Der Begriff Habitus ist ein zentrales Konzept in der Soziologie, das vor allem durch den französischen Soziologen Pierre Bourdieu geprägt wurde. Er dient als Werkzeug, um das Zusammenspiel von sozialer Herkunft, persönlichem Verhalten und gesellschaftlichen Strukturen zu verstehen. Damit wird das Habituskonzept zum Verbindungspunkt von Individuum und Gesellschaft. Gesellschaftliche Strukturen prägen individuelle Verhaltensweisen und individuelles Handeln festigt soziale Strukturen.
Definition Habitus
Der Habitus bezeichnet zum einen die habitualisierten Gewohnheiten und Handlungen von Personen. Zum anderen wird mit Habitus auch ein sozialisatorisch erworbenes Schema zur Erzeugung immer neuer Handlungen bezeichnet, das Grenzen und Spielräume sozialer Ordnungen reproduziert und verändert. Als dialektischer Begriff bezeichnet der Habitus immer beides: das bereits Strukturiert-Sein und die strukturierende Funktion der Handlungen von Individuen, die gesellschaftliche Prägung und die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten.
Liebsch, 2000, S. 72
Der Habitus ist dabei weder statisch noch absolut bewusst. Er wirkt vielmehr wie ein unsichtbarer Rahmen, der das Handeln leitet. Zum Beispiel kann der Habitus beeinflussen:
- Wie wir sprechen und welche Worte wir wählen.
- Welche Interessen und Vorlieben wir entwickeln.
- Wie wir uns in sozialen Situationen bewegen oder Kleidung als Ausdrucksmittel nutzen.
Diese “Gewohnheiten” sind tief in uns verankert und spiegeln oft unsere soziale Herkunft wider. Der Habitus lässt sich nicht ablegen und nur sehr schwer verändern. Deutlich wird dies, wenn sich Menschen außerhalb ihrer gewohnten sozialen Bezüge bewegen. Ihr Handeln wirkt dann unsicher und wird von anderen als eigenartig empfunden.
Beispiel 1: „Altes Geld“ vs. Neureiche
Der soziale Hintergrund oder die gesellschaftliche Lage prägen den Habitus. Dies lässt sich an einem Vergleich von wohlhabenden Menschen, die über „altes Geld“ verfügen und wohlhabenden „Neureichen“ illustrieren.
Menschen, die über „altes Geld“ verfügen, sind in der Regel in eine reiche, traditionsreiche Familie hineingeboren. Ihr Habitus ist das Ergebnis eines Lebens in einer Umgebung, in der Wohlstand als selbstverständlich angesehen wird. Der Reichtum wird als gegeben betrachtet und nicht zur Schau gestellt. Diskretion ist eine geschätzte Tugend. Bildung und Kunst (z. B. Oper, klassische Literatur) werden als Statussymbole verstanden. Geschmack und Stil haben hier Vorrang vor bloßem Konsum. Beziehungen und gesellschaftliche Positionen sind oft über Generationen aufgebaut worden, und soziales Kapital ist ein integraler Bestandteil des Lebens.
Im Gegensatz hierzu haben Neureiche ihren Wohlstand oft durch eigene unternehmerische oder berufliche Erfolge erworben. Ihr Habitus ist daher stark von einer Aufstiegserfahrung geprägt, die mit dem Wunsch verbunden ist, den Erfolg zu zeigen und zu genießen. Teure Autos, große Häuser und Markenmode sind typische Ausdrucksformen, um den eigenen Erfolg demonstrativ zur Schau zu stellen. Moderne Technologien, Trendprodukte und Innovationen stehen im Vordergrund, da diese den Status und Fortschritt betonen. Da sie nicht in diese Lebensweise hineingeboren wurden, orientieren sich Neureiche oft an sichtbaren Symbolen von Reichtum und Status, ohne unbedingt die subtileren Codes zu kennen.
Aspekt | "Altes Geld" | Neureiche |
---|---|---|
Wohnstil | Dezente Eleganz: Erbstücke, klassische Kunst, oft in jahrhundertealten Villen | Opulenz: Moderne Häuser, neueste Designs, beeindruckende Architektur |
Freizeitgestaltung | Golf, Segeln, philanthropische Aktivitäten | Luxusreisen, exklusive Clubs, Social Media Präsenz |
Kleidung | Maßanfertigungen, dezente Luxusmarken, traditionelle Eleganz | Logos, auffällige Designerstücke, aktuelle Modetrends |
Netzwerke | Alteingesessene Verbindungen, exklusive Zirkel | Dynamisch, oft aus Geschäftskontakten entstanden |
Der Unterschied im Habitus führt dazu, dass Menschen aus diesen beiden Gruppen oft unterschiedlich wahrgenommen werden – sowohl von anderen als auch von sich selbst.
Menschen mit „altem Geld“ werden oft als kultiviert und stilvoll angesehen, auch wenn ihr Reichtum nicht öffentlich sichtbar ist. Ihre Diskretion verleiht ihnen ein Gefühl von Autorität und Klasse.
Neureiche hingegen werden manchmal als „protzig“ oder „geschmacklos“ wahrgenommen, weil sie ihren Wohlstand offen zur Schau stellen. Dies wird von denjenigen, die mit „altem Geld“ aufgewachsen sind, oft als Zeichen von Unsicherheit gewertet.
Menschen mit „altem Geld“ sehen sich häufig als Hüter eines Erbes und empfinden ihren Wohlstand als Verpflichtung, Verantwortung oder gar Bürde.
Neureiche hingegen erleben ihren Reichtum oft als Errungenschaft und feiern ihn entsprechend. Für sie ist er ein Symbol des Erfolgs und Ausdruck harter Arbeit.
Obwohl Neureiche und Menschen mit „altem Geld“ auf den ersten Blick ähnlich reich sind, bleibt die Kluft in ihrem Habitus spürbar. Der Habitus kann die unsichtbare soziale Grenzen und die Macht der sozialen Herkunft sichtbar machen. Dabei ist der Habitus nicht nur ein persönlicher Ausdruck oder eine Frage des Geschmacks, sondern ein Spiegel gesellschaftlicher Strukturen.
Literatur und weiterführende Informationen
- Liebsch, K. (2000). Identität und Habitus. In: Hermann Korte und Bernd Schäfers (Hrsg.) Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie (5. Auflage). Opladen: Leske und Budrich. S. 65-82
- Schäfers, Bernd (Hrsg.) (2011) Grundbegriffe der Soziologie (7. Auflage). Opladen: Leske und Budrich.