Anfang April wurde die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 2023 vorgestellt. Für das Berichtsjahr 2023 dokumentiert die PKS 5,9 Millionen Fälle, was einen Anstieg von 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Neben diesem allgemeinen Anstieg der Fallzahlen war vor allem der gestiegene Anteil an nichtdeutschen Tatverdächtigen Gegenstand öffentlicher Debatten.
Anlässlich der Veröffentlichung der PKS 2023 hatte ich Gelegenheit, die Statistik bei Deutschlandfunk Kultur zu kommentieren. Im Mittelpunkt des Interviews stand die Frage, warum die Veröffentlichung der PKS immer wieder Anlass für politische Kontroversen und populistischen Ausfällen ist.
Die PKS bildet nicht die Kriminalitätswirklichkeit ab
Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik nicht DIE Kriminalität abbildet, sondern nur die polizeilich bekannt gewordenen und abschließend bearbeiteten Fälle. Es handelt sich also um eine Statistik, die zählt, wie viele Fälle die Polizei in einem Jahr bearbeitet hat. Die Statistik zählt Verdachtsfälle und Tatverdächtige, nicht aber Taten und Täter. Diese werden erst von den Gerichten festgestellt. Der Name „Polizeiliche Kriminalstatistik“ suggeriert jedoch, dass Kriminalität gezählt wird. Hier wäre eine Bezeichnung wie „Polizeiliche Verdachts-/Tatverdächtigenstatistik“ oder auch „Polizeiliche Arbeitsstatistik“ vielleicht treffender.
Die PKS beinhaltet Fehler
Neben der PKS existieren zahlreiche andere Kriminal- und Justizstatistiken, in denen z.B. Entscheidungen der Staatsanwaltschaften und Gerichte erfasst werden. Eine Zusammenführung dieser Statistiken findet jedoch nicht statt. Es gibt somit keine Möglichkeit festzustellen, ob jemand, der von der Polizei als tatverdächtige Person erfasst wurde, später tatsächlich angeklagt und verurteilt oder sich aber als unschuldig erweist und freigesprochen wird. Die PKS beinhaltet daher Fehler. Eine Zusammenführung der verschiedenen Statistiken würde einen großen Erkenntnisgewinn bedeuten.
Die meisten Straftaten bleiben unentdeckt
Zudem werden NUR die polizeilich bekannt gewordenen Fälle – das sogenannte Hellfeld – erfasst. Die Mehrzahl der Taten bleibt jedoch im so genannten Dunkelfeld, wird also weder der Polizei noch der Justiz bekannt. Wie groß dieses Dunkelfeld ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Dunkelfeldforschungen, bei denen zumeist Opfer von Straftaten (aber auch Täter oder Experten) befragt werden, können einen Einblick in das Dunkelfeld geben. Endgültige Sicherheit über Größe und Zusammensetzung des Dunkelfeldes kann es jedoch nicht geben.
Die PKS ist manipulierbar
Das Hellfeld speist sich aus zwei Quellen. Die erste und wichtigste Quelle sind Anzeigen aus der Bevölkerung. Über 90 Prozent der bekannt gewordenen Fälle gehen auf Anzeigen zurück. Für die Kriminalitätsentwicklung nach der PKS spielt daher die so genannte Anzeigebereitschaft eine herausragende Rolle. Ob eine Straftat angezeigt wird, hängt von vielen Faktoren ab, wie z.B. Schadenshöhe, Schamgefühl, Versicherungsbedingungen, Vertrauen in die Polizei etc.
Die zweite Quelle, aus der sich das Hellfeld speist, sind proaktive Ermittlungen der Polizei selbst. Hier spielen die so genannten Kontrolldelikte eine herausragende Rolle, bei denen eine Straftat im Rahmen einer (polizeilichen) Kontrolle auffällt. Dies ist vor allem bei opferlosen Delikten wie dem Konsum illegaler Betäubungsmittel, Umweltdelikten, Korruption oder Schwarzfahren relevant.
Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass sich sowohl die Anzeigebereitschaft als auch die Kontrollintensität verändern. Das Bekanntwerden spektakulärer Kriminalfälle, Öffentlichkeitskampagnen oder auch die Entscheidung der Polizeiführung, gezielt gegen bestimmte Delikte vorzugehen, haben unmittelbaren Einfluss auf die Kriminalitätsentwicklung in der PKS.
Der Vergleich deutscher und nicht-deutscher Tatverdächtiger hinkt
Die PKS weist die Nationalität der Tatverdächtigen aus. Dies suggeriert eine Erklärungskraft der Variable „Nationalität/Ethnie“ für das Legalverhalten. Die rassistische Annahme, die Farbe des Passes allein könne Kriminalität erklären, ist in der Kriminologie seit vielen Jahren widerlegt. Die statistisch höhere Belastung von Nichtdeutschen ist vielmehr das Ergebnis verschiedener Einflussfaktoren (Eine ausführliche Kritik findet sich hier):
- Verstöße gegen das Asyl-/ Ausländer-/ Aufenthaltsrecht gegen das deutsche Staatsbürger nicht verstoßen können
- demographische Faktoren wie Geschlecht und Alter
- soziale Faktoren wie Einkommen, Bildung, Wohnsituation, soziale Netzwerke
- Längst nicht alle Ausländer, die sich in Deutschland aufhalten, sind hier gemeldet. Dies hat Einfluss auf die Berechnung der sog. Tatverdächtigenbelastungsziffer, auf die für den Vergleich deutscher vs. nicht-deutscher Tatverdächtiger zurückgegriffen wird
- erhöhte Anzeigebereitschaft gegenüber „Fremden“ – noch einmal verschärft durch mögliche Sprachbarrieren
- erhöhte Kontrollintensität gegenüber Nicht-Deutschen
Die Erklärungskraft der PKS ließe sich erhöhen, wenn Variablen zur sozialen Lage der Tatverdächtigen erfasst würden. Die Erfassung der Nationalität hat indes keine Erklärungskraft und schürt lediglich rassistische Ressentiments.
Fazit
Die PKS ist eine wichtige Datenquelle für alle, die sich beruflich mit Kriminalität und Kriminalprävention befassen. In erster Linie ist die PKS aber eine Arbeitsstatistik der Polizei. Dass die Veröffentlichung der PKS alljährlich auf so großes öffentliches Interesse stößt, sagt wohl mehr über die Faszination aus, die das Verbrechen auf die Menschen ausübt, als über die konkrete Fallentwicklung laut Statistik.
Das Interview ist hier nachzuhören: https://www.deutschlandfunkkultur.de/polizeiliche-kriminalstatistik-ein-blick-jenseits-der-reflexe-dlf-kultur-0f899eee-100.html