• Zur Hauptnavigation springen
  • Zum Inhalt springen
  • Zur Seitenspalte springen
  • Zur Fußzeile springen

SozTheo

Sozialwissenschaftliche Theorien

  • Soziologie
    • Allgemeine Soziologie
    • Stadtsoziologie
    • Soziologie der Gewalt
    • Polizeigeschichte
    • Seminar: Polizei & Pop
    • Schlüsselwerke der Soziologie
  • Kriminologie
    • Auditive Kriminologie
    • Schlüsselwerke der Kriminologie
  • Kriminalitätstheorien
    • Theorienfinder
    • Personenregister
    • Anomie-/ Druck-Theorien
    • Biologische Kriminalitätstheorien
    • Herrschafts- und gesellschaftskritische Kriminalitätstheorien
    • Karriere/ Entwicklung/ Lebenslauf
    • Kontrolle
    • Kultur/ Emotion/ Situation
    • Lernen/ Subkultur
    • Rational Choice
    • Sanktionierung
    • Soziale Desorganisation
  • Forschung
    • Qualitätskriterien für wissenschaftliches Arbeiten
    • Inhaltsanalyse
    • Standardisierte Befragungen
    • Wie führe ich Experteninterviews?
  • Tipps fürs Studium
    • Wie erstelle ich eine Hausarbeit/ Bachelorarbeit/ Masterarbeit?
    • Checkliste für Erstellung/ Abgabe wissenschaftlicher Arbeiten
    • Wie schreibe ich eine (sehr) gute Arbeit?
    • Systematische Literaturrecherche
    • Bachelorarbeit Thema finden
    • Wie erstelle ich ein Exposé?
    • Wie zitiere ich richtig im APA-Stil?
  • Glossar
Sie befinden sich hier: Home / News / Serienmord als soziale Pathologie – Eine kriminologische Annäherung

Serienmord als soziale Pathologie – Eine kriminologische Annäherung

22. Oktober 2025 von Christian Wickert

Serienmorde faszinieren, erschrecken – und sie dominieren seit Jahren die Popkultur: Netflix-Dokus wie Monster: Die Geschichte von Ed Gein oder Dahmer brechen Rekorde, Podcasts und True-Crime-Formate verzeichnen Millionenpublikum. Doch was steckt jenseits der medialen Dramaturgie hinter dem Phänomen SerienmordSerienmord bezeichnet die wiederholte vorsätzliche Tötung von mindestens drei Personen durch denselben Täter in getrennten Handlungseinheiten mit zeitlichem Abstand.? Dieser Beitrag unternimmt eine kriminologisch-soziologische Annäherung an eine der extremsten Formen abweichenden Verhaltens.

Begriffsklärung: Was ist ein Serienmörder?

Als Serienmörder gelten Personen, die mindestens drei Menschen in zeitlich getrennten Episoden töten – meist mit einem emotional motivierten, nicht instrumentellen Hintergrund. Anders als bei Massen– oder Spree-Killings (z. B. Amokläufen) erfolgt die Tatbegehung über einen längeren Zeitraum hinweg. Zwischen den Taten liegt typischerweise eine sog. Cooling-Off-Phase.

Definition: Serienmord bezeichnet die wiederholte vorsätzliche Tötung von Menschen durch denselben Täter in getrennten Handlungseinheiten, meist mit einem psychopathologisch, sexuell oder machtmotivierten Hintergrund.

Cheat Sheet: Serienmord

  • Definition: Wiederholte Tötung von mindestens drei Personen in getrennten Episoden mit „Cooling-Off-Phasen“.
  • Bekannte Täter: Ted Bundy, Jeffrey Dahmer, Ed Gein, Richard Ramirez, Niels Högel (DE)
  • Typologie (Holmes & Holmes):
    • Visionär (z. B. Herbert Mullin)
    • Missionsorientiert (z. B. Joseph Paul Franklin)
    • Hedonistisch (z. B. Dahmer, Son of Sam)
    • MachtMacht bezeichnet die Fähigkeit von Personen oder Gruppen, das Verhalten anderer zu beeinflussen – auch gegen deren Willen.-/Kontrollorientiert (z. B. Bundy, BTK)
  • Theorien:
    • Lerntheorien
    • Labeling Approach
    • Cultural Criminology
    • Biopsychologische & strukturelle Ansätze
  • Besondere Merkmale: Täter meist männlich, häufig weiß, komplexe Medienpräsenz

Kriminologische Erklärungsperspektiven

Psychologische und psychopathologische Ansätze

Ein klassischer Zugang zur Erklärung von Serienmord erfolgt über Persönlichkeitsstörungen. Besonders häufig wird auf die Psychopathie oder antisoziale Persönlichkeitsstörung verwiesen. Die sog. Hare-Skala (PCL-R) dient dabei als Diagnoseinstrument. Serienmörder wie Ted Bundy, John Wayne Gacy oder Ed Kemper gelten als prototypische Fälle mit hohem PCL-R-Wert.

Viele bekannte Serienmörder wuchsen zudem in instabilen Familienverhältnissen auf: alkoholkranke oder psychisch kranke Eltern, häufig alleinerziehend, oft geprägt von Gewalt und Vernachlässigung. In mehreren Fällen wurde später eine schizophrene oder schizoide Störung diagnostiziert. Gleichwohl gilt: Nicht jede psychisch kranke Person wird kriminell – und nicht jeder Serienmörder ist psychisch krank. Der klinische Blick darf nicht zur Entschuldigung oder StigmatisierungZuschreibung und gesellschaftliche Fixierung negativer Merkmale an Einzelpersonen oder Gruppen, die zu sozialer Abwertung und Ausschluss führen. führen.

SozialisationSozialisation bezeichnet den Prozess, durch den Individuen die Werte, Normen, Verhaltensmuster und sozialen Rollen ihrer Gesellschaft erlernen und internalisieren. Dieser Prozess ermöglicht die Integration in soziale Gemeinschaften und die Entwicklung einer eigenen sozialen Identität. und Lerntheorien

Viele Serienmörder berichten von tiefgreifenden Traumatisierungen in Kindheit und Jugend: emotionale Vernachlässigung, physische und sexuelle Gewalt, instabile Familienverhältnisse, frühe Suchtbelastungen oder Konfrontation mit Tod und Gewalt. Lerntheoretisch lassen sich solche Erfahrungen im Sinne klassischer oder operanter Konditionierung, vor allem aber durch Modelllernen (Bandura) deuten – etwa wenn Gewalt als legitimes Mittel zur Konfliktlösung oder zur Herstellung von Kontrolle über andere erlebt und übernommen wird.

Richard Ramirez, 1984
Richard Ramirez („Night Stalker“)

Ein besonders drastisches Beispiel hierfür ist der US-amerikanische Serienmörder Richard Ramirez („Night Stalker“), der 1984–1985 in Kalifornien mindestens 13 Menschen brutal ermordete. Ramirez wuchs in schwierigen sozialen Verhältnissen auf und war bereits als Kind Zeuge extremer Gewalt:

  • Sein Cousin Mike, ein Vietnam-Veteran, zeigte ihm Fotos von vergewaltigten und getöteten Frauen und berichtete detailliert von Folterungen, die er im Krieg verübt hatte.
  • Im Alter von 13 Jahren war Richard Zeuge, wie Mike im Streit seine Ehefrau erschoss – unmittelbar vor den Augen des Jungen.
  • Ramirez entwickelte in der Folge eine Vorliebe für Satanismus, Gewalt und Sexualität, konsumierte DrogenDrogen sind psychoaktive Substanzen, die das zentrale Nervensystem beeinflussen und in legaler oder illegaler Form konsumiert werden. und zeigte früh dissoziales Verhalten.

In der kriminologischen Analyse lässt sich dieser Fall als extremes Beispiel für Gewalt-Sozialisation und destruktives Modelllernen lesen: Der Cousin als charismatische männliche Bezugsperson fungierte als gewaltverherrlichendes Vorbild, die traumatische Erfahrung des Mordes als emotionaler Wendepunkt. Gewalt wurde internalisiert, sexualisiert und später in ritualisierter Form ausagiert.

Labeling, Moral PanicMoral Panic bezeichnet eine gesellschaftliche Überreaktion auf ein vermeintliches Bedrohungsphänomen, das in Medien, Politik und Öffentlichkeit stark dramatisiert wird. und mediale Konstruktion

Der Labeling Approach eröffnet eine kritische Perspektive auf die gesellschaftliche Reaktion: Serienmörder werden nicht nur entdeckt, sondern auch diskursiv hergestellt. In Anlehnung an Stanley Cohen kann von einer moral panic gesprochen werden, die bestimmte Täterfiguren dämonisiert – und zugleich medial inszeniert.

Serienmörder erscheinen in diesem Sinne nicht nur als Täter, sondern auch als Produkte gesellschaftlicher Reaktion – sie erhalten Namen („Night Stalker“, „BTK“, „Zodiac“), Gesichter (Phantombilder, Gerichtszeichnungen), Mythen (Rituale, Signaturen). Diese Konstruktionen wirken zurück auf das Selbstbild der Täter – und in manchen Fällen auch auf andere.

So gibt es dokumentierte Fälle von Nachahmungstätern, die sich gezielt an berühmten Serienmördern orientieren – sei es in der Methodik, der Inszenierung oder im Wunsch nach medialer Aufmerksamkeit. Manche Täter entwickeln dabei ein kompensatorisches Ruhmstreben, ein Bedürfnis, „bekannt“ zu werden, „eine Spur zu hinterlassen“ oder gar als der „erfolgreichste“ Serienmörder in die Geschichte einzugehen.

Ein Beispiel hierfür ist der US-amerikanische Täter Israel Keyes, der 2012 inhaftiert wurde. Er gab an, zahlreiche Morde begangen zu haben, ohne jemals entdeckt worden zu sein – und zeigte sich frustriert darüber, dass sein Name nicht in einem Atemzug mit Bundy oder Dahmer genannt wurde. Keyes sprach offen darüber, dass er Medienberichte über andere Serienmörder als „Lehrmaterial“ nutzte.

Auch der berüchtigte Zodiac-Killer kommunizierte bewusst mit Medien und PolizeiDie Polizei ist eine staatliche Institution zur Gefahrenabwehr, Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Verfolgung von Straftaten., benutzte Symbole, chiffrierte Briefe und Pseudonyme, um seine Taten als „Botschaft“ zu inszenieren. Seine mediale Präsenz inspirierte später andere Täter zur Nachahmung – etwa den sogenannten „Zodiac-Nachahmer“ in New York (1990er Jahre).

Solche Dynamiken zeigen, dass mediale Sichtbarkeit selbst zu einer Belohnungsstruktur werden kann – besonders für Täter mit narzisstischen, machtbezogenen oder voyeuristischen Persönlichkeitsanteilen.

Cultural CriminologyCultural Criminology ist ein kriminologischer Ansatz, der Kriminalität und soziale Kontrolle als kulturell geprägte Phänomene versteht und analysiert. Im Fokus stehen die Bedeutungen, Symbole und gesellschaftlichen Diskurse, die Kriminalität umgeben.: Das Böse als Popkultur

Die Cultural Criminology thematisiert das Wechselspiel von Verbrechen, Medien und Emotionen. Serienmörder werden dabei zu „Ikonen des Bösen“ stilisiert – ihr Auftreten, ihre Sprache, selbst ihre Briefe oder Zeichnungen werden zu popkulturellen Artefakten. Der Serienmörder ist ein Produkt einer medialisierten GesellschaftEine Gesellschaft ist ein strukturiertes Gefüge von Menschen, die innerhalb eines geografischen Raumes unter gemeinsamen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen leben und durch institutionalisierte soziale Beziehungen miteinander verbunden sind., in der Gewalt zunehmend ästhetisiert, ritualisiert und konsumiert wird.

Ein besonders irritierendes Phänomen in diesem Zusammenhang ist die Kommodifizierung des Verbrechens – also die Vermarktung von Täteridentitäten und „kriminellen Objekten“. In den USA hat sich hierfür der Begriff Murderabilia etabliert. Gemeint sind Gegenstände, die mit berüchtigten VerbrechenEin Verbrechen ist eine besonders schwerwiegende Form rechtswidrigen Handelns, die im Strafrecht mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr bedroht ist – zugleich ist es ein sozial und historisch wandelbares Konstrukt. oder Tätern assoziiert sind und oftmals für hohe Summen gehandelt werden:

  • Handschriftliche Briefe von Serienmördern (z. B. von Richard Ramirez oder Charles Manson),
  • Zeichnungen und Gemälde – etwa von John Wayne Gacy, der im Gefängnis Clownporträts malte und über Mittelsmänner verkaufte,
  • Gerichtsdokumente, Kleidungsstücke, persönliche Gegenstände aus dem Gefängnis,
  • Teile von Tatorten, z. B. Ziegelsteine oder Möbelstücke aus Abrisshäusern.

Ein besonders prominentes Beispiel ist die Musik-LP LIE: The Love and Terror Cult von Charles Manson, die 1970 während seines Prozesses veröffentlicht wurde. Manson, der sich selbst als Musiker inszenierte, nahm die Songs noch vor den Morden auf. Die Originalpressung dieser Platte wird heute auf Plattformen wie Discogs für fast 700 Euro gehandelt – ein makabres Beispiel für die Vermarktung von Gewalt als Kultobjekt.

Psycho Haus in Universal Studios, Hollywood.
Filmkulisse zum Film Psycho in Hollywood
Andre30c at de.wikipedia, Public domain, via Wikimedia Commons

Die kulturelle Zirkulation von Gewalt zeigt sich besonders deutlich am Beispiel von Ed Gein. Seine Taten in den 1950er Jahren – darunter das Ausgraben und Verstümmeln weiblicher Leichen sowie das Anfertigen von Kleidungsstücken aus Menschenhaut – beeinflussten nicht nur Journalisten und Ermittler, sondern prägten nachhaltig die Popkultur. Der Autor Robert Bloch ließ sich von Gein zu seinem Roman Psycho inspirieren, der wiederum Alfred Hitchcock zur gleichnamigen Verfilmung veranlasste. Die Figur des Norman Bates übernahm zentrale Elemente aus Geins Biografie – insbesondere die extreme Mutterfixierung. Auch Texas Chainsaw Massacre (1974) sowie die Figur des „Buffalo Bill“ in Das Schweigen der Lämmer (1991) verweisen direkt auf Ed Gein.

Diese Rückkopplungen zwischen realer Tat, medialer Verarbeitung und fiktionaler Reproduktion führen zur Auflösung klarer Grenzen zwischen Realität und Narrativ. Oder wie Jeff Ferrell es formuliert:

„From this view, the study of crime necessitates not simply the examination of individual criminals and criminal events, not even the straightforward examination of media ‚coverage‘ of criminals and criminal events, but rather a journey into the spectacle and carnival of crime, a walk down an infinite hall of mirrors where images created and consumed by criminals, criminal subcultures, control agents, media institutions, and audiences bounce endlessly one off the other.“
– Jeff Ferrell (1999), in: Cultural Criminology, Annual Review of Sociology, Vol. 25, S. 397

Solche Praktiken verwandeln reales Leid in symbolisches KapitalKapital bezeichnet in der Soziologie und Ökonomie Ressourcen, die zur Erzielung von Einkommen, Macht oder sozialem Einfluss genutzt werden können. Je nach theoretischem Zugang unterscheidet man verschiedene Kapitalformen., das Aufmerksamkeit, Geld oder kulturellen Status generiert. Diese makabre Ökonomie der Gewalt ist Ausdruck einer Gesellschaft, die KriminalitätKriminalität bezeichnet gesellschaftlich normierte Handlungen, die gegen das Strafgesetz verstoßen. nicht nur verurteilt, sondern auch ästhetisiert, ritualisiert – und letztlich kapitalisiert. Cultural Criminology plädiert daher für eine kritische Reflexion der emotionalen, symbolischen und ökonomischen Dynamiken, die Kriminalität zu kulturellem Rohstoff machen.

Weitere Erklärungsansätze

Das Phänomen Serienmord lässt sich nicht monokausal erklären. Neben Lerntheorien, dem Labeling ApproachTheorie der Kriminologie, die die Bedeutung gesellschaftlicher Zuschreibungsprozesse für die Entstehung von abweichendem Verhalten und Kriminalität betont. und der Cultural Criminology existieren weitere theoretische Perspektiven:

  • Biologische und neurologische Theorien: fokussieren auf genetische Dispositionen, Hirnstrukturen und Neurotransmitter-Ungleichgewichte. Sie betonen die Bedeutung körperlicher Faktoren, ohne soziale Einflüsse auszublenden.
  • Strukturell-soziologische Ansätze: interpretieren Serienmord als Reaktion auf gesellschaftliche Desintegration, AnomieZustand der Normlosigkeit, in dem gesellschaftliche Normen und Werte ihre regulierende Wirkung verlieren. und Ausschluss. Die Tat erscheint als pathologische Antwort auf soziale Kälte und Entwurzelung.
  • GenderGender bezeichnet das soziale Geschlecht und umfasst die kulturellen, sozialen und psychologischen Zuschreibungen, die mit Männlichkeit und Weiblichkeit verbunden sind.- und Machtanalysen: heben den Zusammenhang von Männlichkeitskonstruktionen, sexualisierter Gewalt und Machtstreben hervor. Serienmord wird als Ausdruck patriarchaler Gewaltlogik gedeutet.
  • Psychodynamische und entwicklungspsychologische Modelle: analysieren die Persönlichkeitsstruktur von Tätern, frühkindliche Traumatisierungen und gestörte Bindungsmuster.

Diese Ansätze schließen sich nicht aus – vielmehr gilt: Serienmord entsteht im Zusammenspiel von individuellen Dispositionen, sozialen Kontexten und kulturellen Bedeutungszuschreibungen.

Warum waren die 1970er und 1980er Jahre die „Hochzeit“ des Serienmords?

Die Mehrzahl der bekannten Serienmörder stammt aus den 1970er und 1980er Jahren – ein Umstand, der auf mehrere Faktoren zurückzuführen ist:

  • Gesellschaftliche Umbrüche führten zu mehr Anonymität und Unsicherheit.
  • Forensische Mittel zur Serienerkennung standen noch nicht zur Verfügung.
  • Ermittlungsbehörden begannen erst in dieser Zeit mit systematischer Profilerstellung.
  • Medien konstruierten die Figur des „Serienmörders“ als öffentliches Feindbild.
  • Viele Täter konnten lange unentdeckt bleiben – die Taten wurden erst retrospektiv als Serie erkannt.

Warum sind so viele Serienmörder weiße Männer?

Ein auffälliges Muster in der Forschungsliteratur und medialen Darstellung ist die Überrepräsentanz weißer Männer unter bekannten Serienmördern. Dieses Phänomen lässt sich nicht monokausal erklären, sondern verweist auf ein Zusammenspiel von sozialen Strukturen, Täterprofilen und medienlogischer Auswahl:

  • Weiße Männer genießen in vielen westlichen Gesellschaften größere Anonymität und Vertrauen – was das Risiko der Entdeckung senkt.
  • Sie entsprechen dem „gesellschaftlichen Default“ – ihre Abweichung wirkt daher besonders spektakulär.
  • Medien wählen gezielt Fälle aus, die ins kulturelle Täterbild passen – und dies ist häufig: männlich, weiß, sexuell motiviert, westlich.
  • Marginalisierte Gruppen werden häufiger mit alltäglicher Kriminalität assoziiert – nicht mit „intelligenten Serienmorden“.
  • Auch Gender spielt eine zentrale Rolle: Serienmord als Form der Macht- und Kontrollausübung ist historisch stark männlich konnotiert.

Serienmörder sind also nicht nur ein reales, sondern auch ein kulturell konstruiertes Phänomen – geformt durch Wahrnehmung, mediale Logik und soziale Strukturen.

Vergessene Opfer – Wer wird (nicht) erinnert?

Während Serienmörder in den Medien oft als düstere Popikonen inszeniert werden, geraten die Opfer häufig in den Hintergrund – besonders dann, wenn sie nicht dem gesellschaftlichen „Mainstream“ entsprechen. Viele Serienmörder wählten gezielt vulnerable, marginalisierte Gruppen als Ziel ihrer Taten: obdachlose Menschen, Sexarbeiterinnen, queere Jugendliche, BIPoC oder migrierte Personen.

Diese Opfergruppen haben häufig eine geringere soziale Sichtbarkeit und werden von Polizei, Justiz und Medien seltener ernst genommen. Die Folge: Ihre Tötungen bleiben länger unentdeckt, werden nicht miteinander verknüpft oder sogar als „Folge des Lebensstils“ abgetan. Das strukturelle Versagen bei der Aufklärung solcher Serien ist ein blinder Fleck der Kriminalitätswahrnehmung, den kritische KriminologieKriminologie ist die interdisziplinäre Wissenschaft über Ursachen, Erscheinungsformen und gesellschaftliche Reaktionen auf normabweichendes Verhalten. Sie untersucht insbesondere Prozesse sozialer Kontrolle, rechtliche Rahmenbedingungen sowie individuelle und strukturelle Einflussfaktoren. und feministische Ansätze gezielt thematisieren.

Serienmord als amerikanisches Phänomen?

Ein Blick in gängige Datenbanken wie die Übersicht auf biography.com zeigt: Viele der bekanntesten Serienmörder stammen aus den USA. Berühmte Fälle wie Ted Bundy, Jeffrey Dahmer, John Wayne Gacy oder Ed Gein prägen das globale Bild des Serienmörders maßgeblich.

Diese Häufung lässt sich jedoch nicht allein durch reale Fallzahlen erklären. Vielmehr spielen die mediale Verwertungslogik und kulturelle Narrative eine zentrale Rolle. Die USA verfügen über ein kommerzialisiertes Mediensystem, das Täterfiguren gezielt inszeniert – in Talkshows, Dokumentationen, Spielfilmen. Der Serienmörder wird zur Medienfigur mit Wiedererkennungswert.

Serienmord in Deutschland – Ausgewählte Fälle
Auch in Deutschland sind Fälle von Serienmord dokumentiert. Einige der bekanntesten und kriminologisch bedeutsamsten Fälle waren:
  • Fritz Haarmann (Hannover, 1920er): „Der Vampir von Hannover“ – ermordete mindestens 24 Jungen und junge Männer.
  • Peter Kürten (Düsseldorf, 1929): „Der Vampir von Düsseldorf“ – verübte zahlreiche Sexual- und Tötungsdelikte.
  • Jürgen Bartsch (1960er): Tötete vier Jungen, bekannt als „Kirmesmörder“.
  • Fritz Honka (Hamburg, 1970er): Ermordete mindestens vier Frauen; bekannt durch Der goldene Handschuh.
  • Joachim Kroll (1955–1976): „Der Menschenfresser von Duisburg“ – gestand 14 Morde.
  • Volker Eckert (1974–2006): Tötete Prostituierte in mehreren Ländern Europas.
  • Niels Högel (2000er): Krankenpfleger; verurteilt für 85 Tötungen an Patienten.

Hinweis: Die hier genannten Fälle dienen ausschließlich der wissenschaftlichen Einordnung – nicht der Heroisierung der Täter.

Typologien von Serienmördern

In der kriminologischen Forschung wurden verschiedene Typologien vorgeschlagen. Eine der bekanntesten stammt von Ronald M. Holmes und Stephen T. Holmes (1996):

TypMerkmaleBeispiel
VisionärHandelt im Wahn, fühlt sich oft von Stimmen oder übernatürlichen Mächten gesteuertHerbert Mullin (USA): Tötete Menschen auf Befehl von „Stimmen“, um Erdbeben zu verhindern
MissionsorientiertSieht sich als „Reiniger“ der Gesellschaft, zielt auf bestimmte Gruppen (z. B. Sexarbeiterinnen, ethnische Gruppen)Joseph Paul Franklin (USA): Ermordete Menschen aus rassistischen Motiven, glaubte an „Reinigung“ Amerikas
HedonistischTötet zur Steigerung sexueller oder emotionaler Lust; Unterkategorien: Lustmörder, Thrill-Killer, Komfort-KillerJeffrey Dahmer (USA): Sexuell motivierte Morde, Kannibalismus;
David Berkowitz („Son of Sam“)
Macht-/KontrollorientiertEmpfindet absolute Kontrolle über Leben und Tod als befriedigend; plant Taten meist akribischTed Bundy (USA): Inszenierte seine Überlegenheit gegenüber weiblichen Opfern;
Dennis Rader („BTK Killer“)

Warum faszinieren Serienmörder so sehr?

Serienmörder verkörpern das radikal Andere innerhalb der Gesellschaft – ihre Taten überschreiten fundamentale moralische Grenzen. Sie bieten zugleich ein narratives Muster: ein Täter, ein Ritual, ein Modus Operandi. Diese Struktur macht sie für Medien verwertbar. Besonders auffällig ist die große Zahl weiblicher True-Crime-Fans – ein Paradox, das auf psychologische Projektionsmechanismen und narrative Attraktivität verweist.

Allerdings darf die Faszination nicht über ein zentrales Faktum hinwegtäuschen: Serienmorde sind extrem selten. Die enorme mediale Präsenz – in Form von Podcasts, True-Crime-Dokus und Spielfilmen – bezieht sich auf eine vergleichsweise kleine Zahl dokumentierter Fälle. Während jährlich zehntausende Tötungsdelikte weltweit registriert werden, machen Serienmorde nur einen verschwindend geringen Bruchteil aus. Das Phänomen wirkt in der kollektiven Vorstellung weitaus präsenter, als es empirisch gerechtfertigt wäre – ein Effekt, den Cultural Criminology als mediale Dramatisierung von DevianzVerhalten, das in einer Gesellschaft als unangemessen, abweichend oder regelverletzend gilt – unabhängig davon, ob es strafrechtlich relevant ist. analysiert.

Serienmörder als Social-Media-Phänomen

Im Zeitalter von TikTok, YouTube und True-Crime-Podcasts hat sich die Rezeption von Serienmördern radikal verändert. Täterfiguren werden dort oft nicht nur analysiert, sondern ästhetisiert, erotisiert oder romantisiert – etwa durch sogenannte „fan edits“, TikTok-Montagen mit Musik oder spekulative „Psychogramme“.

Besonders junge Nutzer:innen äußern in sozialen Medien Faszination, Empathie oder sogar sexuelle Anziehung gegenüber Tätern – etwa gegenüber Jeffrey Dahmer, Richard Ramirez oder Ted Bundy. Diese Entwicklung steht in engem Zusammenhang mit Medienfiktionen, Streaming-Dramatisierungen und Serialisierung von Gewalt (z. B. „Dahmer“ auf Netflix).

Die Grenzen zwischen Analyse, Unterhaltung und Identifikation verschwimmen. Cultural Criminology spricht in diesem Zusammenhang von einer „popkulturellen Kolonialisierung des Verbrechens“, bei der reale Gewalt in Konsumobjekte überführt wird – auf Kosten von Empathie und kritischer Distanz.

Weniger Serienmorde – oder einfach weniger sichtbar?

Seit den 1990er Jahren ist die Zahl entdeckter Serienmorde in vielen westlichen Gesellschaften rückläufig. Dafür lassen sich mehrere Gründe anführen: Zum einen haben sich die polizeilichen Ermittlungsverfahren stark verbessert – DNA-Analysen, digitale Fallvergleiche und CCTVCCTV (Closed-Circuit Television) bezeichnet Videoüberwachungssysteme, die in öffentlichen oder privaten Bereichen zur Überwachung und Sicherheit eingesetzt werden. erschweren mehrfache Taten ohne Entdeckung. Zum anderen hat sich die Gesellschaft selbst verändert: Sexualität ist enttabuisiert, homosexuelle Identitäten sind anerkannt, deviante Bedürfnisse können legal (etwa über Erotikangebote im Netz) ausgelebt werden. Auch das Fehlen einer „kriegstraumatisierten“ Tätergeneration wie in den 1970er Jahren mag eine Rolle spielen.

Gleichzeitig darf nicht übersehen werden, dass viele potenzielle Serienmorde schlicht nicht erkannt werden – etwa wenn Opfer aus marginalisierten Gruppen stammen oder Taten in institutionellen Kontexten stattfinden. Die Figur des Serienmörders mag in ihrer klassischen Form rückläufig sein – das Phänomen der mehrfachen, ritualisierten Tötung existiert jedoch weiterhin, wenn auch in veränderter Gestalt und unter neuen gesellschaftlichen Bedingungen.

Serienmord im digitalen Zeitalter

Auch wenn die klassische Figur des Serienmörders seltener geworden ist, haben sich Formen und Medien der Tatbegehung verändert. Das Internet spielt dabei eine ambivalente Rolle: Es erleichtert zum einen die Kontaktaufnahme mit potenziellen Opfern – etwa über Dating-Plattformen, Fetisch-Foren oder soziale Netzwerke. Zum anderen fungiert es als Projektions- und Planungsraum für Täterfantasien.

In Foren wie 4chan, Reddit oder im DarknetDas Darknet ist ein verborgener Teil des Internets, der über spezielle Software (z. B. Tor-Browser) zugänglich ist und anonymen Datenaustausch ermöglicht. kursieren Gewaltdarstellungen, „Kill Counts“, detaillierte Tatfantasien und Nachahmungsaufrufe. Besonders auffällig ist die Rolle von Incel-Foren („involuntary celibates“), in denen männliche Täter Gewalt gegen Frauen ideologisch legitimieren. Auch Fälle wie Luka Magnotta (Kanada) zeigen, wie Taten live inszeniert oder als Videos veröffentlicht werden.

Diese neuen Dynamiken fordern Polizei, Justiz und Forschung heraus: Wo beginnt gefährlicher Diskurs? Wann wird aus digitaler Fiktion reale Gewalt?

Zusammenfassung

  • Serienmord ist eine extrem seltene, aber medial überrepräsentierte Form kriminellen Verhaltens.
  • Kriminologische Erklärungen reichen von Psychopathologie über Sozialisation bis hin zu Cultural Criminology.
  • Die „goldene Ära“ des Serienmords in den 1970er/80er Jahren verweist auf forensische, gesellschaftliche und mediale Konstellationen.
  • Die Überrepräsentation weißer Männer unter den Tätern ist Ausdruck struktureller Machtverhältnisse und selektiver Sichtbarkeit.

Weiterführend:

  • Labeling Approach
  • Cultural Criminology
  • Narrative Criminology
  • Devianz
  • Moral Panic
  • Psychopathie

Literatur

  • Cohen, S. (2002). Folk Devils and Moral Panics (3rd ed.). Routledge.
  • Ferrell, J. et al. (2008). Cultural Criminology: An Invitation. Sage.
  • Hare, R. D. (1991). The Hare Psychopathy Checklist—Revised. Multi-Health Systems.
  • Hickey, E. W. (2015). Serial Murderers and Their Victims (7th ed.). Cengage Learning.
  • Holmes, R. M. & Holmes, S. T. (1996). Serial Murder. Sage Publications.
  • Vronsky, P. (2004). Serial Killers: The Method and Madness of Monsters. Berkley Books.

Teile diesen Beitrag
  • teilen 
  • teilen 
  • teilen 
  • E-Mail 

Verwandte Beiträge:

  • Titelbild
    Fakten-Check: Aussagen der AfD zum Thema Innere…
  • Corporate boardroom – symbol of white collar crime and elite deviance
    Edwin H. Sutherland – White Collar Crime (1949)
  • Foto eines Buchregals mit kriminologischen Lehrbüchern
    Was ist das beste Lehrbuch zur Einführung in die…

Kategorie: Kriminologie, News Schlagworte: Cultural Criminology, Ed Gein, Gender und Gewalt, Gewaltsozialisation, Labeling Approach, Massenmord, Medien und Kriminalität, Mordtypologie, PCL-R, Psychopathie, Richard Ramirez, Serienmord, Serienmörder, Spree-Killing, True Crime

Seitenspalte

Über SozTheo

Prof. Dr. Christian Wickert

Prof. Dr. Christian Wickert
Soziologe & Kriminologe an der HSPV NRW. Betreiber von SozTheo.de und SozTheo.com. Verfasser dieses Beitrags.

→ Zur Profilseite

Beliebte Inhalte

Links

SozTheo.com Logo
SozTheo.com (englisch)
Criminologia Logo
Criminologia Kriminologie-Blog
Krimpedia Logo
Krimpedia

Webseite durchsuchen

Footer

Über SozTheo

SozTheo ist eine Informations- und Ressourcensammlung, die sich an alle an Soziologie und Kriminologie interessierten Leserinnen und Leser richtet.

SozTheo wurde als private Seite von Prof. Dr. Christian Wickert, Dozent für die Fächer Soziologie und Kriminologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen, erstellt. Die hier verfügbaren Beiträge und verlinkten Artikel spiegeln nicht die offizielle Meinung, Haltung oder Lehrpläne der HSPV NRW wider.

Impressum & Kontakt

  • Impressum & Datenschutz
  • Sitemap
  • zurück zur Startseite

Partnerseiten

Criminologia – Kriminologie-Blog

Krimpedia

Looking for the English version? Visit soztheo.com

Spread the word


Teile diesen Beitrag
  • teilen 
  • teilen 
  • teilen 
  • E-Mail 

Social Media

Besuche SozTheo auf Facebook

Besuche SozTheo auf Instagram

© 2025 · SozTheo · Admin