Was ist Segregation?
Segregation (von segregieren: trennen, abspalten, absondern) meint den Prozess der Abspaltung geographischer Räume nach sozialen, demographischen oder auch kulturell/ ethnischen Kriterien. Farwick (2012: 381) definiert SegregationDie räumliche, soziale oder wirtschaftliche Trennung von Bevölkerungsgruppen innerhalb einer Gesellschaft. als „Prozesse der räumlichen Differenzierung, Sortierung und Separierung“ (dynamische Betrachtung) oder auch als „das Muster einer disparitären Verteilung von Bevölkerungsgruppen im Raum“ (statistische Betrachtung).
Segregation verweist somit auf das Vorhandensein sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit. Bewohner eines Quartiers weisen oft soziale, demographische, kulturelle oder ethnische Gemeinsamkeit auf. Dabei unterscheidet man freiwillige von erzwungener Segregation.
Formen von Segregation
- Soziale Segregation: Trennung nach Einkommen, Beruf, Bildung, Sozialstatus.
- Demographische Segregation: Trennung nach Alter, Haushaltsform (z. B. Seniorenviertel, Studierendenwohnanlagen).
- Ethnisch-kulturelle Segregation: Trennung nach Herkunft, Sprache, Religion.
- Freiwillige Segregation: z. B. Gated Communities, religiöse Enklaven.
- Unfreiwillige/erzwungene Segregation: durch Diskriminierung, Armutszonen, staatliche Maßnahmen.
Ursachen von Segregation
Segregation entsteht nicht zufällig, sondern folgt strukturellen Mustern. Zu den häufigsten Ursachen zählen:
- Ökonomische Disparitäten: Einkommens- und Vermögensunterschiede begrenzen den Zugang zu Wohnraum und fördern die räumliche Konzentration gleichartiger sozialer Lagen.
- Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt: Ethnische Minderheiten, Geflüchtete oder einkommensschwache Haushalte erfahren systematische Benachteiligungen bei der Wohnungssuche.
- Selbstselektion: Menschen suchen gezielt Wohnorte mit vertrauter Infrastruktur, kultureller Nähe oder sprachlichen Gemeinsamkeiten (z. B. bei Migration).
- Stadtentwicklung und Marktlogik: Investitionen konzentrieren sich auf „attraktive“ Lagen, während andere Quartiere abgehängt werden. Diese Polarisierung fördert räumliche Spaltungen.
Der Segregation liegt zumeist eine ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung zugrunde: während sich die Reichen in die besseren Wohnquartiere zurückziehen, wohnen einkommensschwache Menschen in den schlechteren Wohnquartieren, die sich durch einen sanierungsbedürftigen Wohnraum, schlechte infrastrukturelle Anbindung und dergleichen auszeichnen. Die räumliche Segregation ist Ausdruck von bzw. geht häufig einher mit einer sozialen Segregation und auch demographischen Segregation. Beispielsweise werden Ausländer und Migranten auf dem Wohnungsmarkt oft benachteiligt, so dass sie nur Wohnraum in den schlechteren Wohnvierteln einer Stadt finden, in denen bereits andere Ausländer und Menschen mit Migrationshintergrund oder einkommensschwache Bewohner leben. Durch die schlechte infrastrukturelle Versorgung und dadurch bedingt, dass alle Menschen im Wohnumfeld über knappe Ressourcen verfügen, fehlen Informations- und Kontaktmöglichkeiten, die über das segregierte Wohnquartier hinausreichen. Der räumlichen Ausgrenzung folgt damit eine soziale Ausgrenzung.
Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche
Für Kinder und Jugendliche hat räumliche Segregation besonders weitreichende Folgen. Bildungs-, Freizeit- und Gesundheitsangebote sind oft ungleich verteilt. Wer in benachteiligten Quartieren aufwächst, hat schlechtere Chancen auf schulischen Erfolg, soziale Mobilität und gesunde Entwicklung. Studien zeigen, dass sich der Bildungserfolg stark mit der Wohngegend korreliert – Stichwort: „Postleitzahl entscheidet mit“.
Ein Mangel an Vorbildern, fehlende institutionelle Ressourcen und ein hohes Maß an Alltagsstress können zur Reproduktion sozialer Ungleichheiten beitragen. Gleichzeitig wird der Kontakt zu anderen sozialen Milieus erschwert, was die gesellschaftliche IntegrationIntegration bezeichnet den Prozess der Eingliederung von Personen oder Gruppen in eine bestehende Gesellschaft, bei dem sowohl Anpassung als auch Teilhabe angestrebt werden. behindert.
Daten der OECD belegen, dass Bildungserfolg in Deutschland eng mit dem Wohnort verknüpft ist. Auch das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) weist regelmäßig auf diese Zusammenhänge hin.
Beispiele für Segregation
Segregation ist keineswegs ein neues Phänomen, das nur moderne Großstädte betreffen würde. Bereits im Mittelalter lebten die Menschen in der Stadt getrennt nach sozialem Stand und Berufszunft (die zahlreichen Bäcker-, Tuchmacher-, Metzgerstraßen, die noch heute in Stadtplänen deutscher Städte verzeichnet sind, zeugen von dieser Tradition).
Auch die kulturelle und ethnische Segregation ist keineswegs ein neues Phänomen. Eines der bekanntesten Beispiele für eine ethnische Segregation dürfte Chinatown in New York Manhattan sein. Ende des 19. Jahrhunderts begannen chinesische Migranten sich in Lower Manhattan niederzulassen. Heute stellt Chinatown mit seinen 90.000-100.000 Bewohnern die größte von insgesamt zwölf chinesischen Enklaven in der Metropolregion New York dar, die zusammengenommen die größte chinesische Population außerhalb Chinas bilden.
Ein Beispiel für eine frei gewählte Form der Segregation sind sog. Gated Communities, also „private, von der Außenwelt abgeschottete Wohnstätten“ (Wehrheim, 1999). In Deutschland sind Gated Communities ein relativ junges und rares Phänomen im Gegensatz z.B. zu den USA. Mit der Siedlung „Potsdamer Arkadien“ (auch: Arcadia) wurde in den 1990er Jahren Deutschlands erste Gated Community eröffnet und als solche offensiv vermarktet. Heute weckt der Begriff Gated Community in Deutschland eher negative Assoziationen. Prestigeträchtige Neubausiedlungen in deutschen Großstädten wie z.B. der „Marthashof“ im Prenzlauer Berg, Berlin oder die „Heinrich-Heine-Gärten“ in Düsseldorf verzichten auf den Begriff auch wenn sie alle Merkmale einer freiwilligen residentiellen Segregation und eines Ausschlusses anderer aufweisen wie eine Umzäunung, Überwachungstechnik und den obligatorischen Doorman oder Concierge, der den Zugang zu den Wohneinheiten überwacht.
Von Christian Demski – http://www.piqs.de/fotos/6077.html, CC BY 2.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10198102
Aber auch in anderen deutschen Städten ist Segregation (vor allem als nicht-freiwillige Segregation) zu beobachten. Die geographische Segregation wird häufig bedingt durch natürliche oder bauliche Barrieren wie z.B. Flüsse, Kanäle oder Autobahnen. Diese „Grenzen“ markieren zugleich den Verlauf anhand dessen sich der Einfluss von geographischer auf die soziale, demographische, kulturelle Segregation ablesen lässt. Eine solche Linie bildet beispielsweise die Autobahn 40, die in Ost-West-Richtung von Dortmund bis Straelen quer durch das Ruhrgebiet verläuft. Sie unterteilt damit Städte wie Duisburg oder Essen in eine Nord- und Südhälfte. Die A40 ist jedoch nicht nur eine bauliche Barriere sind auch ein „Sozialäquator“. Während in den nördlich der A40 gelegenen Stadtteilen beispielsweise die Quote der Hartz-4-Empfänger_innen und der Anteil der Migranten unter der Wohnbevölkerung überdurchschnittlich hoch ist und unterdurchschnittlich viele Schulkinder weiterführende Schulen besuchen, ist in den nördlich der A40 gelegenen Stadtvierteln der Anteil von Hartz4-Empfängerinnen unterdurchschnittlich und der Anteil der Schüler_innen, die das Gymnasium besuchen, überdurchschnittlich hoch. Dieses Nord-Süd-Gefälle hat auch Einfluss auf die Mietpreise. Während nördlich der A40 Wohnraum für einkommensschwache Mieter unerschwinglich ist, ist er südlich der A40 günstiger.
Die Dokumentation „A40 – Eine Autobahn trennt arm und reich“ (WDR, 2017) dokumentiert den „Sozialäquator A40“. Die Reportage ist auf YouTube verfügbar:
Rolle von Stadtplanung und Wohnungsbaupolitik
Stadtplanung kann Segregation verstärken – oder ihr entgegenwirken. Eine vorausschauende, sozialorientierte Stadtentwicklung kann durch gezielte Investitionen in benachteiligte Quartiere, geförderten Wohnungsbau in gemischten Vierteln und partizipative Planungsverfahren integrative Prozesse fördern.
Zugleich steht die Politik vor einem Dilemma: Maßnahmen zur Aufwertung (z. B. neue Schulen, bessere Infrastruktur) bergen immer das Risiko von Gentrifizierungsprozessen, die alteingesessene Bevölkerungsgruppen verdrängen. Notwendig ist daher ein Balanceakt zwischen Aufwertung, Teilhabe und Erhalt sozialer Vielfalt.
Segregation und Polizei
Räumliche Segregation betrifft nicht nur die soziale Zusammensetzung von Stadtteilen, sondern hat auch konkrete Auswirkungen auf polizeiliche Arbeit. Polizeiliche Präsenz, Einsatzhäufigkeit und Strategien der GefahrenabwehrMaßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die von der Polizei und Ordnungsbehörden durchgeführt werden. sind ungleich verteilt – oft korrelieren sie mit der soziostrukturellen Zusammensetzung einzelner Quartiere. Dies führt dazu, dass bestimmte Gebiete als „Problemviertel“ oder gar „gefährliche Orte“ stigmatisiert werden.
Die Polizei tritt in segregierten Quartieren nicht nur als Ordnungsmacht auf, sondern wird auch selbst zum Teil des städtischen Gefüges: Sie wirkt mit an der (Re-)Produktion von Sicherheitszonen, an der Verwaltung von Unsicherheit und häufig auch an symbolischer Ausgrenzung. Hohe Polizeipräsenz in bestimmten Vierteln kann dabei sowohl als Schutz als auch als Kontrolle erlebt werden – je nach Erfahrungshintergrund der dort lebenden Menschen.
Besonders relevant wird diese Ambivalenz bei sogenannten „gefährlichen Orten“ (§ 12 PolG NRW), in denen Polizeikontrollen auch ohne konkreten Anlass möglich sind. Diese Praxis trifft häufig Bewohner:innen bereits marginalisierter Stadtteile – ein Beispiel für die Verschränkung von räumlicher Segregation und sozialer Selektion durch Sicherheitsmaßnahmen.
Polizeiliche Relevanz von Segregation
- Bestimmte Stadtteile werden durch polizeiliche Statistik, Medienberichte und Einsatzpraxis als „Problemzonen“ markiert.
- Es entsteht ein Kreislauf aus kriminalitätsstatistischer Belastung, verstärkter Kontrolle und sozialer Stigmatisierung.
- Polizeistrategien wie „Gefährliche Orte“ oder „strategische Fahndung“ können Ungleichheiten reproduzieren.
- Umgekehrt kann Community Policing das Vertrauen in Polizei und Verwaltung fördern – wenn es gelingt, mit statt gegen segregierte Quartiere zu arbeiten.
Weitere Informationen zur sicherheitspolitischen Dimension von Stadtplanung bietet der Beitrag zur städtebaulichen Kriminalprävention. Auch der Beitrag zur Cop Culture zeigt, wie sich polizeiliche Routinen und Wahrnehmungen in segregierten Räumen entwickeln und verfestigen können.
Gentrifizierung
Während Segregation primär durch sozialräumliche Abgrenzung und bestehende Ungleichheit entsteht, beschreibt GentrifizierungGentrifizierung bezeichnet den sozioökonomischen Wandel städtischer Viertel, bei dem einkommensschwache Bevölkerungsgruppen durch wohlhabendere verdrängt werden. Der Prozess geht oft mit einer Aufwertung der Wohn- und Lebensqualität, aber auch mit steigenden Mieten und sozialer Verdrängung einher. einen Prozess der aktiven sozialen Umstrukturierung von Quartieren – häufig ausgelöst durch Marktmechanismen, Stadtplanung oder gezielte Investitionen. Beide Phänomene stehen in enger Wechselwirkung zueinander.
Der Begriff Gentrifizierung stammt aus dem Englischen und leitete sich von dem Begriff „gentry“ ab, was eine Bezeichnung für den niederen englischen Adel ist. Der Begriff Gentrifizierung wurde 1963 von der britischen Stadtsoziologin Ruth Glass geprägt. Glass beschrieb wie Mitglieder der Mittelschicht (gentry) sich zunehmend in Londoner Wohnbezirken niederließen, die traditionell von Unterschichtszugehörigen der Arbeiterklasse bewohnt wurden. Der Zuzug der neuen Bewohner ging mit einer baulichen Aufwertung der Wohnquartiere einher, führte zugleich aber zur Verdrängung der alteingesessenen Bewohner.
One by one, many of the working class quarters of London have been invaded by the the middle-classes – upper and lower. Shabby, modest mews and cottages […] have been taken over, when their leases have expired, and have become elegant, expensive residences […]
Once this process of ‚gentrification‘ starts in a district it goes on rapidly until all or most of the original working-class occupiers are displaced and the whole social character of the district is changed.Glass 1964: XVIII-XIX
Der Begriff und das Konzept der Gentrifizierung hat seit den 1990er Jahren auch Eingang in die deutschsprachige Soziologie/ Human-Geographie gefunden. Gentrifizierungsprozesse lassen sich in nahezu jeder Großstadt finden.
Die vier Phasen der Gentrifizierung
Der Gentrifizierungsprozess lässt sich durch die sog. Invasions-Sukzessions-Zyklen beschreiben und in vier Phasen unterteilen:
- Phase
In der ersten Phase kommt es zu einem Zuzug von sog. Pionieren in ein Stadtviertel mit günstigen Mietpreisen. Die Pioniere sind oftmals junge Singles/ Paare, die über wenig Geld aber viel „kulturelles Kapital“ (Bildung) verfügen. Unter den Pionieren finden sich typischerweise viele Studierende und KünstlerInnen. Sie schätzen neben den günstigen Mietpreisen vor allem die Diversität des Viertels und die innerstädtische Lage der Wohnungen (z.B. räumliche Nähe zur Universität). Da diese Pioniere ihren Verbleib im Viertel nicht auf Dauer planen, ist ihr Interesse an hochwertigem Wohnraum zweitrangig. - Phase
In der zweiten Phasen ziehen zunehmend mehr Pioniere in ein Viertel, das langsam seinen Charakter verändert und zu einem „Geheimtipp“ wird. Kneipen, Galerien, Clubs und andere Dienstleistungsbetriebe zeugen von einem langsamen Wandel des Viertels. Das Mitpreisniveau ist insgesamt immer noch niedrig. Nachdem jedoch erste Investoren, das Viertel als einen „Geheimtipp“ erkannt haben, beginnen sie mit der Modernisierung von Wohnquartieren, die nun deutlich über der ortsüblichen Miete/ Verkaufspreis von den ersten Gentrifizierern bezogen werden. Bei den Gentrifizierern handelt es sich in der Regel um überdurchschnittlich gut verdienende Paare mit oder ohne Kinder. Sie beabsichtigen sich längerfristig in dem Viertel niederzulassen. Die Nachfrage nach Wohnraum steigt und damit das Mietpreisniveau. Alteingesessene Bewohner klagen über Miterhöhungen (insbesondere nach erfolgter Modernisierung) - Phase
Weitere Gentrifizierer ziehen in das Viertel, das langsam seinen Charakter als diverses, buntes Viertel einbüßt. Die Pioniere beklagen den Verlust an Diversität und die steigenden Mieten. Der Wandel des Viertels ist wahrnehmbar (neue Geschäfte eröffnen, alte Läden schließen/ wechseln die Besitzer auch aufgrund steigender Gewerbemieten). Die Medien berichten über diesen Wandel, was zu einer erhöhten Nachfrage nach Wohnraum im neuen „In-Viertel“ führt. Weitere Modernisierungen führen zu einer weiteren Verteuerung der Mieten und einem Wegzug der alteingesessenen Bewohner und Pioniere der ersten Stunde. - Phase
Das Viertel hat für Pioniere seinen Reiz verloren. Es ziehen aber nach wie vor weitere Gentrifizierer nach. Investoren wandeln Miet- in Eigentumswohnungen um. Die ursprüngliche Bewohnerschaft kann sich die Mieten nicht mehr leisten. Insbesondere bei einer Umwandlung zu Wohneigentum sind die Preise auch für die ersten Gentrifizierer aus der an und für sich einkommensstarken Mittelschicht nicht mehr zu tragen. In diesen Fällen kann man von einer Hyper-Gentrifizierung sprechen.
Weiterführende Quellen
- Blasius, J. (1993). Gentrification und Lebensstile. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag.
- Breckner, I. (2010, 20. April). Gentrifizierung im 21. Jahrhundert. Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 17/2010)
Stadtentwicklung. Online verfügbar unter: http://www.bpb.de/apuz/32813/gentrifizierung-im-21-jahrhundert?p=all#footnode4-4 - Farwick, A. (2012). Segregation. In: F. Eckardt (Hrsg.). Handbuch Stadtsoziologie. Wiesbaden: Springer, S. 381-419.
- Glass, R. (1964). London Aspects of Change. London: MacGibbon & Kee.
- Wehrheim, J. (19999). Gated Communities. Sicherheit und Separation in den USA. In: RaumPlanung, Nr. 87, S.248-253. Online verfügbar unter: http://www.citycrimecontrol.net/texte/gated.html