlichen Suchtmittelkonsum eingegangen wird. Auch hier ließen sich die eigenständig gewonnenen Erkenntnisse mit bereits publizierten Informationen zum Substanzkonsum von Jugendlichen anreichern.
Eine Gliederung könnte wie folgt aussehen:
- Einleitung
- Methodisches Vorgehen
- Jugenddevianz
- …
- …
- Gründe für Jugenddevianz
- Freizeitverhalten
- Alkoholkonsum von Jugendlichen
- Konsum illegalisierter Substanzen von Jugendlichen
- …
- …
- Fazit
- Literatur
- Anhang
- Interview 1
- Interview 2
- Interview 3
Literatur und weiterführende Quellen
- Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (2014) Interviews mit Experten. Eine praxisorientierte Einführung. Wiesbaden: Springer VS.
- Flick, U. (2009). Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. (2. Aufl.). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.
- Forum: Qualitative Sozialforschung. Online unter: https://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/index
- Hilz, M., Otten, H.R. (2023). Qualitative Expert*inneninterviews. In: Hollenberg, S., Kaup, C. (Hrsg.). Empirische Sozialforschung für die Polizei- und Verwaltungswissenschaften. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-39803-3_9
- Mayring, P. (2010). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim: Beltz.