Kurzdefinition
Ein Verbrechen ist eine besonders schwerwiegende Form rechtswidrigen Handelns, die im Strafrecht mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr bedroht ist – zugleich ist es ein sozial und historisch wandelbares Konstrukt.
Ausführliche Erklärung
Der Begriff Verbrechen ist mehrdeutig und lässt sich aus juristischer, moralischer und soziologischer Perspektive unterschiedlich fassen. Im deutschen Strafrecht (§ 12 Abs. 1 StGB) bezeichnet ein Verbrechen eine rechtswidrige Tat, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr bedroht ist. Dieser sogenannte formelle Verbrechensbegriff orientiert sich an der gesetzlichen Definition und erlaubt eine klare Abgrenzung zu weniger schweren Delikten (Vergehen).
Kriminologisch ist dieser Zugang jedoch unzureichend, da er normativ geprägt und historisch kontingent ist. Der natürliche Verbrechensbegriff versucht, Handlungen unabhängig von ihrer rechtlichen Bewertung als von sich aus moralisch verwerflich zu identifizieren (z. B. Tötung, Vergewaltigung). Doch auch dieser Ansatz scheitert an kultureller und historischer Variabilität. Der materielle oder soziologische Verbrechensbegriff schließlich definiert Verbrechen als Handlungen, die soziale Normen verletzen, gesellschaftlich als schädlich gelten und mit negativen Sanktionen belegt werden. Hierbei wird das Augenmerk auf soziale Zuschreibungsprozesse gelegt, die aus abweichendem Verhalten erst ein „Verbrechen“ machen.
Diese Zuschreibungsperspektive verweist auf den konstruktivistischen Charakter des Verbrechensbegriffs: Was in einer Gesellschaft als verbrecherisch gilt, hängt von Machtverhältnissen, Moralvorstellungen und kulturellen Codes ab. Beispiele wie Alkoholprohibition, Majestätsbeleidigung oder §175 StGB verdeutlichen die Wandelbarkeit und Relativität strafrechtlicher Normen.
Theoriebezug
Juristische und normative Grundlagen
- Strafgesetzbuch (§ 12 StGB): Verbrechen vs. Vergehen
- Nulla poena sine lege – Keine Strafe ohne Gesetz
- Delicta mala per se vs. delicta mere prohibita (Garofalo)
Soziologische Perspektiven
- Formeller, materieller und natürlicher Verbrechensbegriff
- Verbrechen als soziale Konstruktion
- Durkheim: Kriminalität als normale Tatsache
- Kritische Kriminologie: Zuschreibung, Machtverhältnisse, Kriminalisierung
- Labeling Approach: Verbrechen als Resultat sozialer Reaktion
Historisch-kulturelle Wandlungsprozesse:
- Strafbarkeit von Homosexualität (§175 StGB)
- Alkoholprohibition (USA, 1920–1933)
- Kulturelle Unterschiede bei Moralurteilen (z. B. Ehrenmord)