Die Idee einer von Abschreckung ausgehenden präventiven Wirkung auf normabweichendes Verhalten, steht im Kern vieler anderer Theorien und v.a kriminalpolitischer Konzepte. Abschreckungstheorien bilden das theoretische Fundament solcher Überlegungen und gehen davon aus, dass die Bestrafung von Verbrechen dazu führt, dass sowohl tatsächliche als auch potenzielle Täter Straftaten in Zukunft vermeiden.
Hauptvertreter
Cesare Beccaria, Jeremy Bentham, Franz von Liszt, Jack P. Gibbs, Alex Piquero, Raymond Paternoster, Stephan Tibbetts, M.C. Stafford, M. Warr, u.a.
Theorie
Die Deterrence Theories basieren auf den klassischen und neoklassischen Annahmen eines willensfreien und rational denkenden Individuums, welches nach utilitaristischem Prinzip nach Lustgewinn und Schmerzvermeidung (beziehungsweise nach rationalem Wahlhandlungsprinzip nach Nutzenmaximierung und Kostenreduzierung) strebt. Sofern kriminelle Handlungen diesem Streben entgegenkommen (wenn also durch Kriminalität die eigene Lust gesteigert werden kann), liegt es nahe, sie zu wählen. Ist die Handlung jedoch mit einer Strafe belegt, so ist es wahrscheinlich, dass die zu erwartenden Kosten gegenüber dem zu erwartenden Nutzen überwiegen. Entscheidend ist zudem, mit welcher Wahrscheinlichkeit und mit welcher zeitlichen Verzögerung die Sanktion auch tatsächlich auf die kriminelle Handlung erfolgt.
Die Abschreckungsthese besagt demnach, dass Menschen von kriminellen Handlungen abgehalten werden können, wenn angedrohte Strafen der delinquenten Handlung mit Sicherheit und ohne zeitliche Verzögerung folgen und diese so schwer oder so hart sind, dass der zu erwartende Schmerz (Kosten) durch die Strafe größer ist als der zu erwartende Lustgewinn (Nutzen) durch die kriminelle Handlung.
Zu unterscheiden ist dabei zwischen der generellen Abschreckung (entspricht der negativen Generalprävention im deutschen Strafrecht) und der spezifischen Abschreckung (entspricht der negativen Spezialprävention im deutschen Strafrecht):
- Erstere bewirkt das Unterlassen von kriminellen Handlungen durch die Allgemeinheit, also von potenziellen Tätern. Die öffentliche Sichtbarmachung der Sanktion ist daher äußerst entscheidend, damit die Allgemeinheit auch weiß, was „ihr blühen würde“ und daher delinquentes Verhalten unterlässt.
- Die spezifische Abschreckung bezeichnet indes die Wirkung der Sanktion auf den Bestraften, welcher nun aus Angst vor erneuter Strafe von weiteren kriminellen Handlungen abgehalten wird. Von Liszt sieht diese Form der Bestrafung für den so genannten Gelegenheitsverbrecher vor, dem ein Denkzettel verpasst werden müsse, um ihm die Grenze zwischen Konformität und Kriminalität für die Zukunft zu verdeutlichen.
Kriminalpolitische Implikationen
Offensichtlich besteht nach Meinung der Abschreckungstheoretiker die Forderung, auf Kriminalität immer und ohne zeitliche Verzögerung in der Schwere zu reagieren, sodass es irrational wird, kriminell zu handeln.
Zu bedenken ist dabei jedoch, dass nicht die tatsächlichen Strafen abschreckend wirken, sondern die Strafen, die von den Menschen erwartet werden (perceived deterrence), welche wiederum von den eigentlich durchgeführten Sanktionen und deren medialer Berichterstattung beeinflusst werden.
Außerdem beziehen sich Abschreckungstheorien nicht nur auf strafrechtliche Sanktionen, sondern zeigen sich auch in anderen politisch präventiven Konzepten wie Videoüberwachung und Personenkontrollen. Im Vordergrund steht hier also weniger die Antizipation einer harten Strafe als vielmehr das erhöhte Entdeckungsrisiko, ein Teil einer Situational Crime Prevention.
Kritische Würdigung / Aktualitätsbezug
In der Kriminalpolitik wird seit vielen Jahren die abschreckende Wirkung von Sanktionen diskutiert. In den USA, wo sich die Deterrence Theories einer großen Anhängerschaft erfreuen, ist mit der Todesstrafe eine vergleichsweise extreme Form des Abschreckungsgedankens Realität. Fragwürdig ist, ob der Durchführung von strafrechtlichen Exekutionen tatsächlich der Abschreckungsgedanke zugrunde liegt, oder ob hier nicht Konzepte wie ‚just deserts‘, ‚retribution‘ (Vergeltung) oder ‚incapacitation‘ (Unschädlichmachung) die eigentliche Begründung liefern.
Selbst die Annahme, die Verhängung von Todesstrafen wirke abschreckend, ist in den letzten Jahren vielfach untersucht und häufig empirisch widerlegt worden. Allerdings gibt es auch Studien, die die abschreckende Wirkung der Todesstrafe belegen.
Insgesamt erscheint es jedoch äußerst zweifelhaft, ob die deterrence theories zu halten sind. So mehren sich auch bezüglich der Videoüberwachung Stimmen, die eine abschreckende Wirkung von Kameras leugnen und vielmehr von einer räumlichen Kriminalitätsverlagerung in Verbindung mit der Verringerung subjektiver Kriminalitätsfurcht sprechen.
Literatur
Primärliteratur
- Beccaria, C. (1766): Über Verbrechen und Strafen. Hrsg. von Wilhelm Alff. Frankfurt am Main, 1988.
- von Liszt, F. (1882/83): Der Zweckgedanke im Strafrecht. Frankfurt am Main, 1943.
- Paternoster, R.; Piquero, A. (1995): Reconceptualizing Deterrence: An empirical test of personal and vicarious experiences. In: Journal of Research in Crime and Delinquency 32, S. 251-258.
- Piquero, A.; Tibbetts, S. (1996): Specifying the direct and indirect effect of low self-control and situational factors in offenders’ decision. In: Justice Quarterly 13, S.481-510
- Stafford, M. C.; Warr, M. (1993): A reconceptualization of general and specific deterrence. In: Journal of Research in Crime and Delinquency 30, S.123-135.
Weiterführende Informationen
- Piquero, A.; Pogarsky, G. (2002): Beyond Stafford and Warr’s Reconceptualization of Deterrence: Personal and Vicarious Experiences, Impulsivity, and Offending Behavior. Journal of Research in Crime and Delinquency, Vol. 39, No. 2, 153-186.
- Auflistung von Spielfilmen, die sich thematisch mit der Todesstrafe befassen (Wikipedia)