Wie inszenieren sich Gangsta-Rapper selbst – und welche Rolle spielt dabei die PolizeiDie Polizei ist eine staatliche Institution zur Gefahrenabwehr, Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Verfolgung von Straftaten.? Dieser Beitrag beleuchtet typische Rollenbilder im Deutschrap und deren politische Dimensionen.
Bevor die idealtypischen Selbstdarstellungen im Gangsta-Rap analysiert werden, sei ein kurzer Rückblick auf die quantitativen Ergebnisse des Projekts gestattet. Sie zeigen, in welchem Umfang die Polizei im Rap thematisiert wird – und liefern die Grundlage für die nachfolgende Typisierung.
In der vorliegenden Studie wurden zunächst alle 923 deutschsprachigen Alben identifiziert, die zwischen März 2015 und März 2022 eine Chart-Notierung in den offiziellen deutschen Hip-Hip-Chart erzielt haben. Sodann wurden zu 906 der 923 Alben insgesamt 13.203 Liedtexte gesammelt und überprüft, inwieweit diese einen Polizeibezug enthalten. Die 3.160 hier identifizierten Lieder stellen das Untersuchungssample (N) dar. In einem ersten Analyseschritt wurden quantitative Auswertungen vorgenommen. In einem zweiten Schritt wurde eine randomisierte Stichprobe von 316 Liedern gezogen, die um eine zweite Stichprobe von Liedern, die einen Polizeibezug im Titel erkennen lassen, erweitert wurde. Nach der Bereinigung von doppelten Liedern ergibt sich ein Untersuchungssample für qualitative Auswertungen, das 354 Liedtexte umfasst (n1). Dies entspricht einem Anteil von 11,2 Prozent der Gesamtstichprobe. In einem mehrstufigen Prozess wurde die Teilstichprobe n1 offen codiert. Das Kategoriensystem, das Gegenstand des Kapitels V dieses Berichts ist, stellt das endgültige Ergebnis dieses Arbeitsprozesses dar. Die Polizei spielt in deutschsprachigen Rap-Liedern eine große Rolle. In fast jedem vierten chartnotierten Lied (23,95%) wird auf die Polizei Bezug genommen. Im Untersuchungszeitraum von 2015 bis 2022 bleibt dieser Wert weitestgehend konstant. Es ist auffällig, dass in knapp vierzig Prozent der Lieder mit einem Polizeibezug dies in Form der eindeutig negativ konnotierten Begriffe „Bulle / Bullerei“ und „ACAB / 1312ACAB steht für “All Cops Are Bastards” und ist ein international verwendetes Akronym, das Kritik an polizeilichem Machtmissbrauch und Gewalt ausdrückt. Die Zahlenkombination 1312 ist der numerische Code für ACAB.“ geschieht. Betrachtet man die Polizeibezüge je Künstler bzw. Gruppe, lässt sich feststellen, dass diese keineswegs gleichverteilt sind. Über 85 Prozent aller Künstlerinnen, Künstler oder Gruppen nehmen mindestens in einem Lied auf die Polizei Bezug. Jedoch gibt es eine kleine Zahl von Künstlern oder Gruppen, bei denen in Zweidrittel aller Lieder im Untersuchungssample die Polizei erwähnt wird. Diese besagten Künstler oder Gruppen sind ausnahmslos männlich und ihre Musik dem Subgenre Straßen- oder Gangsta-Rap zuzuschreiben. Die Dominanz des Straßen- und Gangsta-Raps zeigt sich ebenfalls in der qualitativen Auswertung. Die Polizei wird in den untersuchten Liedtexten häufig negativ charakterisiert, häufig wertneutral ihre Existenz zur Kenntnis genommen, jedoch ihre Arbeit nie positiv bewertet.Idealtypen der Rap-Persona zwischen Authentizität, Kriminalität und Staat
Die Darstellung der Polizei lässt sich aus der Perspektive der Künstler in verschiedene Idealtypen einteilen. Diese Typisierung ist jedoch nicht trennscharf und Überschneidungen sind häufig.Der Anti-Gangsta-Rapper
Toglenn, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Der Pate
Selfmade Records, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons
Der Straßen-Gangster
Foto: Stefan Brending, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de
Der echte Gangster
© Markus Felix | PushingPixels (contact me), CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Wie politisch ist deutschsprachiger Rap?
In den wenigsten der hier analysierten Liedtexte geht es vordergründig um eine fundierte Polizeikritik. Lieder wie Haftbefehls (2015) „CopKKKiller“1Für eine ausführliche Analyse siehe: (Wickert, 2018), „Herr Kommissar“ von Takt32 (2018), „Einzelfall“ von Neonschwarz (2022) oder „Bullentrack“ von Haze (2016) bilden hier die Ausnahme und sind nicht die Regel. Diese Lieder können durchaus in der Tradition politischer Protestlieder (vgl. Lynskey, 2011) gesehen werden. Die Vermutung, dass sich gesellschaftlich breit diskutierte Themen wie ungerechtfertigte PolizeigewaltPolizeigewalt beschreibt den Einsatz physischer oder psychischer Gewalt durch Polizeibeamte im Rahmen ihrer Dienstausübung. Sie kann sowohl legitim (im rechtlichen Rahmen) als auch illegitim (bei Überschreitung der Befugnisse) ausgeübt werden. (im Kontext der Black Lives Matter Bewegung), rassistische Äußerungen von Polizisten in polizeiinternen Chatgruppen usw. in einem stärkeren Maße in deutschsprachigen Rap-Liedtexten niederschlagen, hat sich als falsch erwiesen – zumindest mit Blick auf das hier untersuchte Sample. Dies heißt jedoch im Umkehrschluss jedoch nicht, dass deutschsprachige Rap-Musik unpolitisch sei. Neben politisch rechten Rappern wie z.B. MaKss Damage (vgl. Busch & Süß, 2021) über extremistisch-islamistische Rappern wie Deso Dogg (vgl. Kunz, 2016) bis hin zu antifaschistischen Rappern und Gruppen wie der Antilopengang, K.I.Z. und Neonschwarz decken deutschsprachiger Rap und seine Interpretinnen und Interpreten das gesamte politische Spektrum ab. Fundierte und explizite politische Äußerungen inklusive Polizeikritik spielen sich jedoch größtenteils fernab chartnotierter Rap-Musik – insbesondere fernab vom Gangsta-Rap – ab. Ein solcher offenkundig sozialkritischer und politischer Conscious-Rap spielt eine deutlich untergeordnete Rolle – sowohl in der deutschsprachigen als auch US-amerikanischen Musiklandschaft. Die Dominanz von Gangsta-Rap ist hierbei auf strategische Entscheidungen von Plattenfirmen zurückzuführen (vgl. Kubrin & Nielson, 2014, S. 14). Der Ausspruch „Crime sells“ besitzt auch für den Musikmarkt seine Gültigkeit. Seeliger (2016, S. 95) schreibt „politisches Handeln [ist] mit Lehmbruch (1968: 17) darauf gerichtet, ‚gesellschaftliche Konflikte über Werte verbindlich zu regeln‘. Als wesentliche Instanz zur Vermittlung solcher Werte wirkt in der modernen Gesellschaft das Feld der Populärkultur.“ Dies zeigt mit Blick auf Musik im Allgemeinen beispielsweise am Einsatz von Musik von staatlichen, politischen Akteuren – sei es der Einsatz von Musik im Wahlkampf, Musik als Mittel der Folter, der Einsatz von Schallkanonen oder um städtische Ordnungspolitik durchzusetzen (Beschallung von Jugendlichen, Obdachlosen und anderen unerwünschten Personengruppen) (vgl. Johnson & Cloonan, 2009). Aber auch Rap-Musik im Speziellen wird immer wieder zum Politikum, z.B. wenn der Ruf nach einem Verbot oder Indizierung bestimmter Lieder gefordert wird, die Verleihung von Deutschlands größtem Musikpreis eingestellt wird aufgrund einer provokativen antisemitischen Liedtextzeile (Spiegel, 2018) und nicht zuletzt, wenn Gewerkschaftsvertreter der Polizei deutschsprachigen Gangsta-Rap als „Brandbeschleuniger“ der Bandenkriminalität und mitverantwortlich für Gewalt gegen Polizeibeamte bezeichnen (Gewerkschaft der Polizei – Bundesvorstand, 2023).Literatur
- Busch, N. & Süß, H. (2021). Rap. Politisch. Rechts? Ästhetische Konservatismen im Deutschrap. Beltz Juventa.
- Gewerkschaft der Polizei (GdP) – Bundesvorstand (2023, 27. Dezember). GdP Hamburg: Soziale Medien und Musik sind Brandbeschleuniger der Bandenkriminalität. https://www2.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/DE_GdP-Hamburg-Soziale-Medien-und-Musik-sind-Brandbeschleuniger-der-Bandenkriminalitaet?open&ccm=300045
- Johnson, B., & Cloonan, M. (2008). Dark side of the tune: popular music and violence. Ashgate.
- Kubrin, C. E. & Nielson, E. (2014). Rap on Trial. Race and Justice, 4(3), 185-211.
- Kunz, Y. (2016). Jihad Rap. An den Rändern muslimischer Subkulturen. Ventil Verlag.
- Lynskey, D. (2011). 33 Revolutions per Minute. A History of Protest Songs, from Billy Holiday to Green Day. HarperCollins.
- Seeliger, M. (2016). Deutschsprachiger Rap und Politik. In M. Dietrich (Hrsg.), Rap im 21. Jahrhundert. Eine (Sub-)Kultur im Wandel (S. 93-109). Transcript.
- Spiegel (2018, 25. April). Nach Skandal um Kollegah und Farid Bang. Musikpreis Echo wird komplett abgeschafft. https://www.spiegel.de/kultur/musik/echo-wird-nach-skandal-um-kollegah-und-farid-bang-komplett-abgeschafft-a-1204745.html
- Wickert, C. (2018). “Ich hab’’ Polizei“ – Die Darstellung der Polizei in deutschsprachigen Rapliedern.” In A. Mensching & A. Jacobsen (Hrsg.), Empirische Polizeiforschung XXI: Polizei im Spannungsfeld von AutoritätAutorität bezeichnet anerkannte, legitime Macht, die auf Zustimmung und Vertrauen basiert., Legitimität und Kompetenz (Issue Band 24, S. 163–183). Verlag für Polizeiwissenschaft.
Fußnoten
- 1Für eine ausführliche Analyse siehe: (Wickert, 2018)