Die Kritische Kriminologie (auch: Radikale Kriminologie oder engl. New Criminology) ist eine in den 1960er entstandene Richtung der Kriminologie, die sich von einer traditionellen, ätiologischen Kriminologie abgrenzt.
Die im ausgehenden 18. Jahrhundert entstandenen Kriminologie ist geprägt von der Vorstellung, dass Kriminalität ein sozial dysfunktionales Phänomen ist. Die Ursache von Verbrechen wird in der individuellen Konstitution des Verbrechers gesucht und zumeist auf biologische oder psychologische Ursachen zurückgeführt.
Individueller Positivismus | Soziologischer Positivismus |
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Verbrechen ist die Folge individueller Anomalien oder Pathologien | Verbrechen wird durch soziale Pathologie verursacht |
Kriminalität wird als Folge biologischer, psychiatrischer Störungen, Persönlichkeitsdefizite oder Ergebnis einer Lernschwächen verstanden | Kriminalität wird als Produkt dysfunktionaler sozialer, wirtschaftlicher und politischer Bedingungen verstanden |
Das Verhalten wird bestimmt durch genetische oder persönliche Faktoren | Das Verhalten wird bestimmt durch soziale Bedingungen und Strukturen |
Verbrechen stellt eine Verletzung des moralischen Konsens dar, der bestimmend für gesetzliche Regelungen ist. | Verbrechen stellt einen Verstoß gegen ein kollektives Gewissen dar |
Kriminalität variiert je nach Temperament, Persönlichkeit und Grad der "angemessenen" Sozialisation | Kriminalität ist von Region zu Region unterschiedlich, je nach wirtschaftlichem und politischem Milieu |
Verbrecher können durch Medizin, Therapie und Resozialisierung behandelt und der Großteil somit geheilt werden | Kriminalität kann durch soziale Reformprogramme angegangen, aber niemals vollständig beseitigt werden |
Kriminalität ist ein abnormaler individueller Zustand | Kriminalität ist eine normale soziale Tatsache, erst bestimmte Kriminalitätsraten erweisen sich als dysfunktional |
(eigene Übersetzung nach: The Open University (2019). Introduction to critical criminology. URL: https://www.open.edu/openlearn/society-politics-law/introduction-critical-criminology/content-section-1.2)
Weiterführende Informationen
- Kreissl, R. (1996). Was ist kritisch an der kritischen Kriminologie? In: K.-D. Bussmann & R. Kreissl (Hrsg.) Kritische Kriminologie im Diskurs. Theorien, Analysen, Positionen. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 19-43.
- Sack, F. (1972). Definition von Kriminalität als politisches Handeln: der labeling approach. Kriminologisches Journal, 1: 3-31.
- Schlepper, C.; Wehrheim, J. (Hrsg.) (2017). Schlüsselwerke der Kritischen Kriminologie. Weinheim/ Basel: Beltz Juventa.
- Taylor, I.; Walton, P. & Young, J. (1973). The New Criminology. London: Routledge und
Kegan Paul. - Die britische Open University bietet auf ihrer Webseite einen kostenlosen e-Learning Kurs zur kritischen Kriminologie an: Introduction to critical criminology
- Kriminologisches Journal (KrimJ)