Bei Befragungen handelt es sich um das sicherlich bekannteste und um das am häufigsten angewandte Verfahren. In der Regel handelt es sich um standardisierte Befragungen, d.h. eine vorab festgelegte Frage, wird unverändert allen Interviewten vorgelegt. Standardisierte Befragungen arbeiten zumeist mit geschlossenen Fragen (also z.B. ja/ nein; stimme zu/ stimme nicht zu usw.) und sind damit den quantitativen Forschungsmethoden zuzurechnen. Die Erhebung der Daten selbst (man spricht hier vom Erhebungsinstrument) kann in Form eines Face-to-face-Interviews stattfinden, über das Telefon erfolgen, schriftlich stattfinden nachdem die Fragebögen postalisch versandt oder auf einer Internetseite zur Verfügung gestellt wurden. Jede der benannten Erhebungsmethoden ist mit verschiedenen Vor- und Nachteilen verbunden. Die nachstehende Tabelle fasst die wesentlichen Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Erhebungsmethoden zusammen.
Vorteile | Nachteile | |
---|---|---|
face-to-face | es kann sichergestellt werden, dass der Fragebogen korrekt ausgefüllt wird; Interviewsituation schafft "Verbindlichkeit" | kostenintensiv, da Interviewer bezahlt werden müssen; zeitintensiv, je mehr Interviewer, desto mehr Datensätze können erhoben werden; Problem der sozialen Erwünschtheit; Befragung zu sensiblen Themen erfordert "Fingerspitzengefühl" der Interviewer |
postalisch | Erfassung vieler Datensätze innerhalb kurzer Zeit möglich | kostenintensiv durch entstehende Druck- und Portokosten; es kann nicht sichergestellt werden, dass wirklich die gewünschte Person innerhalb eines Haushaltes den Fragebogen ausfüllt; Interviewsituation unterliegt keiner sozialen Kontrolle --> vorzeitiger Abbruch der Befragung, Scherzantworten; Rücklaufquote evtl. gering; Daten müssen vor Weiterverarbeitung elektronisch erfasst werden |
telefonisch | Interviewsituation schafft "Verbindlichkeit"; über die Vorwahl von Festnetznummern lässt sich der Wohnort der Befragten eingrenzen | kostenintensiv, da Interviewer bezahlt werden müssen; zeitintensiv, je mehr Interviewer, desto mehr Datensätze können erhoben werden; Problem der sozialen Erwünschtheit; es werden nur Menschen erreicht, die über a) einen Telefonanschluss verfügen, b) zur gegebenen Zeit vor Ort sind |
Internet-gestützt | Erfassung vieler Datensätze innerhalb kurzer Zeit möglich; sehr kostengünstiges Verfahren; Daten werden von vornherein elektronisch erfasst und müssen vor Weiterverarbeitung nicht aufbereitet werden; gut geeignet für Schneeballverfahren (Weiterempfehlung über soziale Netzwerke) | es werden nur Menschen erreicht, die Zugang zum Internet haben; Interviewsituation unterliegt keiner sozialen Kontrolle --> vorzeitiger Abbruch der Befragung, Scherzantworten; evtl. datenschutzrechtliche Probleme je nach verwendeter Software |
Größter Vorteil der Befragung ist, dass ein einmal entwickelter Fragebogen in kurzer Zeit vielen Personen vorgelegt werden kann. Somit lassen sich z.B. repräsentative Befragungen großer Populationen realisieren.
Was ist Repräsentativität?
Eine der bekanntesten repräsentativen Befragungen in Deutschland ist die sog. Sonntagsfrage, also die Frage: „Wen würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag (Bundestags-)Wahl wäre?„. Die sog. Grundgesamtheit stellt bei dieser Frage die Zahl der Wahlberechtigten in Deutschland dar. Diese Zahl liegt bei gut 60 Millionen Personen. Es ist offensichtlich, dass eine Befragung von 60 Millionen Bürgern außerhalb der eigentlichen Wahl nicht realisierbar ist. Daher wird eine Stichprobe von wenigen Tausend Wahlberechtigten gezogen, die von infratest dimap befragt werden (Mehr Informationen zum Verfahren findet sich auf der Webseite von infratest dimap). Die Stichprobe gilt jetzt als repräsentativ, wenn wesentliche Merkmale, von denen eine Wahlentscheidung abhängt (z.B. Geschlecht, Bildungsgrad, Wohnort, Migrationsstatus, Alter usw.) in der Grundgesamtheit und der Stichprobe gleichverteilt sind. Hierzu ein Beispiel:
Repräsentativität verweist auf die Ziehung einer Stichprobe aus meiner Grundgesamtheit. Nehmen wir an, in einem undurchsichtigen Gefäß befinden sich 50 weiße und 50 schwarze Bälle. Die 100 Bälle sind in diesem Beispiel die Grundgesamtheit. Nun soll die Verteilung der Farben ermittelt werden, ohne dass jedoch alle 100 Bälle angeschaut werden sollen. Zu diesem Zweck wird eine Zufallsstichprobe von 10 Bällen gezogen. Idealerweise wären von den 10 zufällig ausgewählten Bällen 5 weiß und 5 schwarz. Dies wird jedoch vermutlich nicht der Fall sein. Vielleicht sind in der Zufallsstichprobe zunächst 6 weiße und 4 schwarze Bälle enthalten. Man spricht in diesem Fall von einem Stichprobenfehler. Nachdem die Bälle wieder in das Gefäß zurückgelegt wurden, wird erneut eine Zufallsauswahl von zehn Bällen gezogen und die Verteilung auf die Merkmale weißer bzw. schwarzer Ball notiert. Nach etlichen Testdurchläufen wird der Mittelwert der Verteilung von weißen und schwarzen Bällen errechnet.
Das kleine Gedankenexperiment lässt zweierlei Schlussfolgerungen zu.
- Je mehr Stichproben ich probehalber ziehe, desto genauer wird sich der ermittelte Mittelwert der tatsächlichen Verteilung in der Grundgesamtheit nähern.
- Was hier anhand von 100 unterschiedlich farbigen Bällen illustriert wurde, wird sehr viel komplexer, wenn wir es auf unzählige, ein Wahlverhalten beeinflussende Merkmale von 60 Millionen Wahlberechtigten übertragen. In diesem Fall wird unsere Stichproben vermutlich niemals ohne Stichprobenfehler sein.
Daher geht man in den Sozialwissenschaften üblicherweise von einer sog. Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% aus (häufig ausgedrückt als p=0,5). Der Wert besagt, dass von 100 gezogenen Stichproben in nicht mehr als 5 ein Irrtum auftritt (siehe hierzu ausführlich auch: Häder & Häder, 2019, 336ff.).
Im Kontext von Stichprobenziehung und Repräsentativität ist schließlich noch das Problem der Rücklaufquoten oder Ausschöpfungsquoten zu erwähnen. Hiermit wird der Anteil der Befragten beschrieben, die einen Fragebogen wunschgemäß beantworten. Generell ist die Ausschöpfungsquote bei mündlichen Befragungen höher als bei schriftlichen. Eine Quote von 20% kann bereits als sehr gutes Ergebnis verbucht werden. Eine geringe Ausschöpfungsquote kann die Repräsentativität gefährden, wenn eine systematische Ablehnung bestimmter Teilnehmergruppen und damit eine systematische Verzerrung der Ergebnisse erkennbar ist (also z.B. Arbeitnehmer aus Zeitgründen nicht antworten, sondern überwiegend Arbeitssuchende, Hausfrauen/-männer etc.). Aufgrund der allgemeinen Schulpflicht in Deutschland haben Schülerbefragungen sehr hohe Ausschöpfungsquoten. Allerdings werden auch hier notorische SchulschwänzerInnen ausgeschlossen.
Operationalisierung und das Problem der fehlenden Validität
Ein großer Vorteil quantitativer Forschung besteht darin, dass eine Forschungsfrage mittels zahlreicher zur Verfügung stehender statistischer Verfahren eindeutig beantwortet werden kann. Am Ende eines Forschungsprozesses steht idealerweise ein numerischer Wert, der unter Angabe von Signifikanzen, Irrtumswahrscheinlichkeiten und Korrelationsmaßen uns bis auf die Nachkommastelle verrät, welchen Einfluss, Auswirkungen etc. bestimmte Variablen auf das Verhalten von Menschen oder soziale Phänomene im Allgemeinen haben. Diese rechnerische Eindeutigkeit täuscht darüber hinweg, dass im Vorfeld einer standardisierten Befragung die Komplexität, Ambivalenz und Widersprüchlichkeit, die häufig kennzeichnend für menschliches Denken und Handeln ist, in die binäre Logik eines Fragebogens übersetzt wird, der zwischen Ja-/Nein-Antworten und im besten Fall zwischen einer mehrstufigen Skala differenziert (siehe hierzu ausführlich auch die verschiedenen Skalenniveaus). Anders als in der qualitativen Forschung ist für Mehrdeutigkeit und ein „grundsätzlich ja, aber …“ in der quantitativen Forschung kein Platz. Dieser Umstand wird von Forschenden, die qualitative Methoden befürworten, kritisiert. Die Kritiker monieren auch, dass durch die Quantifizierung und Zählung von Eigenschaften eine Messgenauigkeit suggeriert wird, die in dieser Form nicht bestehen kann.
Es setzt sehr viel Erfahrung und ein ausgezeichnetes Sprachgefühl voraus, um einen Fragebogen zu entwickeln, der in der Regel dann noch mehrfach einem sog. Pretest unterzogen wird, ehe die eigentliche Erhebung beginnt. Die größte Gefahr, die es bei Erstellung eines Fragebogens gibt, ist eine fehlende Validität oder Messgenauigkeit (siehe hierzu ausführlich unter Qualitätskriterien für wissenschaftliche Arbeiten). Anders als in den Naturwissenschaften ist der Gegenstand des Erkenntnisinteresses in der empirischen Sozialforschung nicht unmittelbar erfahrbar, beobachtbar und messbar, sondern häufig ein soziales Konstrukt. Soziale Konstrukte wie Furcht, Glück, abweichendes Verhalten usw. lassen sich nicht mit Waage, Zentimetermaß oder durch einen Lackmustest bestimmen. Erschwerend kommt hinzu, dass das Verständnis von sozialen Konstrukten individuell abweichend sein kann. Menschen haben beispielsweise ein unterschiedliches Verständnis davon, was Furcht ist, wovor sie sich fürchten und von welchen Faktoren diese Furcht abhängig ist.
Der Forschende muss im Forschungsprozess zunächst die soziale Konstrukte operationalisieren, d.h. sie in allgemeinverständliche und allgemeingültige Faktoren zerlegen. Hierbei besteht die Gefahr, dass schlussendlich Dinge gemessen werden, die aus der Perspektive der Befragten den eigentlichen Forschungsgenstand nur unzureichend abbilden. Die Forschung wäre dann nicht länger valide. Ein Beispiel für dieses allgegenwärtige Problem in der quantitativen Forschung ist die Kritik am sog. Standardindikator, der bei der Messung von Kriminalitätsfurcht verwendet wird.
Beispiel für ein standardisierte, schriftliche Befragungen
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) führt seit 1998 wiederholt Befragungen von Schülerinnen und Schüler durch. Die Befragung ist als Dunkelfeldstudie angelegt, die das Ausmaß von Täter- und Opferschaft unter SchülerInnen der (vornehmlich) neunten Jahrgangsstufe erforscht. Eine Befragung von SchülerInnen hat den Vorteil, dass aufgrund der allgemeinen Schulpflicht in Deutschland, davon auszugehen ist, dass nahezu alle schulpflichtigen Personen erreicht werden können (von notorischen Schulschwänzern und erkrankten Personen abgesehen). Zudem ist bei der Befragung in einem Schulsetting von einem sehr hohen Rücklauf auszugehen. Die repräsentativen Befragungen setzen je nach Erhebungsgebiet auf viele tausend Befragte. In der repräsentativen SchülerInnenbefragung 2007/2008 wurden beispielsweise über 50.000 SchülerInnen aus 61 aus zufällig ausgewählten Landkreisen bzw. kreisfreien Städten befragt.
Vor- und Nachteile der standardisierten, schriftlichen Befragung auf einen Blick
Vorteile
- Standardisierte Befragungen sind verhältnismäßig kostengünstig
- Standardisierte Befragungen erlauben, viele Daten in kurzer Zeit zu erheben und auszuwerten (Repräsentativität)
- Werden die Fragebögen selbstständig von den Probanden ausgefüllt, gewährleistet dies eine hohe Anonymität und ermöglicht die Abfrage sensibler Daten.
Nachteil
- häufig geringe Rücklaufquoten und Gefahr einer systematischen Verzerrung/ Einschränkung der Repräsentativität
- Formulierung der Fragen (Operationalisierung) setzt viel Erfahrung voraus
- Standardisierte Befragungen beschränken sich sinnvollerweise auf geschlossene Fragen, da die Auswertung von Antworten auf offene Fragen die Vorteile konterkarieren.
- Eine detaillierte (mulitvariate) statistische Auswertung, setzt viel Wissen und Erfahrung voraus.
Literatur und weiterführende Informationen
- Bachman, R. D.; Schutt, R. K. (2020). The practice of research in criminology and criminal justice (7. Aufl.). Thousand Oaks: Sage.
- Bachmann, R. D.; Schutt, R. K. (2017). Fundamentals of Research in Criminology and Criminal Justice (4. Aufl.). Los Angeles u.a.: Sage.
- Baur, N.; Blasius, J. (Hrsg.) (2019). Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung (2. Aufl.). Wiesbaden: Springer.
- Bryman, A. (2001). Social Research Methods. Oxford, New York: Oxford University Press.
- Cullen, F. T.; Wright, J. P. & Blevins, K. R. (Hrsg.) (2008). Taking Stock. The Status of Criminological Theory. Advances in Criminolological Theories (Band 15). New Brunswick, London: Transaction Publishers.
- Eifler, S.; Pollich, D. (Hrsg.) (2014). Empirische Forschung über Kriminalität. Methodologische und methodische Grundlagen. Wiesbaden: Springer.
- Flick, U. (2009). Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. (2. Aufl.). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.
- Häder, M. (2015). Empirische Sozialforschung. Eine Einführung (3. Aufl.). Wiesbaden: Springer.
- Häder, M.; Häder (2019). Stichprobenziehung in der quantitativen Sozialforschung. In: Nina Bauer & Jörg Blasius (Hrsg.). Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden: Springer; S. 333-348.
- Hunold, D.; Ruch, A. (Hrsg.) (2020). Polizeiarbeit zwischen Praxishandeln und Rechtsordnung. Empirische Polizeiforschungen zur polizeipraktischen Ausgestaltung des Rechts. Wiesbaden: Springer.
- ILMES (o.J.) Internet-Lexikon der Methoden der empirischen Sozialforschung. Online verfügbar unter: http://wlm.userweb.mwn.de/Ilmes/.
- Kersting, S., Reutemann, M. (2023). Quantitative Forschung am Beispiel „Fragebogen“. In: Hollenberg, S., Kaup, C. (Hrsg.). Empirische Sozialforschung für die Polizei- und Verwaltungswissenschaften. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-39803-3_7
- Schnell, R.; Hill, P. B.; Esser, E. (1999). Methoden der empirischen Sozialforschung (6. Aufl.). München, Wien: Oldenbourg.