Hirschi geht in seiner Bindungstheorie davon aus, dass Menschen von Natur aus zu Delinquenz neigen. Die für ihn interessante Frage ist, was Menschen davon abhält, gegen Normen zu verstoßen. Konformität wird laut Hirschi durch soziale Kontrolle erzeugt. Hirschi unterscheidet vier verschiedene Formen sozialer Bindung (social bonds) und deren Einfluss auf die soziale Kontrolle: Attachment (Bindung), Commitment (Verpflichtung), Involvement (Einbindung) und Belief (Überzeugung).
Hauptvertreter
Theorie
Hirschi geht mit seiner Bindungstheorie von der Grundannahme aus, dass Menschen von Natur aus zur Delinquenz neigen. Die für ihn interessante Frage ist, was Menschen davon abhält, von Normen abzuweichen. Hirschi geht davon aus, dass je stärker das Ausmaß sozialer Kontrolle und je dichter das Geflecht sozialer Bindungen sind, desto eher Personen sich normenkonform verhalten. Hirschi bezieht seine Theorie (nicht nur aber) ausdrücklich auf jugendliche Delinquente und widerspricht damit der Annahme, dass delinquente Jugendliche maßgeblich Einfluss auf ihre gleichaltrigen Peers ausüben (siehe hierzu: Theorie der differentiellen Assoziationen (Sutherland)).
Unter „social bonds“ versteht Hirschi Elemente des sozialen Zusammenschlusses (Bonds). Dies beinhaltet die Bindung an die Familie (attachment), die Hingabe an sozial akzeptierte Normen und Institutionen (commitment), die Einbindung in Aktivitäten (involvement) sowie die Überzeugung, dass diese Dinge wichtig sind (belief).
Attachment
“Attachment” beschreibt die Stärke der Bindung und Beziehungen, die mit dem sozialen Umfeld eines Individuums bestehen. Besonders wichtig ist die Beziehung zu den Eltern, aber auch andere Institutionen wie die Schule oder Freunde spielen hier eine Rolle. Die Bindung an den Freundeskreis kann genauso stark Devianz vorbeugen, allerdings nur solange der Freundeskreis keine devianten Normen vertritt.
Commitment
“Commitment” beschreibt das Maß an Hingabe, die an konventionelle Normen investiert worden ist. Hirschi geht davon aus, dass jemand der bereits Ressourcen, Zeit und Energie in konforme Ziele investiert hat, mehr durch deviantes Verhalten zu verlieren hat als jemand, der bisher wenig Hingabe beim Verfolgen sozial anerkannter Ziele investiert hat. Zum Beispiel hat eine Schülerin, die bisher viel Zeit investiert hat, um gute Noten zu bekommen, mehr durch einen Schulverweis zu verlieren als eine faule Schülerin, der Noten weniger wichtig sind.
Involvement
Mit “Involvement” meint Hirschi, dass jemand der intensiv in konventionelle Aktivitäten eingebunden ist, weniger Zeit und Gelegenheit hat, deviantes Verhalten auszuüben. Strukturierte, gesellschaftlich akzeptierte Aktivitäten wie Schule, Arbeit oder das Erziehen von Kindern stärken zudem die Selbstdisziplin, die nötig ist, um den Impulsen sich abweichend zu verhalten, zu widerstehen.
Belief
Als vierten Faktor der sozialen Bindung sieht Hirschi “Belief”. Damit ist der Glaube an und die Gültigkeit der Werte und Normen der Mehrheitsgesellschaft gemeint. Je stärker diese Werte und Normen verinnerlicht worden sind, desto schwerer wird es, gegen sie zu verstoßen. Wenn der Sinn von Normen hinterfragt wird, verringert sich auch die intrinsische Motivation, die Normen zu befolgen.
Kriminalpolitische Implikationen
siehe: General Theory of Crime
Kritische Würdigung
Kritisiert werden kann an Hirschi’s Kontroll-Theorie, dass die Motivation sich abweichend zu verhalten, einfach vorausgesetzt wird. Dabei werden individuelle Gründe für ein abweichendes Verhalten außer Acht gelassen.
Hirschis vier Variablen sind nicht problemlos auf alle Formen der Kriminalität anwendbar. Als Beispiel kann White Collar Crime gesehen werden. Personen, die Wirtschaftskriminalität begehen, sind in der Regel gut in die Gesellschaft integriert und weisen zumindest auf den Ebenen von Involvement und Commitment starke Bindungen auf.
Empirisch wurde die Social Bonds-Theorie ausgiebig untersucht. Dabei ergeben sich für die verschiedenen Variablen unterschiedliche Ergebnisse:
- Zwischen Attachment und Commitment und konformem Verhalten lassen sich generell starke Zusammenhänge nachweisen
- Zwischen Beliefs und konformem Verhalten besteht tendenziell ein Zusammenhang. Allerdings ließe sich Devianz in diesem Fall durch Lerntheorien besser erklären: Wird ein Mensch deviant, weil sein Glaube in konventionelle Werte schwach ist, oder wird er deviant, weil er neue Werte erlernt hat? (siehe hierzu: Subkulturtheorie nach Cohen)
- Der Zusammenhang zwischen Involvement und Devianz ist undeutlich und in verschiedenen Studien wurden uneinheitliche Ergebnisse gefunden. Involvement korreliert teilweise positiv, teilweise negativ mit Devianz.
- Involvement mit delinquenten Gleichaltrigen korreliert stark mit Devianz, unabhängig von anderen Variablen. Diese Form der sozialen Kontrolle, welche von devianten Gruppen ausgeübt wird und so Devianz fördert, wird von Hirschi ignoriert.
Schließlich übte Hirschi selber starke Kritik an seiner Theorie aus, insbesondere über ihren Ursprung. Über die Zeit hinweg, hat er die Theorie immer weniger unterstützt und ersetzte sie schließlich 1990 durch die „General Theory of Crime“ (vgl. Kritische Würdigung der Allgemeinen Kriminalitätstheorie).
Literatur
Primärliteratur
- Hirschi, Travis (1969): Causes of delinquency. 3. print. Berkeley, Calif: University of California Press.
Sekundärliteratur
- Krohn, Marvin D.; Massey, James L.: Social Control and Delinquent Behavior: An Examination of the Elements of the Social Bond. The Sociological Quarterly 2 1 (Autumn 1980):529-543.
- Agnew, Robert: Social Control Theory and Delinquency: a Longitudinal Test. Criminology, 23(1), 1985, 47-61.