Der Mensch handelt nicht im luftleeren Raum. Er spricht, grüßt, weicht aus, widerspricht, hört zu – und tut all dies in Bezug auf andere. Nicht jede Handlung, die wir ausführen, ist in diesem Sinne sozial. Erst wenn unser Verhalten am Verhalten anderer orientiert ist, spricht die Soziologie von sozialem Handeln.
Was ist soziales Handeln?
Definition
Soziales Handeln […] soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.
Max Weber
Diese Definition stammt von Max Weber und bildet den Ausgangspunkt der interpretativen Soziologie. Sie macht deutlich, dass der subjektiv gemeinte Sinn einer Handlung entscheidend ist – nicht ihre Wirkung, Absicht oder moralische Bewertung. Soziales Handeln liegt dann vor, wenn ich in meinem Tun die Reaktion anderer mitdenke.
Ein klassisches Beispiel: Wer auf der Straße jemanden grüßt, handelt sozial. Wer sich im Schlaf dreht, nicht. Auch das Aufstellen eines Verkehrszeichens, das Anheben der Stimme beim Sprechen oder das Zeigen eines Ausweises – all das sind Formen sozialen Handelns, weil sie auf andere bezogen sind und deren Verhalten beeinflussen sollen.
Abgrenzung: Verhalten vs. Handeln
Die Soziologie unterscheidet zwischen:
- Verhalten: Jede beobachtbare Aktivität eines Menschen – z. B. Reflexe, Bewegungen, Routinen – ohne zwingend gemeinten Sinn.
- Handeln: Verhalten mit subjektivem Sinn, bewusstem Bezug und Orientierung.
- Soziales Handeln: Handeln, das sich am Verhalten anderer orientiert – z. B. Fragen, Antworten, Grüßen, Befehlen, Nachgeben, Provozieren.
Relevanz in der Polizeipraxis
In der Polizeiarbeit ist soziales Handeln allgegenwärtig. Jede Maßnahme, jeder Kontakt, jede Entscheidung erfolgt im Kontext sozialer Erwartungen, Reaktionen und Deutungsmuster. Polizist:innen handeln nicht isoliert, sondern in der Gesellschaft und für die Gesellschaft.
„Polizeiliches Handeln ist immer auch Handeln in der Gesellschaft und für die Gesellschaft.“
Frevel, 2002, S. 5
Ob beim Bürgerkontakt, bei der Gefahrenabwehr oder im Rahmen von Kontrollen – die Polizistin oder der Polizist steht immer im sozialen Austausch. Sprache, Auftreten, Körpersprache und Reaktionen sind dabei nicht nebensächlich, sondern zentraler Bestandteil der Berufsausübung.
„Der Polizeibeamtin begegnen jeden Tag viele unterschiedliche Menschen. Sie lebt mit ihnen, sie handelt mit ihnen und diese in mannigfaltiger Art und Weise. Jegliches polizeiliches Handeln ist damit soziales Handeln.“
Mauri, 2015, S. 90
Polizeiliches Handeln ist deshalb nicht nur rechtlich zu beurteilen, sondern auch sozial zu verstehen. Ein Gespräch, das deeskaliert oder Vertrauen schafft, ist ebenso wirksam wie eine Maßnahme nach Gesetz. Die Fähigkeit, soziales Handeln zu reflektieren, ist daher ein zentraler Bestandteil polizeilicher Professionalität.
Handlungstypen nach Max Weber
In seinem Werk Wirtschaft und Gesellschaft unterscheidet Max Weber vier Idealtypen sozialen Handelns:
- Zweckrationales Handeln: zielgerichtet, kalkulierend (z. B. Abgabe einer Anzeige, Verkehrsregelung)
- Wertrationales Handeln: orientiert an Überzeugungen oder ethischen Prinzipien (z. B. Zivilcourage, Amtsverständnis)
- Affektuelles Handeln: emotional geleitet (z. B. Wut, Freude, Mitgefühl)
- Traditionales Handeln: routinemäßig, gewohnheitsmäßig (z. B. morgendlicher Gruß, Dienstabläufe)
Diese Idealtypen überschneiden sich in der Realität oft – sind aber hilfreich, um Handlungslogiken zu analysieren. Weitere theoretische Ausführungen finden sich im Beitrag zu Webers Schlüsselwerk Wirtschaft und Gesellschaft.
Fazit: Soziales Handeln sichtbar machen
Soziales Handeln ist keine abstrakte Theorie, sondern Teil jeder Interaktion. Es zeigt sich im Beruf, im Alltag, in Institutionen – überall dort, wo Menschen aufeinander Bezug nehmen. Für die Soziologie ist es die Basiseinheit der Analyse. Für die Polizei ist es gelebter Alltag – in Kommunikation, Konflikt und Kooperation.
Literatur und weiterführende Informationen
- Frevel, B. (2002). Vorwort. In: B. Frevel, H.-J. Asmus, H. Groß, J. Lamers & K. Liebl (Hrsg.). Soziologie. Studienbuch für die Polizei. Hilden/ Rhld.: Verlag deutsche Polizeiliteratur. S. 5-6.
- Mauri, M. (2015). Einführung in die Soziologie für die Polizei. In: B. Frevel (Hrsg.). Polizei in Staat und Gesellschaft. Politikwissenschaftliche und soziologische Grundzüge. Hilden/ Rhld.: Verlag deutsche Polizeiliteratur. S. 90-111.
- Weber, M. (1922). Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen: Mohr Siebeck. [Zum Schlüsselwerk-Beitrag]
- Schäfers, B. (Hrsg.) (2011). Grundbegriffe der Soziologie (7. Aufl.). Leske + Budrich.