Nach Robert Agnews General Strain Theory basieren Belastungen (strain) (psychischer Stress) auf drei unterschiedlichen Faktoren:
- Das Scheitern, ein Ziel zu erreichen
- Die Existenz von schädlichen Impulsen und
- Das Entfernen von positiven Impulsen.
Belastungen produzieren negative Emotionen wie z.B. Ärger oder Depressionen, die ohne adäquate Bewältigungsfähigkeiten delinquentes Verhalten fördern
Merkzettel
General Strain Theory nach Agnew
Hauptvertreter: Robert Agnew
Erstveröffentlichung: 1985
Land: USA
Idee/ Annahme: Belastungen produzieren negative Emotionen wie z.B. Ärger oder Depressionen, die ohne adäquate Bewältigungsfähigkeiten delinquentes Verhalten fördern.
Abgrenzungen zu: Die Theorie kann als Erweiterung der Anomietheorie nach Merton verstanden werden. Anders als bei Merton sieht Messner die Ursache von „strain“ nicht ausschließlich in schichtspezifischen Zugangschancen verortet.
Theorie
Im Vergleich zu Mertons Ausführungen zur Anomietheorie beinhaltet die General Strain Theorie eine breitere Sichtweise über die Belastungsursachen. Nach Agnew gibt es drei Hauptgründe für Abweichung verursachende Belastungen (deviance-producing strain):
- Das Scheitern, ein Ziel zu erreichen (z.B. gute Noten)
- Das Entfernen von positiven Impulsen (z.B. Tod eines Elternteils, Beziehungsende)
- Das Vorhandensein schädlicher Impulse (z.B. Schulprobleme)
Nach Agnew kann „strain“ in allen Bevölkerungsschichten auftreten und ist kein schichtspezifisches Phänomen. Er versucht zu erklären, wie „strain“ zu kriminellen Handlungen führt. Er geht davon aus, dass „strain“ negative emotionale Zustände wie Wut oder Depression hervorruft, die, wenn keine adäquaten Bewältigungskompetenzen vorhanden sind, verschiedene delinquente Verhaltensweisen begünstigen (z.B. Wut –> gewalttätiges Verhalten, Depression –> Drogenkonsum usw.).
Als Gründe, warum manche Menschen auf psychischen Stress mit normkonformem und andere mit delinquentem Verhalten reagieren, nennt Agnew fehlende Bewältigungskompetenzen (wie Intelligenz, Kreativität, Problemlösefähigkeiten etc.) Darüber hinaus wirken sich negative Faktoren wie ein kriminelles Umfeld oder kriminalitätsfördernde Charaktereigenschaften negativ auf die Bewältigung von Belastungen aus.
Kriminalpolitische Implikation
Die kriminalpolitischen Forderungen von Agnew können als vielschichtig angesehen werden, da auch seine Theorie mehrere unterschiedliche Ursachenfaktoren aufweist.
Eine kriminalpolitische Schlussfolgerung aus der General Strain Theory ist – in Übereinstimmung mit der Anomietheorie von Merton -, dass eine gute Sozialpolitik mit der Möglichkeit, individuelle (z.B. materielle) Ziele zu erreichen, einen kriminalpräventiven Faktor darstellt. Soziale Ungleichheit in der Gesellschaft führt zu einem erhöhten Druck auf die benachteiligten Mitglieder und damit zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, kriminell zu werden.
Zweitens sind aufgrund einer gewissen Annäherung an die Kontroll- und Bindungstheorien auch deren kriminalpolitische Implikationen bei Agnew zu beachten: Der Verlust positiver Stimuli und das Erleben negativer Stimuli sind zumeist Veränderungen innerhalb des individuellen sozialen Umfeldes oder können zumindest durch dieses verstärkt oder verhindert werden. Erzieherische Maßnahmen, die Stärkung von Familie und Gemeinschaft und andere typische Forderungen der Kontrolltheorien sind daher auch bei Agnew angezeigt.
Schließlich lassen die in der Strain-Theory angesprochenen Coping-Strategien (Bewältigungsfähigkeiten) eine weitere Form kriminalpräventiven Denkens zu: Da die entscheidenden Faktoren für die Begehung krimineller Handlungen letztlich Ärger und Frustration sind, muss es Aufgabe von (Re-)Sozialisationsprogrammen sein, alternative Denk- und Verhaltensweisen zu erlernen, die das Aufkommen solcher Emotionen verhindern oder zumindest eindämmen. Als Beispiel sei hier der sogenannte „heiße Stuhl“ aus der Sozialtherapie genannt, der den richtigen Umgang mit negativen Emotionen trainieren soll.
Kritische Würdigung /Aktualitätsbezug
Agnew ist es mit der General Strain Theory gelungen, die auf Unterschichtenkriminalität beschränkte Anomietheorie zu erweitern und mit anderen theoretischen Konzepten wie sozialer Kontrolle, sozialer Desorganisation und Emotionen zu verbinden. So entsteht ein verständliches Bild der Kriminalitätsentstehung.
Der nahezu multifaktorielle Charakter der Theorie führt jedoch zu der unausweichlichen Frage, was letztlich das Entscheidungskriterium dafür ist, sich aufgrund widriger Umstände abweichend zu verhalten oder trotz einer ganzen Reihe negativer Faktoren im individuellen Umfeld konform zu bleiben.
Agnew schreibt den Copingfähigkeiten im Umgang mit psychischen Belastungen eine wichtige Rolle zu. Er beschreibt jedoch nicht explizit, welche Rolle sie spielen. In welcher Form beeinflussen sie im Einzelnen den Umgang des Individuums mit Belastungen?
Darüber hinaus kann die Kritik an den Anomie-, Kontroll- und sozialen Desorganisationstheorien analog auch für die General Strain Theory gelten.
Literatur
Primärliteratur
- Agnew, Robert. (1985). A revised strain theory of delinquency. Social forces. 64(1), 151-167.
- Agnew, Robert. (1992). Foundation for a general strain theory of crime and delinquency. Criminology. 30(1), 47-87.
Sekundärliteratur
- Brown, S., Esbensen, F.-A., Geis, G. (2010): Criminology. Explaining Crime and It’s Context. S. 249-251.
- Vito, G./Maahs, J./Holmes, R. (2007): Criminology. Theory, Research, and Policy. S. 157f.
Weiterführende Information
Video
https://www.youtube.com/watch?v=UA-7F1S1DNM
Dr. Robert Agnew’s lecture delivered at Eastern Kentucky University – College of Justice and Safety in 2005 titled „Strain Theory in Criminal Justice“.
Dr. Robert Agnew presents General Strain Theory: An Overview and Policy Implications (The University of Tampa)