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Rap und Polizei – Teil 6: Polizeidarstellung

29. August 2025 von Christian Wickert

Dieser Beitrag analysiert, wie PolizeiDie Polizei ist eine staatliche Institution zur Gefahrenabwehr, Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Verfolgung von Straftaten. in deutschen Raptexten dargestellt wird, und dokumentiert das methodische Vorgehen der zugrunde liegenden qualitativen Inhaltsanalyse.

Titelbild: Rap und Polizei – Teil 6
Hinweis: Dieser Beitrag gehört zur Serie „Rap und Polizei“ auf SozTheo. Er beleuchtet die Darstellungsweisen von Polizei in deutschsprachigen Raptexten und erläutert zentrale Motivkategorien der qualitativen Analyse.

Im Mittelpunkt des Kategoriensystems steht, der Forschungsfrage folgend, die Polizei. In dem Datensatz konnten ca. 2.400 Textstellen entsprechend codiert werden (siehe Polizeibegriffe).

Positive/ wertneutrale Darstellung der Polizei

Die Polizei wird in deutschsprachigen Raptexten fast ausnahmslos negativ dargestellt. Die ganz wenigen Ausnahmen bilden Liedtexte, die erstens eindeutig als humoristisch einzuschätzen sind und zweitens sich bewusst von der Dominanz des Gangsta-Raps abgrenzen und betonen, sich nicht mit der Polizei und artverwandten Themen zu beschäftigen. Ein Beispiel für die erstgenannte Art der Thematisierung ist das Lied „Cop Love“ des Rappers Cro (2014). In dem Liedtext wird die Situation einer Verkehrskontrolle geschildert, bei der sich der Wagenhalter von der die Kontrolle durchführenden Polizistin vergewaltigt wird. Das mit Handschellen gefesselte und geknebelte lyrische Ich wird auf der Rückbank eines Autos zum Sex gezwungen:

Sie setzt sich auf mich drauf und zieht den Slip bis zu den Beinen
Ich mach einen auf Al Capone, denn ich fick die Polizei
Yeah, wir sind allein und tun’s,
sie macht es nice und smooth

Der Wagenhalter sieht sich selbst jedoch nicht in einer Opferrolle und möchte die Polizistin gerne wiedertreffen:

„Baby krieg ich deine Nummer?“,
Sie sagt „1-1-0“ […]
Und seitdem knack ich täglich Maserati’s, Ferrari’s
Setz‘ mich rein, warte bis sie kommt, doch sie kam nie

Das offensichtlich humoristische Lied ist ein geschicktes Spiel mit Gegensätzen und Erwartungen. Der Täter ist nicht nur weiblich, sondern auch Polizist. Erst durch das Handeln der Polizei wird das lyrische Ich zu kriminellen Handlungen verleitet. Daraus wird jedoch keine Kritik an der Polizei abgeleitet, sondern dass im Gangsta-RapSubgenre des Hip-Hop, das Gewalt, Straßenerfahrung, Macht und Marginalisierung thematisiert. allgegenwärtige „Fuck the police“ wörtlich genommen. Es ist vermutlich kein Zufall, dass die humoristische Thematisierung der Polizei durch Künstler wie Cro oder auch Moop Mama erfolgt, deren Musik in den Hip-Hop Charts gelistet ist, die aber für eine weichgewaschene Rap-Musik fernab des harten Gangsta- und Straßenraps stehen. Auch das Lied „Molotow“ der Band Moop Mama (2018) erzählt – analog zum Lied „Cop Love“ von Cro – von einer unmöglichen Liebe. Ein Beispiel für die zweitgenannte Kategorie ist das Lied „Nicht die Musik“ des Kraftklub Sängers Felix Kummer, der unter seinem bürgerlichen Namen eine kommerziell erfolgreiche Rap-Platte veröffentlicht hat. Auf dem Track „Nicht die Musik“ (2019) rappt er:

Das ist nicht die Musik, die du suchst
Nicht die Musik, die du brauchst
Weder Rap über Businessmoves
Noch Motivation, kein „Steh wieder auf!“
Ich hab‘ keine Ahnung von Ketten und Blaulicht
Keine Ahnung von Fashion und Outfits
Doch ich mach‘ Rap wieder weich
Ich mach‘ Rap wieder traurig

Negative Darstellung der Polizei

Um die Polizeidarstellung in deutschsprachigen Rap-Liedtexten weiter zu differenzieren, wurden Unterkategorien gebildet, die nachfolgend dargestellt und mit Beispielen belegt sind. Obwohl ein offenes Kodierverfahren genutzt wurde, weisen die gebildeten Codes große Parallelen zu den eingangs vorgestellten Kategorien von Steinmetz und Henderson (2012) auf (siehe: Teil 2: Einleitung und Forschungsstand). Ergänzend zu diesen Codes mit einem unmittelbaren Polizeibezug, finden sich im vorliegenden Datensatz aber weitere mittelbare Bezüge zur Polizeidarstellung (z.B. Authentizität). Die Darstellung der Polizei im deutschsprachigen Rap wird maßgeblich durch die Dominanz des Gangsta-/ Straßen-Rap beeinflusst.

Polizei als Verfolger

Die Polizei wird zum einen als feindliche Partei dargestellt. Sie ist der Antagonist zur Gangsta-Rap-Persona, die diese verfolgt, überwacht und drangsaliert. Dieses ist ein sehr häufiges Motiv im Untersuchungssample. Beispielhaft seien hier folgende zwei Belege angeführt:

Wir werden von der Kripo überwacht
Ich kann nicht schlafen, aber du bleibst mit mir wach
Sechs Uhr morgеns, ja, wir werden überrannt
Siе schrei’n: „Hände an die Wand“
Doch egal, was sie sagen
Ich weiß, du wirst auf mich warten
Capital Bra (2022) – So wie Du
Insta-Story in Unterwäsche (klick, klick)
Ich werd‘ verfolgt von den Cops und der Presse (rrr)
Schwester Ewa (2020) – Stimmen in mein [sic] Kopf

Polizei steht sozialem Aufstieg entgegen

Eng mit der ersten Kategorie verbunden ist das zweite Motiv, dass die Polizei durch ihr Handeln den sozialen Aufstieg der Rap-Persona verhindert. Die soziale Situation der Gangsta-Rap-Persona wird als ausweglos empfunden. Da legale Wege des sozialen Aufstiegs versperrt sind, wird eine kriminelle Karriere als einziger Ausweg gesehen. Eine Strafverfolgung durch die Polizei wird als unabwendbares Übel in Kauf genommen. Dieses Motiv weist viele Parallelen zur kriminologischen AnomieZustand der Normlosigkeit, in dem gesellschaftliche Normen und Werte ihre regulierende Wirkung verlieren.- oder Drucktheorien auf wie etwa der Anomietheorie nach Merton (1938) oder die General Strain Theory nach Robert Agnew (1985). Im Untersuchungssample weisen entsprechende Liedtextstellen häufig eine Schnittstelle mit dem Code „soziale Lage“ oder auch „Ort“ auf. Ein exemplarisches Beispiel liefern die folgenden Textzeilen von 18 Karat. Der Titel des Liedes, „Get rich or try dying“, ist wortgleich einem Album bzw. biographisch angelehnten Film über das Leben des US-amerikanischen Gangsta-Rappers 50 Cent übernommen. Der Dortmunder Rapper schildert wie er im Dortmunder Norden als Teenager mit dem Drogendealen begann, um sich Basketballschuhe finanzieren zu können, die ihm seine mittellose Mutter nicht kaufen konnte.

Ich war vierzehn und wollte die Jordans von Nike (Ja)
Damals noch die Zehner-Packs im Norden verteilt (Pusher)
Mama saß zuhause und hat vor Sorge geweint (Ja)
Als kleiner Junge hab‘ ich mir geschwor’n, ich werd‘ reich
Wir konnte keine unserer Rechnungen zahl’n (Nein)
Die Kripos kannte alle schon mit sechzehn mein’n Namen (Nutten!)
Mama ging putzen ohne festen Vertrag (Ja)
Parallel tickte ich die Päckchen im Park
18 Karat (2021) – Get rich or die trying 2

Polizei als kriminell, korrupt, rassistisch

Das dritte Motiv, das die Darstellung der Polizei im deutschsprachigen Rap prägt, ist als Rechtfertigung für die Ablehnung der Polizei zu verstehen. Die Polizei und ihr Handeln werden als illegitim dargestellt, da Polizeibeamte selbst korrupt und kriminell seien und ihr Handeln häufig rassistisch motiviert sei. Dieses Motiv entspricht weitgehend der so genannten Verdammung der Verdammenden wie sie in der kriminologischen Theorie der Techniken der Neutralisierung (Sykes & Matza, 1968) ausformuliert ist. Das eigene regelwidrige Verhalten wird hier damit gerechtfertigt, dass Polizei und andere Kontrollakteure sich ebenfalls nicht regelkonform verhielten. In dem folgenden Textbeispiel von Al-Gear fällt auf, dass in den beiden zitierten Strophen ein Wechsel der Erzählperspektive vorgenommen wird. In der ersten Strophe wird aus der Ich-Perspektive erzählt. In der zweiten Strophe wendet sich die Erzählinstanz direkt an seine Hörer und fragt, ob diese ähnliche Erfahrungen – wie die geschilderten – mit der Polizei gemacht hätten. In der letzten Zeile des Zitats findet ein Wechsel in die erste Person Plural („solange ihr uns stresst“) statt. Die Erzählinstanz erklärt sich hierdurch solidarisch mit seiner Hörerschaft und unterstellt zugleich, dass rassistisch motivierte Polizeikontrollen kein Einzelfall seien.

Junge, fick die Polizei, hier wird die Aussage verweigert
Doch sie pissen mir ans Bein, weil der Ausländer grad Hype hat
Ich bin auserwählt, steig‘ weiter auf der Leiter zum Erfolg
Mann, die Scheiße war gewollt, fick den Bullen und sein’n Stolz
Bleib‘ allergisch gegen Handschell’n, die Antwort lautet „Nein“
Es ist noch lange nicht vorbei, deshalb fick die Polizei
Fick die Polizei, f-f-fick die Polizei (P-P-P-Polizei)
[…]
Du wirst angehalten jeden Tag? Fick die Polizei
Hör’n die Bull’n deine Gespräche ab? Fick die Polizei
Liegst am Boden und sie treten nach? Fick die Polizei
Ist das alles deine Gegenwart? Dann fick die Polizei
Junge, fick die Polizei, ich hab‘ die Taschen voll, was jetzt?
Fick die Polizei, ich stell‘ mein’n Schwanz vors GesetzEin Gesetz ist eine allgemeinverbindliche, staatlich festgelegte Norm zur Regelung des sozialen Zusammenlebens.
Fick die Polizei, wenn du in Handschellen steckst
Junge, fick die Polizei, denn solange ihr uns stresst, heißt es
Al-Gear (2018) – Fick die Polizei

Auch im Track „Herr Kommissar“ von Takt32 wird RassismusRassismus bezeichnet die Diskriminierung, Abwertung oder Benachteiligung von Menschen aufgrund zugeschriebener „rassischer“ oder ethnischer Merkmale., Profiling, negativer Korpsgeist innerhalb der Polizei und weitere Themen angesprochen. In dem Lied wendet sich das Lyrische Ich an einen namenlos bleibenden Kommissar und richtet eine Reihe von Fragen an ihn. Da der polizeiliche Gesprächspartner namenlos bleibt, erscheint er austauschbar. Die hiermit erzielte Wirkung ist die Unterstellung, dass die Fragen an jede Kommissarin und jeden Kommissar gerichtete werden könnten, da die hier angesprochenen Themen universelle Geltung haben.

Herr Kommissar, stimmt es wirklich? Sie sind farbenblind?
Oder hängt die Schuld davon ab, wie der Name klingt?
Weckt die Kleidung Ihren Jagdinstinkt?
Ist es der Bart oder der Slang, der Sie in Rage bringt?
Ah, wie sieht das Herz aus unter Ihrer Weste?
Schlägt es für Menschen oder für Gesetze?
Ist das nur Meinung oder ist das Hetze?
Sind wir ohne Pass für Sie nur Gäste?
Ah, gibt die Waffe Ihnen ein Machtgefühl? (Plah)
Und schaffen Sie’s, den Dreck von ihr dann abzuspülen? (Ja)
Sind Sie stumm, wenn der Kollege über Leichen geht?
Brauchen Sie ein’n Grund oder nur ein’n Befehl?
Takt32 (2018) – Herr Kommissar

In dem nachstehenden Zitat aus dem Track „Bullentrack“ wird Korruption innerhalb der Polizei thematisiert. Rapper Haze nimmt dabei auf einen realen Fall Bezug, bei dem der Leiter des Rauschgiftdezernats in Kempten DrogenDrogen sind psychoaktive Substanzen, die das zentrale Nervensystem beeinflussen und in legaler oder illegaler Form konsumiert werden. unterschlagen und konsumiert hat und seine Frau misshandelt und vergewaltigt hat (vgl. Jüttner, 2015). Das Lied beinhaltet längere Samples eines Radio- oder Fernsehbeitrages über den Kriminalfall. Durch dieses Stilmittel wird die Wirkung des Liedes verstärkt.

Ein Polizist, der KokainKokain ist ein stark stimulierendes Betäubungsmittel, das aus den Blättern des Kokastrauchs gewonnen wird. in großen Mengen für sich selbst hortet
Er war Fahnder und sollte Dealer jagen
Wurde aber selbst zum Junkie
Der ehemalige Chef der Drogenfahndung soll Kokain aus Polizeibeständen für den privaten
Gebrauch verwendet haben
Fast zwei Kilo wurden bei ihm gefunden
Außerdem soll er im Drogenrausch seine Frau geschlagen und missbraucht haben
Haze (2016) – Bullentrack

Der Untersuchungszeitraum des vorliegenden Projekts umspannt neun Jahre (2013-2022). Das Kalkül hinter dieser Entscheidung war, mögliche Veränderungen festzustellen – insbesondere in Hinblick auf die Thematisierung von Rassismus, Racial Profiling, PolizeigewaltPolizeigewalt beschreibt den Einsatz physischer oder psychischer Gewalt durch Polizeibeamte im Rahmen ihrer Dienstausübung. Sie kann sowohl legitim (im rechtlichen Rahmen) als auch illegitim (bei Überschreitung der Befugnisse) ausgeübt werden.. Eine Arbeitshypothese war, dass der gewaltsame Tod von George Floyd in den USA, Droh-Emails – veschickt vom sog. NSU 2.0, der Austausch verfassungsfeindlicher Symbole in polizeiinternen Chatgruppen und andere gesellschaftlich viel beachtete Themen vermehrt Eingang in deutschsprachige Rap-Liedtexte finden. Diese Vermutung hat sich nicht bestätigt. Wie die obenstehenden Beispiele verdeutlichen, werden Themen wie Rassismus, Korruption innerhalb der Polizei und auch als nicht legitim erachtete Polizeigewalt in Rap-Texten thematisiert. Dies findet jedoch nicht in einem großen Umfang statt. Auch eine Veränderung über die Zeit ließ sich hier nicht feststellen. Das heißt allerdings nicht, dass deutschsprachiger Rap unpolitisch wäre. Aussagen über die eigene soziale Lage, geäußerte Gefühle der Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit, Wut auf den StaatDer Staat ist ein politisches Herrschaftsgebilde mit einem legitimen Gewaltmonopol über ein bestimmtes Territorium. und die Polizei sind natürlich auch als politische Aussagen zu verstehen. Deutscher Concious-Rap und eindeutig politischer Rap findet aber überwiegend außerhalb der deutschen Charts statt. Ausnahmen bestätigen aber hier die Regel. Eine dieser Ausnahmen ist das Lied „Einzelfall“ der Hamburger Hip-Hop-Band Neonschwarz (2022), in dem zu den o.g. Themen Bezug genommen wird. In dem Liedtext heißt es:

Weißbrotalarm, aber trotzdem nicht ganz helle (Nein)
Polizei, KSK, Einzeltätеrzelle
Ich bin mir sicher, dass da einer auf ’ner Bombe sitzt
Doch die Terroristen kommen ganz bestimmt aus Connewitz (Woah)
Sagt die Soko LinX, sagt euch jeder 161, das hier ist für Lina […]
Nordkreuz, NSU, ihr steckt da so tief mit drin
Staatsanwälte, Cops, Richter, ich vertraue euch keinen Meter
Fuck, was wollt ihr uns erzählen? (Hunderttausend Einzeltäter?) […]
Und Leute müssen umzieh’n, weil Rechte die Adressen kenn’n
Daten von der Polizei, Freund und Helfer – wessen denn?
Gezieltes Wegseh’n, immer neue Opfer
Einzeltäta-ta-ta, hab‘ auf das Wort kein’n Bock mehr

Der Titel und der im Liedtext verwendete Begriff Einzeltäterzelle verweist auf politische und polizeigewerkschaftsnahe Rechtfertigungen illegalen polizeilichen Handelns, wonach rechtsextreme Umtriebe, illegale Gewaltanwendungen und andere Verfehlungen von Polizeibediensteten stets auf einzelne Beamtinnen und Beamte zurückzuführen sind und die Existenz eines institutionellen Rassismus stets vehement verneint wird. Im Liedtext wird diese Erklärung strikt abgelehnt und stattdessen an die beiden rechtsextremistischen Netzwerke Nordkreuz und NSU (Nationalsozialistische Untergrund) erinnert, in die auch Polizeibedienstete verstrickt sind. Konkret wird der Vorwurf erhoben, die Polizei habe persönliche Daten von Personen weitergegeben, die sodann von Personen aus dem politisch rechten Spektrum bedroht wurden. Diese Liedtextzeile erinnert an Drohschreiben, die unter dem Namen NSU 2.0 verschickt wurden und bei denen Empfängeradressen nachweislich von einem Polizeicomputer in Frankfurt recherchiert wurden. Durch einen ironischen Verweis auf den Leipziger Stadtteil Connewitz („Doch die Terroristen kommen ganz bestimmt aus Connewitz“) und Ermittlungen der SoKo LinX verortet sich der Sprecher selbst im politisch linken Spektrum. Deutlich wird dies auch an dem Zahlencode „161“, der für Antifaschismus oder antifaschistische Aktion steht und die Solidaritätsbekundung für „Lina“. Gemeint ist hier die Studentin Lina E., der vorgeworfen wird, Teil einer linksextremistischen Vereinigung zu sein, die Übergriffe auf Rechtsextremisten geplant und durchgeführt zu haben (vgl. Litschko, 2022).

Ablehnung des polizeilichen Gewaltmonopols

Die Mehrzahl der analysierten Liedtexte sind den oben vorgestellten Kategorien zuzuordnen. Die Polizei wird hier ganz überwiegend negativ porträtiert, aber das polizeiliche Gewaltmonopol als solches nicht in Frage gestellt. Jedoch finden sich im Untersuchungssample Beispiele, in denen die Polizei als Inhaberin des Gewaltmonopols als solche abgelehnt wird – insbesondere im Kontext mit dem Thema Selbstjustiz. Es besteht eine Schnittmenge zwischen den Codes „Ablehnung von Staat und polizeilichem Gewaltmonopol“ und „Ort“. In etlichen Liedtexten ist die Aussage zu finden, dass in Stadtvierteln, in denen ein hohes Maß an KriminalitätKriminalität bezeichnet gesellschaftlich normierte Handlungen, die gegen das Strafgesetz verstoßen. herrscht, herkömmliche Kontrollinstanzen keine Bedeutung haben und das Recht in die eigene Hand genommen wird. In Milionairs (2019) „10 Gebote“, das thematisch offensichtlich an das bekannte Rap-Lied „Ten Crack Commandments“ von Notorious B.I.G. angelehnt ist, wird der Staat und seine Gesetze den Gesetzen der Straße gegenübergestellt:

Regel Nummer drei, du darfst keine Angst zeigen
Regel Nummer vier, und erst recht keinen Anzeigen (V-Mann)
Regel Nummer fünf ist doch klipp und klar (Ah)
A-C-A-B, das heißt, fick Vater Staat
[Hook]
Hustle, wir befolgen die Gesetze der Straße
Hustle, alle deine Wörter landen auf der Waage
Hustle, unreale Helden, leider alle Spargel
Hustle, bleib immer grade, oder du zahlst StrafeStrafe ist eine soziale Reaktion auf normabweichendes Verhalten, bei der ein als negativ bewertetes Übel zugefügt wird – entweder informell durch soziale Gruppen oder formal durch staatliche Institutionen.

Im Track Stresserblick wird die Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols v.a. durch die Ankündigung von Selbstjustiz deutlich:

Rein in die Airmax, schwarz matte Kalasch
Kleinkriminelle, von Apartment in den Palash
Scheiß auf Vater Staat, wir werden niemals mit dem Bastard cool
Stehen an der Ecke, essen Pommes in Lahmacun
Du hörst den Bullen, wenn er seine Schutzweste schließt
Scheiß auf Paragraphen, hier gilt Selbstjustiz
Kurdo & Majoe (2017) – Stresserblick

Das Motiv der Selbstjustiz taucht auch in anderen Liedern auf. Im untenstehenden Beispiel wird eine Gewaltandrohung gegen Zeugen und Spitzel ausgesprochen. Da im Viertel eigene Regeln gelten, würden diese auch selbst durchgesetzt werden:

Doch schnappen wir die Fotzen gibt es wenig zu bereden, denn wir weichen deinen Kopf ein und ich mein nicht Loreal
In meinem Viertel sind wir selbst die Richter, denn der Staat kann hier nichts melden, deine Meinung ist uns allen scheiß egal
Und jeder Mutterficker, der nur meint, dass sein Wort irgendwas zählt, wird schnell merken, hier ist keiner liberal
[Hook]
Rede von Problemen und du kriegst hier Probleme
Alle wollen was regeln, Junge wir machen die Regeln
Erzähl mir was vom Leben und wir nehmen dir dein Leben
Keiner kann was regeln, Junge wir machen die Regeln
Jalil (2015) – Regeln

In diesem Kontext hat der englischsprachige „to snitch“ (jmd. verpfeifen) Einzug in den Rap-Slang gefunden. Ein „Snitch“ kooperiert mit der Polizei und muss in der Folge mit schwerwiegenden Konsequenzen wie dem Verlust seines sozialen Ansehens oder auch körperlicher Gewalt rechnen. Analog hierzu findet sich in den Liedtexten auch immer wieder der Begriff „31er“. Mit dem Begriff wird ebenfalls ein Verräter bezeichnet. Er bezieht sich auf § 31 des Betäubungsmittelgesetzes, wonach ein Täter mit einer milderen Strafe oder sogar Straffreiheit rechnen kann, wenn seine Aussage zur Aufklärung eines Betäubungsmitteldeliktes oder zukünftiger Delikte beiträgt. Dieser Aspekt wird an einer späteren Stelle in diesem Bericht noch einmal aufgegriffen.

Gewalt(-androhung) gegen Polizei

Ein negatives Polizeibild ist im deutschsprachigen Rap allgegenwärtig. Ausdrücke wie „Fick die Polizei“, „A.C.A.B.“, „Bullenschweine“ usf. finden sich in hunderten Liedern. Schilderungen ausgeübter Gewalt gegen Polizistinnen oder Polizisten oder konkrete Androhungen von Gewalt sind hingegen deutlich seltener. Exemplarisch seien hier zwei Beispiele vorgestellt. Erstes Beispiel stammt von der Rapperin Schwesta Ewa, die 2017 wegen Steuerhinterziehung und Körperverletzung zu einer zweieinhalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Die Vorwürfe des Menschenhandels und ProstitutionErbringung sexueller Dienstleistungen gegen Entgelt. sah das Gericht hingegen nicht als erwiesen an (vgl. Redaktion beck-aktuell, 2017). Der Liedtext ist daher auch im Kontext der Authentizität zu lesen, da hier an konkrete wahre Begebenheiten angeknüpft wird.

Der Bulle weiß doch nicht, wovon er redet (wovon er redet)
Wirft mir vor, ich mache Geld mit kleinen Mädels (kleinen Mädels)
Eine Sache, die der Richter besser regelt (regelt, regelt)
Plötzlich wird der Bulle frech, ich muss ihm geben
Und ich schubse den Bullen (Bullen)
Schubse den Bullen
Ich sag‘ ups zu dem Bullen (Bullen)
Ups zu dem Bullen
Und ich schubse den Bullen (Bullen)
Schubse den Bullen
Ich sag‘ ups zu dem Bullen (Bullen)
Ups zu dem Bullen
Schwesta-Ewa (2018) – Schubse den Bullen

Sehr viel drastischer ist die Gewaltandrohung des Berliner Rappers Tamas. Das hier zitierte Lied ist eines von mehreren Liedern im Untersuchungssample, in denen Gewalt gegen die Polizei thematisiert wird. Die Schilderungen sind in ihrer Extremität kaum zu überbieten. Das Lyrische Ich steigert sich in eine lyrische Gewaltorgie hinein bis er nicht länger „Herr seiner Sinne“ ist.

Mama fragt, was ist bloß nur mit ihrem Jungen passiert
Nur weil er teerschwarz trägt und kämpft gegen die Uniformierten
Bis sie uns inhaftieren werfen wir Flaschen voll mit Brandwasser
Grab Pflasterstein aus und werf ihn auf diesen Kack Bastard
Und wieder brennen Visiere, Justitia kackt ab
Scheißegal, denn mein Kiez, er ist zufrieden
Solang ich da bin und die Cops ficke
Mama fragt mich ob das gut ist, ich grinse während ich mit dem Kopf nicke
Ein Pflasterstein, Zwei Pflastersteine
Drei Pflastersteine, All Cops Die Crying
Ein Pflasterstein, Zwei Pflastersteine
Drei Pflastersteine All Cops Die Crying
All Cops Die Crying
Es macht whup whup und ich schlag zu zu
Na was haben wir denn vor? Ich geh gleich Baden in deinem Blut
Denn nur weil du ne Waffe hast und keine Eier
Denkst du du darfst so ne Scheiße fragen (Hä du Schwanz)
Doch meine Jungs sind abgefuckt
Werfen Mollis in den Streifenwagen (Verreck!)
Dein Personenschutz braucht Personenschutz
Ihr wollt meinen Ausweis sehen, ich will dass ihr Patronen schluckt
Ein Pflasterstein, Zwei Pflastersteine
Drei Pflastersteine, All Cops Die Crying
Ein Pflasterstein, Zwei Pflastersteine
Drei Pflastersteine, All Cops Die Crying
All Cops Die Crying
Ein Bulle ist ein Bulle ist ein Bulle und das bleibt er auch
Also Messer raus und Steine drauf
Was für gottverdammte Staatsgewalt
Die Streife liegt am Boden, drück die Füße auf das Gaspedal!
Schläge und Tritte auf den scheiß Schädel der Zifte
Jetzt hageln Zähne und Schnitte für jeden Kerl eurer Sippe
Bin nicht mehr Herr meiner Sinne, lass Hundertschaften verbrennen
Was für Freunde und Helfer? Ich will sehen wie ihr hängt!
Ein Pflasterstein, Zwei Pflastersteine
Drei Pflastersteine, All Cops Die Crying
Ein Pflasterstein, Zwei Pflastersteine
Drei Pflastersteine, All Cops Die Crying
All Cops Die Crying
Tamas (2020) – ACDC (All Cops Die Crying)

Im Zuge einer Reportage von STRG_F zum Thema „Wieso hassen Rapper die Polizei?“ äußert sich Tamas ausführlich zu seinen Liedtexten und den Beweggründen für seinen Hass auf die Polizei. Er gibt an, vom Kindesalter an in Berlin Wedding ohne für ihn nachvollziehbaren Grund wiederholt kontrolliert worden. Seine lyrischen Gewaltphantasien seien Rache für die Gängelei und die empfundenen Demütigungen (vgl. Edelhoff, 2018). https://www.youtube.com/watch?v=G5SqvZfp358 „Fick die Cops“ – Wieso hassen Rapper die Polizei? | STRG_F  

Literatur

  • Edelhoff, J. (2018, 27. März). „Fick die Cops“ – Wieso hassen Rapper die Polizei? [Video]. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=G5SqvZfp358
  • Jüttner, J. (2015, 9. Februar). Urteil gegen Kemptener Chef-Drogenfahnder. Späte Erkenntnis. Spiegel. https://www.spiegel.de/panorama/justiz/kempten-ex-chef-drogenfahnder-zu-sechseinhalb-jahre-haft-verurteilt-a-1017591.html
  • Litschko, K. (2022, 15. Juni). Der Fall Lina E. Razzien in Connewitz. taz. https://taz.de/Der-Fall-Lina-E/!5861564/
  • Redaktion beck-aktuell (2017, 21. Juni). LG Frankfurt am Main verurteilt Rapperin “Schwesta Ewa“ zu zweieinhalb Jahren Gefängnis. beck-aktuell. Heute im Recht. https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/lg-frankfurt-am-main-verurteilt-rapperin-schwesta-ewa-zu-zweieinhalb-jahren-gefaengnis
  • Steinmetz, K. F., & Henderson, H. (2012). Hip-Hop and Procedural Justice: Hip-Hop Artists’ Perceptions of Criminal Justice. Race and Justice, 2(3), 155–178. https://doi.org/10.1177/2153368712443969

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Kategorie: Forschungsprojekt: Polizei im Deutschrap 2015–2022 Schlagworte: 31er, Anomietheorie, Auditive Kriminologie, Darstellung der Polizei, Gangsta-Rap, Gewaltmonopol, Kritische Kriminologie, Liedanalyse, MaxQDA, Musik und Devianz, Neutralisierungsthese, Polizei, Polizeiethnografie, Racial Profiling, Rap und Polizei, Rassismus, Selbstjustiz, Snitch

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  • Teil 2: Einführung und Forschungsstand
  • Teil 3: Methodisches Vorgehen
  • Teil 4: Quantitative Auswertung
  • Teil 5: Kategoriensystem der qualitativen Auswertung
  • Teil 6: Polizeidarstellung
  • Teil 7: Authentizität
  • Teil 8: Drogenhandel, Herkunft und Männlichkeitsbilder
  • Teil 9: Idealtypische Selbstdarstellungen im Gangsta-Rap
  • Teil 10: Polizeikritik zwischen Skandalisierung, Sozialkritik und Popkultur

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