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Stadtsoziologie

Raum und (Un-)Sicherheit

Raum und (Un-)Sicherheit stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Bereits Ende der 1920er Jahren haben Wissenschaftlicher der sog. Chicago School diesen Zusammenhang erforscht und in zahlreichen Studien belegt, dass unterschiedliche Räume unterschiedlich stark von Kriminalität belastet sind. Die Theorie der „sozialen Desorganisation“ geht davon aus, dass Räume Kriminalität hervorbringen und diese weitgehend unabhängig von ihren Bewohnern ist (sprich: trotz hoher Bevölkerungsfluktuation bleibt die Kriminalitätsrate konstant). Neben dieser objektiven Kriminalitätsbelastung bestimmter Räume ist der Zusammenhang zwischen Raum und Kriminalitätsfurcht zu beachten. Sog. Angsträume werden von den Bewohnern gemieden und in der Folge sinkt das Maß sozialer Kontrolle. Die Begehung von Straftaten wird hierdurch objektiv einfacher und ein Anstieg der Kriminalität kann die Folge sein.

Ausgehend von der Prämisse, das der Raum Kriminalität hervorbringt, verfolgen Programme der städtebaulichen Kriminalprävention das Ziel,

  • Kriminalität [zu] reduzieren
  • Sicherheitsgefühl von Bewohnern und Nutzern [zu] erhöhen
  • Tatgelegenheitsstrukturen [zu] vermeiden
  • Einflussnahme auf die baulichen, räumlichen, infrastrukturellen und sozialen Gestaltungselemente von Wohnquartieren [zu] intensivieren

Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (2019) Jahresbericht 2018

Defensible Space

Ein Programm für städtebauliche Kriminalprävention wurde erstmals in den 1970er Jahren von Oscar Newman unter der Überschrift Defensible Space – also der wehrhaften Raumes – ausformuliert.  Der Architekt und Städteplaner Newman (1935-2004) veröffentlichte das Konzept 1972 in dem Buch Defensible Space. Crime Prevention Through Urban Design.

Newman zufolge erhöhen fünf Prinzipien die „Wehrhaftigkeit“ des Raumes:

  1. Territorialität (Bewohner machen sich den Raum zu eigen „My home is my castle“)
  2. Natürliche Überwachung (Gestaltung des Raumes, so dass eine Kontrolle der Umgebung durch die Bewohner erfolgen kann)
  3. Image (Auswirkung der Gestaltung der Umwelt auf das Sicherheitsgefühl der Bewohner)
  4. Milieu (Einfluss weiterer Umweltfaktoren – wie z.B. Einkaufsstraßen, Nähe zur Polizeistation etc. auf das Sicherheitsgefühl der Bewohner)
  5. (sichere) Nachbarschaftstreffpunkte

Definition

All Defensible Space programs have a common purpose:
They restruc­ture the physical layout of communities to allow residents to control the areas around their homes. This includes the streets and grounds outside their buildings and the lobbies and corridors within them. The programs help people preserve those areas in which they can realize their com­monly held values and lifestyles.

Defensible Space relies on self-help rather than on government interven­tion, and so it is not vulnerable to government’s withdrawal of support. It depends on resident involvement to reduce crime and remove the pres­ence of criminals. It has the ability to bring people of different incomes and race together in a mutually beneficial union. For low-income people, Defensible Space can provide an introduction to the benefits of main-stream life and an opportunity to see how their own actions can better the world around them and lead to upward mobility.
Oscar Newman, 1996: 9

 

In der Dokumentation „The Writing on the Wall“ (1974, BBC) erklärt und illustriert Oscar Newman sein Konzept des Defensible Space anhand vieler Beispiele.

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CPTED

Newmans Konzept städtebaulicher Kriminalprävention wurde in den folgenden Jahrzehnten aufgegriffen und erweitert und ist heute unter dem Namen Crime Prevention Through Environmental Design (CPTED) bekannt.

Beispiele für städtebauliche Kriminalprävention nach CPTED

  1. Gebäudevorsprünge wie Erker sollen für bessere Überschaubarkeit
    geplant werden
  2. Zäune, Mauern, Hecken und andere Grenzmarkierungen sollen abtrennen,
    aber nicht unübersichtliche Nischen mit Versteckmöglichkeiten bieten
  3. Bäume und Strauchbepflanzungen sollen strategisch platziert werden
  4. Die Anordnung der Fenster von Wohnungen zu Straßen, Fußwegen und
    Gassen soll die soziale Kontrolle und Überwachung des Wohnumfeldes
    ermöglichen
  5. Die Außenbeleuchtung der Wege und Gebäude muss so konzipiert werden,
    dass keine dunklen Bereiche entstehen.
  6. Eine engere, nicht zu großzügige Anlage öffentlicher Flächen und
    Plätze sichert informelle soziale Kontrolle
  7. Plätze sollen sauber und gut beleuchtet, jedoch nicht abgelegen sein,
    d. h. es müssen Blickbeziehungen von Wohnungen und Wegen aus bestehen.
  8. Treppenaufgänge, Fahrstühle und Eingangszonen sollen nicht
    abgetrennt, sondern offen und gut einsehbar geplant

Maßnahmen raumbezogener Sicherheitspolitiken

 Formalisierung
sozialer Kontrolle
Einsatz von
Techniken
(Städte-)bauliche
Veränderungen
ÜberwachungStreifengänge privater Sicherheitsdienste Neighbourhood WatchPräventive VideoüberwachungCrime Prevention through environmental design (Erleichterung sozialer Kontrolle)
Einhegung und ZugangsbeschränkungDoormen- bzw. Concierge-DiensteZugangskontrollen mit biometrischen oder elektronischen Systemen Defensible Space (Schaffung baulicher und symbolischer Barrieren)
KommunalisierungVerlagerung von Sicherheitspolitiken auf die (sub-)kommunale Ebene (Gemeinden, Stadtteile, Nachbarschaften)

Maßnahmen raumbezogener Sicherheitspolitiken (Glasze, Pütz & Rolfes, 2005, S. 15)

Grenzen und Kritik der städtebaulichen Kriminalprävention

Die städtebauliche Kriminalprävention hat die Verminderung von Tatgelegenheiten und eine Erhöhung der sozialen Kontrolle zum Ziel. Die sog. root causes of crime, also die kriminellen Handlungen zugrundeliegenden Ursachen, bleiben hierbei unberücksichtigt. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass Kriminalität nicht grundsätzlich verhindert wird, sondern es zu einer Verlagerung von Kriminalität kommt.

Zudem wird durch städtebauliche Maßnahmen der Kriminalprävention ein vereinfachter kausaler Zusammenhang von Raum und abweichendem Verhalten unterstellt, der eben soziale Faktoren, die ursächlich für Normübertretungen sind, ausblendet (vgl. Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes).

Eine Kritik der Programme städtebaulicher Kriminalprävention muss auch eine Verschärfung städtische Segregation berücksichtigen: Profiteure von städtebaulicher Kriminalprävention sind vorrangig Stadtteile und Wohnbezirke, die von konsumfreudigen und finanzstarken Bewohnern und Besuchern bevölkert werden. Unerwünschte Personen(-gruppen) wie z.B. Obdachlose, Jugendliche, Bettler, Skateboardfahrer etc. werden zunehmend verdrängt. Die Gestaltung von Parkbänken, Innenstädten und Ladenzeilen schränken Nutzungsoptionen ein. The Guardian zeigt in einer Bilderstrecke von Julius-Christian Schreiner zahlreiche Beispiele für eine solche „feindlichen Architektur“: https://www.theguardian.com/cities/gallery/2018/aug/21/hostile-architecture-an-uncomfortable-urban-art-in-pictures

Hierdurch wird das Versprechen von Stadt als Lebensraum für eine heterogene Bevölkerung mit ihren vielseitigen Lebensentwürfen und -stilen beschränkt. Mit dem Argument sicherheits- und ordnungspolitischer Notwendigkeiten wird der öffentliche Raum zunehmend dem Diktat wirtschaftlicher Interessen unterworfen.

Literatur- und Quellenverzeichnis

  • Projektwebseite: KORSIT – Die Konstruktion von Räumen im Kontext von Sicherheit – Raumwissen bei der Polizei
  • Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (2009) Stadt und Sicherheit im demographischen Wandel. Bericht über die Ergebnisse der Arbeitsgruppe des Landespräventionsrates Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf. Online verfügbar unter: http://www.lpr.nrw.de/aufgaben/Demografischer_Wandel/stadt_und_sicherheit.pdf
  • Newman, O. (1996) Creating Defensible Space. Washington: U.S. Department of Housing and Urban Development. Online verfügbar unter: https://www.huduser.gov/publications/pdf/def.pdf
  • Newman, O. (1979) Crime prevention through town-planning and architecture. In: Bundeskriminalamt (Hrsg.), Städtebau und Kriminalität. Wiesbaden, S. 103 – 134.
  • Newman, O. (1972) Defensible Space. Crime Prevention Through Urban Design. Macmillan.
  • Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (o.J.). Städtebau. Polizei-Beratung. Online verfügbar unter: https://www.polizei-beratung.de/themen-und-tipps/staedtebau/
  • Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (2019). Jahresbericht 2018. Stuttgart. Online verfügbar unter: https://www.polizei-beratung.de/fileadmin/Medienportal/Medien/HR_Handreichungen/128_HR_Jahresbericht-der-Kommission-Polizeiliche-Kriminalpraevention.pdf
  • Schubert, H.; Spieckermann, H.; Veil K. (2007, 9. März) Sicherheit durch präventive Stadtgestaltung. Bundeszentrale für politische Bildung. Online verfügbar unter: http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/stadt-und-gesellschaft/75712/grundlagen?p=all
  • Wehrheim, J. (2018, 9. Juli) Die überwachte Stadt. Öffentlicher Raum und soziale Kontrolle. Dossier „Stadt und Gesellschaft“. Bundeszentrale für Bildung. Online verfügbar unter: http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/stadt-und-gesellschaft/216874/oeffentlicher-raum-und-soziale-kontrolle?p=all
  • Wulf, R. (Hrsg.) (2014) Kriminalprävention an Orten. Wissenschaftliche Grundlagen und praktische Maßnahmen. Tübinger Schriften und Materialien zur Kriminologie, Band 28 (herausgegeben von J. Kinzig & H.-J. Kerner). Tübingen: Institut für Kriminologie der Universität Tübingen. Online verfügbar unter: https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/43775/pdf/Band_28_Wulf.pdf?sequence=1

Kategorie: Stadtsoziologie Tags: CPTED, Kriminalprävention, Sicherheit

Videoüberwachung

Videoüberwachung oder CCTV (englisch: Closed Circuit Television = Überwachungskamerasysteme) ist aus der öffentliche Debatte über Kriminalpolitik und Sicherheit im öffentlichen Raum nicht mehr wegzudenken. Dabei ist der Nutzen von Videoüberwachung aus kriminologischer Sicht durchaus fraglich und sehr viel differenzierter zu betrachten, als dies in der öffentliche Debatte häufig geschieht. Die nachfolgenden Ausführungen sollen daher aufklären über die intendierten und nicht-intendierten Folgen von Videoüberwachung.

Definition

„Videoüberwachung“ bezeichnet die Beobachtung öffentlicher Räume durch Kommunen und Polizei mittels optisch elektronischer Einrichtungen, die häufig auch eine Aufzeichnung der Bilder erlauben. Unter „öffentlichen Räumen“ werden frei zugängliche Straßen und Plätze verstanden, nicht jedoch der gesamte öffentlich zugängliche Raum, zu dem z. B. auch das Innere von Behörden oder privaten der Öffentlichkeit zugänglichen Geschäftsräumen wie Kaufhäuser oder Banken gehören.

Kohl, 2006, S. 356

Videoüberwachungssysteme

Im öffentlichen Diskurs wird zumeist undifferenziert über die Videoüberwachung gesprochen. Unter diesen Begriff fallen jedoch sehr unterschiedliche technische Systeme mit teilweise unterschiedlicher Wirkung und Intention.

Die Bandbreite der verfügbaren Überwachungssysteme reicht von einer vorgeblichen Videoüberwachung, bei der lediglich Kameraattrappen zum Einsatz kommen, die keine Aufnahmen anfertigen. Des Weiteren ist eine Videoüberwachung von einer Videobeobachtung zu unterscheiden. Während bei erstgenannter Technik, die Kamerabilder aufgezeichnet und zu einem späteren Zeitpunkt bei Bedarf ausgewertet werden können, werden bei der Beobachtung die Live-Bilder an einem Monitor verfolgt. Moderne, intelligente Videoüberwachungssysteme erlauben zudem eine automatisierte Analyse der Aufzeichnungen. Diese kann zusätzliche Tonaufnahme beinhalten, aber vor allem die automatisierte Erkennung von Gesichtern und/ oder Autokennzeichen. Für die Überwachten ist in der Regel nicht ersichtlich, um welche Form der Videoüberwachung es sich handelt.

Effekte von Videoüberwachung

Videoüberwachung werden eine Reihe positiver Effekte zugeschrieben. Armitage, Smyth & Pease (1999) nennen folgende Aspekte.

  • Caught in the act – perpetrators will be detected, and possibly removed or deterred.
  • You’ve been framed – CCTV deters potential offenders who perceive an elevated risk of apprehension.
  • Nosy parker – CCTV may lead more people to feel able to frequent the surveilled places. This will increase the extent of natural surveillance by newcomers, which may deter potential offenders.
  • Effective deployment – CCTV directs security personnel to ambiguous situations, which may head off their translation into crime.
  • Publicity – CCTV could symbolise efforts to take crime seriously, and the perception of those efforts may both energise law-abiding citizens and/or deter crime.
  • Time for crime – CCTV may be perceived as reducing the time available to commit crime, preventing those crimes that require extended time and effort.
  • Memory jogging – the presence of CCTV may induce people to take elementary security precautions, such as locking their car, by jogging their memory.
  • Anticipated shaming – the presence of CCTV may induce people to take elementary security precautions, for fear that they will be shamed by being shown on CCTV.
  • Appeal to the cautious – cautious people migrate to the areas with CCTV to shop, leave their cars, and so on. Their caution and security-mindedness reduce the risk.
  • Reporting changes – people report (and/or police record) fewer of the crimes that occur, either because they wish to show the [desirable] effects of CCTV or out of a belief that „the Council is doing its best“ and nothing should be done to discourage it.

(Armitage, Smyth & Pease 1999: 226f.; hier zitiert nach Welsh & Farrington 2002: 1f.)

Diesen potentiellen positiven Effekten stehen eine Reihe potentieller negativer Aspekte gegenüber:

  • Verdrängungseffekt – unterstellt man dem Einsatz von Videoüberwachungssystemen einen abschreckenden Effekt, so ist auch davon auszugehen, dass der Technikeinsatz zu einer Verdrängung von Kriminellen und kriminellen Handlungen führen wird.
  • Gewöhnungseffekt – eine abschreckende Wirkung – sofern eine solche überhaupt von Videoüberwachung ausgeht – wird sich über die Zeit abschwächen, wenn sich die Personen, die sich regelmäßig im überwachten Raum bewegen, an die Existenz der Überwachungssysteme gewöhnt haben.
  • Stigmatisierung von Räumen und ihren BewohnerInnen – durch das Anbringen von Videoüberwachungssystemen wird ein Raum als kriminogener/ gefährlicher Ort gekennzeichnet. Diese Etikettierung kann sich negativ auf das Ansehen des Ortes und seiner BewohnerInnen auswirken.
  • Erhebung eines Generalverdachts – mit der Stigmatisierung des Raumes geht ebenfalls einher, dass gegen alle Personen, die sich hier aufhalten, ein Generalverdacht erhoben wird. Die Videoüberwachung unterscheidet nicht zwischen“normalem“ Verhalten und einem begründeten Tatverdacht. D.h., zunächst ist jeder verdächtig, der sich innerhalb des überwachten Raumes aufhält.
  • Einfluss auf Zivilcourage/ Anzeigeverhalten – die Existenz von Videoüberwachung kann sich negativ auf die Bereitschaft auswirken, beobachtete Vergehen und Verbrechen zur Anzeige zu bringen oder aktiv einzuschreiten.  Die Videoüberwachung suggeriert, dass offizielle Stellen die Lage „schon im Blick haben werden“.

Wirksamkeit von Videoüberwachung

In Evaluationsstudien wurde Videoüberwachung nur ein geringer bis kein kriminalitätssenkender Effekt bescheinigt (vgl. z.B. Ratcliffe & Groff, 2018). Lediglich in Bezug auf Diebstähle von und aus Kraftfahrzeugen ermittelten Welsh und Farrington (2002) einen Rückgang um über 40 Prozent, Taschendiebstähle verringerten sich lediglich um zwei bis vier Prozent und auf Gewaltkriminalität hat die Videoüberwachung keinen Einfluss (vgl. Wehrheim 2002: 103).

Die Annahme einer präventiven Wirkung von Videoüberwachung steht der Abschreckungstheorie oder spezifischer der situativen Kriminalprävention nahe. Diese Theorien unterstellen, dass menschliches Verhalten durch eine rationale Abwägung von Kosten (Schmerz) und Nutzen geprägt ist. Die Überwachung eines Raumes steigert demnach das Entdeckungsrisiko (Erhöhung der Kostenseite) für einen Straftäter.  Dies setzt jedoch voraus, dass ein potentieller Straftäter rational agiert. In der Praxis wird man jedoch sehr schnell feststellen, dass eine Vielzahl der Verbrechen eben nicht Ergebnis rationaler Wahlhandlungen sind, sondern affektuell geprägt sind und/ oder von unbedarften, berauschten Tätern begangen werden. Rational agierende Täter werden die Videoüberwachung vermutlich als eine Erhöhung ihres Entdeckungsrisikos wahrnehmen. Jedoch erscheint die Annahme hierduch Kriminalität zu verhindern wenig plausibel. Vielmehr wird es zu einer Verlagerung der Kriminalität kommen.

Eine Sonderform der Videoüberwachung stellt die polizeiliche Videoüberwachung im Zuge von Demonstrationsgeschehen dar. Knopp und Ullrich (2019) schlussfolgern in ihrer Untersuchung zur Wahrnehmung von polizeilicher Videoüberwachung von verschiedenen Demonstrierendengruppen, dass die Wirkung, die von dieser Maßnahme ausgeht, weit komplexer ist als eine reine Abschreckungswirkung. Die Beurteilung erfolgt anlassbezogen (wer wird wann mit welcher – angenommenen – Intention überwacht) und erfolgt vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Einstellung der Überwachten zum Staat/ zur Polizei. Das Wahrnehmungsspektrum reicht von politischer Repression, Provokation, Kriminalisierung bis hin zu Schutz.

Panopticon-Skizze von Jeremy Bentham (1791)
Panopticon-Skizze von Jeremy Bentham (1791)

Von einer Disziplinar- zu einer Kontrollgesellschaft?

Als Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Wirkung von Videoüberwachung bietet sich das Werk des französischen Soziologen Michel Foucault an. In seinem Buch Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (1994) [erstmals erschienen 1975] zeichnet Foucault die historische Entwicklung von einer Disziplinar- zu einer Kontrollgesellschaft nach. Über viele Jahrhunderte herrschten in allen Gesellschaften Europas Körperstrafen vor. Normenbrüche wurden öffentlichkeitswirksam geahndet (man denke beispielsweise an öffentliche Hinrichtungen, Pranger, Brandmarkungen usw.). Strafprozesse im heutigen Sinne waren ebenso unbekannt wie die Freiheitsentziehung als Form der Bestrafung. Stattdessen setzte die Autorität auf Folter zur Wahrheitsgewinnung und auf eine generalpräventive, abschreckende Wirkung, die von den brutalen Strafen ausging. Erst mit dem Zeitalter der Aufklärung setzten Gesellschaften im 18. Jahrhundert auf humanere Formen der Sanktionierung.  Hierbei stand jedoch zunächst weniger eine Humanisierung der Strafverfolgung und Sanktionspraxis im Vordergrund, sondern eine Professionalisierung der Strafrechtspflege, die auch mit entsprechender Institutionalisierung einherging (für die Kriminologie lässt sich dies an der Entwicklung der sog. klassischen Schule der Kriminologie nachverfolgen). In diesem historischen Kontext ist der architektonische Entwurf eines Gefängnisses durch den britischen Philosophen und Rechtsgelehrten Jeremy Bentham zu betrachten, der als Panopticon (oder auch Panoptikum) bekannt ist. Der Entwurf sieht einen mittig im Raum stehenden Wachturm vor, von dem aus sich ein unverstellter Blick in alle, kreisrund um den Wachturm angeordneten Gefängniszellen eröffnet. Umgekehrt können die Gefangenen jedoch nicht sehen, ob der Wachturm besetzt und sie aktuell unter Beobachtung steht. Michel Foucault beschreibt das Prinzip des Panopticon wie folgt:

Das Panopticon von Bentham ist die architektonische Gestalt dieser Zusammensetzung. Sein Prinzip ist bekannt: an der Peripherie ein ringförmiges Gebäude; in der Mitte ein Turm, der von breiten Fenstern durchbrochen ist, welche sich nach der Innenseite des Ringes öffnen; das Ringgebäude ist in Zellen unterteilt, von denen jede durch die gesamte Tiefe des Gebäudes reicht; sie haben jeweils zwei Fenster , eines nach innen, das auf die Fenster des Turms gerichtet ist, und eines nach außen, so daß die Zelle auf beiden Seiten von Licht durchdrungen wird. Es genügt demnach, einen Aufseher im Turm aufzustellen und in jeder Zelle, einen Irren, einen Kranken, einen Sträfling, einen Arbeiter oder einen Schüler unterzubringen. Vor dem Gegenlicht lassen sich vom Turm aus die kleinen Gefangenensilhouetten in den Zellen des Ringes genau ausnehmen. Jeder Käfig ist eine kleines Theater, in dem jeder Akteur allein ist, vollkommen individualisiert und ständig sichtbar. Die panoptische Anlage schafft Raumeinheiten, die es ermöglichen, ohne Unterlaß zu sehen und zugleich zu erkennen. Das Prinzip des Kerkers wird umgekehrt, genauer gesagt: von seinen drei Funktionen – einsperren, verdunkeln und verbergen– wird nur die erste aufrechterhalten, die beiden anderen fallen weg. Das volle Licht und der Blick des Aufsehers erfassen besser als das Dunkel, das auch schützte. Die Sichtbarkeit ist eine Falle. (Foucault, 1994, S. 256f.)

Das Beispiel des Panopticon dient Foucault, den sozialgeschichtlichen Wandel von einer Disziplinargesellschaft zu einer Kontrollgesellschaft zu verdeutlichen. Er prägt hier den Begriff des Panoptismus um zu verdeutlichen, dass das Wirkprinzip des Panopticons auch andere Lebensbereiche außerhalb des Gefängnisses erreicht hat. Die Videoüberwachung ist hierbei eines von vielen Beispielen. Die Überwachungskamera steht hier stellvertretend für den Gefängniswachturm. Es ist unerheblich, ob der Wachturm besetzt ist oder die Videoüberwachungskamera tatsächlich funktionstüchtig ist. Die alleinige Bewusstmachung der Gegenwart von Überwachungstechnologien können eine Verhaltensanpassung bewirken.

Datenschutz, Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Jede Videoaufnahme stellt einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar und unterliegt engen datenschutzrechtlichen Grenzen. Diese werden geregelt im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) (siehe hierzu ausführlich den Internetauftritt des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationssicherheit).

Polizeiliche Videoüberwachung wird im Bundespolizeigesetz und den Polizei- und Ordnungsbehördengesetzen der Länder geregelt. Im § 27 des Bundespolizeigesetzes heißt es hierzu:

Die Bundespolizei kann selbsttätige Bildaufnahme- und Bildaufzeichnungsgeräte einsetzen, um

    1. 1. unerlaubte Grenzübertritte oder Gefahren für die Sicherheit an der Grenze oder
    1. 2. Gefahren für die in § 23 Abs. 1 Nr. 4 bezeichneten Objekte oder für dort befindliche Personen oder Sachen

zu erkennen. In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 muß der Einsatz derartiger Geräte erkennbar sein. Werden auf diese Weise personenbezogene Daten aufgezeichnet, sind diese Aufzeichnungen in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 spätestens nach zwei Tagen und in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 spätestens nach 30 Tagen zu vernichten, soweit sie nicht zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr oder zur Verfolgung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit benötigt werden. Gesetze im Internet – Bundespolizeigesetzt (BPolG)

 

Sicherheit vs. Freiheit

Der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich bezeichnete Sicherheit 2013 in einem Interview Sicherheit als ein „Supergrundrecht“ (vgl. Krempl, 2013) ist wichtig.

 

Biometrische Videoüberwachung am Berliner Bahnhof Südkreuz (Abschlussbereicht der Bundepolizei) –  Falschakzeptanzrate lag dabei bei 0,67%

INDECT (Intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment)

APFel (Analyse von Personenbewegungen an Flughäfen mittels zeitlich rückwärts- und vorwärtsgerichteter Videodatenströme)

FLORIDA (Flexibles, teilautomatisiertes Analysesystem zur Auswertung von Videomassendaten)

YouTube

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Quellen und weiterführende Informationen

  • Althoff, Christian (2018, 22. Juni). Kriminologisches Forschungsinstitut untersucht Daten aus sieben NRW-Städten – Video-Überwachung schreckt nicht ab. Westfalen-Blatt. Online verfügbar unter: http://www.westfalen-blatt.de/Ueberregional/Nachrichten/Politik/3355625-Kriminologisches-Forschungsinstitut-untersucht-Daten-aus-sieben-NRW-Staedten-mit-Download-Video-Ueberwachung-schreckt-nicht-ab
  • Armitage, R., Smyth, G. & Pease, K. (1999). Burnley CCTV evaluation. In K. Painter & N. Tilley (Hrsg.), Surveillance of Public Space: CCTV, Street Lighting and Crime Prevention: Vol. 10. Crime Prevention Studies (S. 225-50). Monsey, NY: Criminal Justice Press.
  • Foucault, Michel (1994). Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Frank, Carsten (2012, 14.06.). Technische Überwachungsmaßnahmen. Bundeszentrale für politische Bildung. Dossier Innere Sicherheit. Online verfügbar unter: http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/innere-sicherheit/125982/technische-ueberwachungsmassnahmen
  • Glaubitz, Christoffer; Kudlacek, Dominic; Neumann, Merten; Fleischer, Stephanie; Bliesener, Thomas  (2018). Ergebnisse der Evaluation der polizeilichen Videobeobachtung in Nordrhein-Westfalen gemäß § 15a PolG NRW. Forschungsbericht Nr. 143. Hannover: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. (KFN). Online verfügbar unter: https://kfn.de/wp-content/uploads/Forschungsberichte/FB_143.pdf
  • Heiner Koch, Cornelius Held, Tobias Matzner, Julia Krumm unter Mitarbeit von Jaqueline Flack, Jens Hälterlein, Petra Markel, Norma Möllers, Philipp Wittmann, hg. v. Regina Ammicht Quinn (2015). Intelligente Videoüberwachung: eine Handreichung (Materialien zur Ethik in den Wissenschaften, Band 11). Tübingen: IZEW. Online verfügbar unter: https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/handle/10900/67099
  • Knopp, Philipp & Ullrich, Peter (2019). Abschreckung im Konjunktiv. Macht- und Subjektivierungseffekte von Videoüberwachung auf Demonstrationen. Berliner Journal für Soziologie.
  • Kohl, Andreas (2006). Videoüberwachung. In: Hans-Jürgen Lange & Matthias Gasch (Hrsg.) Wörterbuch zur Inneren Sicherheit. Wiesbaden: Springer VS, S. 356-360.
  • Krempl, S. (2013, 17.07). Friedrich erhebt Sicherheit zum „Supergrundrecht“. Heise Online. Online verfügbar unter: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Friedrich-erhebt-Sicherheit-zum-Supergrundrecht-1919309.html
  • Ratcliffe, J. H., & Groff, E. R. (2018). A Longitudinal Quasi-Experimental Study of Violence and Disorder Impacts of Urban CCTV Camera Clusters. Criminal Justice Review. https://doi.org/10.1177/0734016818811917
  • Wehrheim, Jan (2012). Die überwachte Stadt – Sicherheit, Segregation und Ausgrenzung (3. Aufl.). Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich.
  • Welsh, B. C.; Farrington, D. P. (2002). Crime prevention effects of closed circuit television: a systematic review. Home Office Research Study 252. London: Home Office Research, Development and Statistics Directorate.

Kategorie: Stadtsoziologie Tags: CCTV, Kontrolle, Panopticon, Videoüberwachung

Lokale Sicherheit

Kategorie: Stadtsoziologie

Segregation

Was ist Segregation?

Segregation (von segregieren: trennen, abspalten, absondern) meint den Prozess der Abspaltung geographischer Räume nach sozialen, demographischen oder auch kulturell/ ethnischen Kriterien. Farwick (2012: 381) definiert Segregation als „Prozesse der räumlichen Differenzierung, Sortierung und Separierung“ (dynamische Betrachtung) oder auch als „das Muster einer disparitären Verteilung von Bevölkerungsgruppen im Raum“ (statistische Betrachtung).

Segregation verweist somit auf das Vorhandensein sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit. Bewohner eines Quartiers weisen oft soziale, demographische, kulturelle oder ethnische Gemeinsamkeit auf. Dabei unterscheidet man freiwillige von erzwungener Segregation. Der Segregation liegt zumeist eine ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung zugrunde: während sich die Reichen in die besseren Wohnquartiere zurückziehen, wohnen einkommensschwache Menschen in den schlechteren Wohnquartieren, die sich durch einen sanierungsbedürftigen Wohnraum, schlechte infrastrukturelle Anbindung und dergleichen auszeichnen. Die räumliche Segregation ist Ausdruck von bzw. geht häufig einher mit einer sozialen Segregation und auch demographischen Segregation. Beispielsweise werden Ausländer und Migranten auf dem Wohnungsmarkt oft benachteiligt, so dass sie nur Wohnraum in den schlechteren Wohnvierteln einer Stadt finden, in denen bereits andere Ausländer und Menschen mit Migrationshintergrund oder einkommensschwache Bewohner leben. Durch die schlechte infrastrukturelle Versorgung und dadurch bedingt, dass alle Menschen im Wohnumfeld über knappe Ressourcen verfügen, fehlen Informations- und Kontaktmöglichkeiten, die über das segregierte Wohnquartier hinausreichen. Der räumlichen Ausgrenzung folgt damit eine soziale Ausgrenzung.

Beispiele für Segregation

Segregation ist keineswegs ein neues Phänomen, das nur moderne Großstädte betreffen würde. Bereits im Mittelalter lebten die Menschen in der Stadt getrennt nach sozialem Stand und Berufszunft (die zahlreichen Bäcker-, Tuchmacher-, Metzgerstraßen, die noch heute in Stadtplänen deutscher Städte verzeichnet sind, zeugen von dieser Tradition).

Auch die kulturelle und ethnische Segregation ist keineswegs ein neues Phänomen. Eines der bekanntesten Beispiele für eine ethnische Segregation dürfte Chinatown in New York Manhattan sein. Ende des 19. Jahrhunderts begannen chinesische Migranten sich in Lower Manhattan niederzulassen. Heute stellt Chinatown mit seinen 90.000-100.000 Bewohnern die größte von insgesamt zwölf chinesischen Enklaven in der Metropolregion New York dar, die zusammengenommen die größte chinesische Population außerhalb Chinas bilden.

Ein Beispiel für eine frei gewählte Form der Segregation sind sog. Gated Communities, also „private, von der Außenwelt abgeschottete Wohnstätten“ (Wehrheim, 1999). In Deutschland sind Gated Communities ein relativ junges und rares Phänomen im Gegensatz z.B. zu den USA. Mit der Siedlung „Potsdamer Arkadien“ (auch: Arcadia) wurde in den 1990er Jahren Deutschlands erste Gated Community eröffnet und als solche offensiv vermarktet. Heute weckt der Begriff Gated Community in Deutschland eher negative Assoziationen. Prestigeträchtige Neubausiedlungen in deutschen Großstädten wie z.B. der „Marthashof“ im Prenzlauer Berg, Berlin oder die „Heinrich-Heine-Gärten“ in Düsseldorf verzichten auf den Begriff auch wenn sie alle Merkmale einer freiwilligen residentiellen Segregation und eines Ausschlusses anderer aufweisen wie eine Umzäunung, Überwachungstechnik und den obligatorischen Doorman oder Concierge, der den Zugang zu den Wohneinheiten überwacht.

 

Die A40 bei Essen-Huttrop bei Nacht
Von Christian Demski – http://www.piqs.de/fotos/6077.html, CC BY 2.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10198102

Aber auch in deutschen Städten ist Segregation zu beobachten. Die geographische Segregation wird häufig bedingt durch natürliche oder bauliche Barrieren wie z.B. Flüsse, Kanäle oder Autobahnen. Diese „Grenzen“ markiren zugleich den Verlauf anhand dessen sich der Einfluss von geographischer auf die soziale, demographische, kulturelle Segregation ablesen lässt. Eine solche Linie bildet die Autobahn 40, die in Ost-West-Richtung von Dortmund bis Straelen quer durch das Ruhrgebiet verläuft. Sie unterteilt damit Städte wie Duisburg oder Essen in eine Nord- und Südhälfte. Die A40 ist jedoch nicht nur eine bauliche Barriere sind auch ein „Sozialäquator“. Während in den südlich der A40 gelegenen Stadtteilen beispielsweise die Quote der Hartz-4-Empfänger_innen und der Anteil der Migranten unter der Wohnbevölkerung überdurchschnittlich hoch ist und unterdurchschnittlich viele Schulkinder weiterführende Schulen besuchen, ist in den nördlich der A40 gelegenen Stadtvierteln der Anteil von Hartz4-Empfängerinnen unterdurchschnittlich und der Anteil der Schüler_innen, die das Gymnasium besuchen, überdurchschnittlich hoch. Dieses Nord-Süd-Gefälle hat auch Einfluss auf die Mietpreise. Während nördlich der A40 Wohnraum für einkommensschwache Mieter unerschwinglich ist, ist er südlich der A40 günstiger.

Die Dokumentation „A40 – Eine Autobahn trennt arm und reich“ (WDR, 2017) dokumentiert den „Sozialäquator A40“. Die Reportage ist auf YouTube verfügbar:

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Gentrifizierung

Der Begriff Gentrifizierung stammt aus dem Englischen und leitete sich von dem Begriff „gentry“ ab, was eine Bezeichnung für den niederen englischen Adel ist. Der Begriff Gentrifizierung wurde 1963 von der britischen Stadtsoziologin Ruth Glass geprägt. Glass beschrieb wie Mitglieder der Mittelschicht (gentry) sich zunehmend in Londoner Wohnbezirken niederließen, die traditionell von Unterschichtszugehörigen der Arbeiterklasse bewohnt wurden. Der Zuzug der neuen Bewohner ging mit einer baulichen Aufwertung der Wohnquartiere einher, führte zugleich aber zur Verdrängung der alteingesessenen Bewohner.

One by one, many of the working class quarters of London have been invaded by the the middle-classes – upper and lower. Shabby, modest mews and cottages […] have been taken over, when their leases have expired, and have become elegant, expensive residences […]
Once this process of ‚gentrification‘ starts in a district it goes on rapidly until all or most of the original working-class occupiers are displaced and the whole social character of the district is changed.Glass 1964: XVIII-XIX

Der Begriff und das Konzept der Gentrifizierung hat seit den 1990er Jahren auch Eingang in die deutschsprachige Soziologie/ Human-Geographie gefunden. Gentrifizierungsprozesse lassen sich in nahezu jeder Großstadt finden.

Die vier Phasen der Gentrifizierung

Der Gentrifizierungsprozess lässt sich durch die sog. Invasions-Sukzessions-Zyklen beschreiben und in vier Phasen unterteilen:

Phasen der Gentrification

  1. Phase
    In der ersten Phase kommt es zu einem Zuzug von sog. Pionieren in ein Stadtviertel mit günstigen Mietpreisen. Die Pioniere sind oftmals junge Singles/ Paare, die über wenig Geld aber viel „kulturelles Kapital“ (Bildung) verfügen. Unter den Pionieren finden sich typischerweise viele Studierende und KünstlerInnen. Sie schätzen neben den günstigen Mietpreisen vor allem die Diversität des Viertels und die innerstädtische Lage der Wohnungen (z.B. räumliche Nähe zur Universität). Da diese Pioniere ihren Verbleib im Viertel nicht auf Dauer planen, ist ihr Interesse an hochwertigem Wohnraum zweitrangig.
  2. Phase
    In der zweiten Phasen ziehen zunehmend mehr Pioniere in ein Viertel, das langsam seinen Charakter verändert und zu einem „Geheimtipp“ wird. Kneipen, Galerien, Clubs und andere Dienstleistungsbetriebe zeugen von einem langsamen Wandel des Viertels. Das Mitpreisniveau ist insgesamt immer noch niedrig. Nachdem jedoch erste Investoren, das Viertel als einen „Geheimtipp“ erkannt haben, beginnen sie mit der Modernisierung von Wohnquartieren, die nun deutlich über der ortsüblichen Miete/ Verkaufspreis von den ersten Gentrifizierern bezogen werden. Bei den Gentrifizierern handelt es sich in der Regel um überdurchschnittlich gut verdienende Paare mit oder ohne Kinder. Sie beabsichtigen sich längerfristig in dem Viertel niederzulassen. Die Nachfrage nach Wohnraum steigt und damit das Mietpreisniveau. Alteingesessene Bewohner klagen über Miterhöhungen (insbesondere nach erfolgter Modernisierung)
  3. Phase
    Weitere Gentrifizierer ziehen in das Viertel, das langsam seinen Charakter als diverses, buntes Viertel einbüßt. Die Pioniere beklagen den Verlust an Diversität und die steigenden Mieten. Der Wandel des Viertels ist wahrnehmbar (neue Geschäfte eröffnen, alte Läden schließen/ wechseln die Besitzer auch aufgrund steigender Gewerbemieten). Die Medien berichten über diesen Wandel, was zu einer erhöhten Nachfrage nach Wohnraum im neuen „In-Viertel“ führt. Weitere Modernisierungen führen zu einer weiteren Verteuerung der Mieten und einem Wegzug der alteingesessenen Bewohner und Pioniere der ersten Stunde.
  4. Phase
    Das Viertel hat für Pioniere seinen Reiz verloren. Es ziehen aber nach wie vor weitere Gentrifizierer nach. Investoren wandeln Miet- in Eigentumswohnungen um. Die ursprüngliche Bewohnerschaft kann sich die Mieten nicht mehr leisten. Insbesondere bei einer Umwandlung zu Wohneigentum sind die Preise auch für die ersten Gentrifizierer aus der an und für sich einkommensstarken Mittelschicht nicht mehr zu tragen. In diesen Fällen kann man von einer Hyper-Gentrifizierung sprechen.

Weiterführende Quellen

  • Blasius, J. (1993). Gentrification und Lebensstile. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag.
  • Breckner, I. (2010, 20. April). Gentrifizierung im 21. Jahrhundert. Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 17/2010)
    Stadtentwicklung. Online verfügbar unter: http://www.bpb.de/apuz/32813/gentrifizierung-im-21-jahrhundert?p=all#footnode4-4

  • Farwick, A. (2012). Segregation. In: F. Eckardt (Hrsg.). Handbuch Stadtsoziologie. Wiesbaden: Springer, S. 381-419.
  • Glass, R. (1964). London Aspects of Change. London: MacGibbon & Kee.
  • Wehrheim, J. (19999). Gated Communities. Sicherheit und Separation in den USA. In: RaumPlanung, Nr. 87, S.248-253. Online verfügbar unter: http://www.citycrimecontrol.net/texte/gated.html

Kategorie: Stadtsoziologie

Stadtsoziologie

Nachstehende Ausführungen in Anlehnung an das Teilmodul HS 2.1.3 Stadtsoziologie, Polizei und Gewalt

Der Roman Berlin Alexanderplatz (1929) von Alfred Döblin erzählt die Geschichte des Kleinkriminellen Franz Biberkopf, der sich nach seiner Haftentlassung in der Großstadt Berlin zurechtfinden muss. Der collagenartig verfasste Roman illustriert den Bruch hin zur Moderne und die hiermit verbundenen Herausforderungen und Schwierigkeiten für den Menschen.

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Literatur und weiterführende Quellen

  • Bundeszentrale für politische Bildung – Dossier Stadt und Gesellschaft
  • Eckardt, F. (Hsrg.) (2012). Handbuch Stadtsoziologie. Wiesbaden: Spinger.
  • Fink, P.; Hennicke, M. & Tiemann, H. (2019). Ungleiches Deutschland. SozioökonomischerDisparitätenbericht 2019. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung. Online verfügbar unter: http://library.fes.de/pdf-files/fes/15400-20190430.pdf
  • Glasze, G.;  Pütz, R. & Rolfes, M. (2005). Die Verräumlichung von (Un-)Sicherheit, Kriminalität und Sicherheitspolitiken-Herausforderungen einer Kritischen Kriminalgeographie. Diskurs – Stadt – Kriminalität: Städtische (Un-)Sicherheiten aus der Perspektive von Stadtforschung und Kritischer Kriminalgeographie (S. 13–104).
  • Sektion Stadt- und Regionalsoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS)
  • Wehrheim, J. (2006). Die überwachte Stadt. Sicherheit, Segregation und Ausgrenzung. (3. Aufl.). Opladen: Budrich.

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