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Migration und Integration

20. Dezember 2017 | zuletzt aktualisiert am 6. April 2025 von Christian Wickert

Migration und Integration zählen zu den zentralen Herausforderungen und Themenfeldern moderner Gesellschaften. In einer globalisierten Welt, in der Menschen aus wirtschaftlichen, politischen oder persönlichen Gründen ihren Wohnort wechseln, stellt sich nicht nur die Frage nach den Ursachen von Migration, sondern auch nach dem Umgang mit Vielfalt, Zugehörigkeit und sozialem Zusammenhalt. Die Soziologie bietet vielfältige Perspektiven auf diese Prozesse – von strukturellen Analysen bis zu handlungstheoretischen Zugängen.

Inhaltsverzeichnis

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  • Migration als Normalität
  • Zentrale Begriffe und Unterscheidungen
  • Was ist Migration?
  • Phasen der deutschen Migrationsgeschichte
  • Integration
  • Integrationsdimensionen nach Hartmut Esser
    • Integrationsmodelle im Vergleich
    • Ungleichheit im Bildungssystem
  • Soziologische Schlüsselwerke im Kontext von Migration und Integration
  • Chancen und Herausforderungen der Integration
  • Integration als wechselseitiger Prozess
  • Relevanz für Sicherheitsbehörden und Polizei
    • Migration und Kriminalität: Zwischen Realität und Instrumentalisierung
  • Fazit
  • Literatur und weiterführende Informationen

Migration als Normalität

Migration ist kein neues oder randständiges Phänomen, sondern gehört zur Grundkonstante menschlicher Geschichte. Seit jeher bewegen sich Menschen über geografische, kulturelle und politische Grenzen hinweg – sei es aus ökonomischen, familiären, religiösen oder politischen Gründen. Die Vorstellung, Migration sei ein Ausnahmezustand, ist historisch gesehen irreführend. Tatsächlich hat nahezu jede Familie – wenn man nur wenige Generationen zurückgeht – Migrationsbezüge: durch Kriege, Arbeitssuche, Zwangsumsiedlungen oder Heirat.

Migrationsgesellschaft Deutschland: Laut Mikrozensus 2022 haben rund 28 % der Bevölkerung in Deutschland einen sogenannten „Migrationshintergrund“ – also mehr als jede vierte Person. In Städten wie Frankfurt, Stuttgart oder München ist dieser Anteil deutlich höher. Migration ist damit kein Randphänomen, sondern prägt die soziale Realität maßgeblich.

Diese historische Alltäglichkeit kontrastiert mit der heutigen Verwendung des Begriffs „Migrant:in“, der häufig mit Fremdheit, Abweichung oder Integrationsbedarf assoziiert wird. Hinzu kommt: Es existiert keine einheitliche Definition von Migration. Der Begriff wird je nach Kontext unterschiedlich verwendet – rechtlich, statistisch oder politisch. In vielen Debatten und amtlichen Kategorien gilt bereits als „Migrant:in“, wer in zweiter oder dritter Generation in Deutschland lebt – obwohl er oder sie nie selbst migriert ist.

Migration ist damit nicht nur ein demografischer, sondern auch ein sozial definierter und symbolisch aufgeladener Begriff – und sollte in seiner Vielschichtigkeit und historischen Normalität verstanden werden.

Zentrale Begriffe und Unterscheidungen

Im Migrationsdiskurs werden verschiedene Begriffe verwendet, die unterschiedliche rechtliche, politische oder gesellschaftliche Konnotationen haben. Eine klare Begriffsverwendung ist notwendig, um migrationsbezogene Phänomene differenziert zu analysieren.

Migrant:in:
Ein übergreifender Sammelbegriff für Personen, die ihren Lebensmittelpunkt über eine nationale Grenze hinweg verlagert haben – unabhängig vom Motiv, rechtlichen Status oder Zeitraum. In amtlichen Statistiken wird teils auch die zweite oder dritte Generation einbezogen, selbst wenn diese im Aufnahmeland geboren wurden.
Ausländer:in:
Bezieht sich auf Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Der Begriff ist juristisch, aber nicht wertneutral – im öffentlichen Diskurs wird er häufig verkürzt oder stigmatisierend gebraucht.
Person mit Migrationshintergrund:
Ein administrativer Begriff (z. B. des Statistischen Bundesamts), der auch in Deutschland geborene Personen umfasst, wenn mindestens ein Elternteil eine andere Staatsangehörigkeit oder einen anderen Geburtsort hat. Der Begriff ist umstritten, da er Differenz fortschreibt.
Flüchtling:
Gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention (1951) ist ein Flüchtling eine Person, die aus begründeter Furcht vor Verfolgung (z. B. wegen Religion, Nationalität oder politischer Überzeugung) ihr Herkunftsland verlassen hat. Flüchtlingsschutz ist völkerrechtlich verankert.
Asylsuchende:r / Asylbewerber:in:
Bezeichnet Personen, die in einem Land einen Antrag auf Schutz gestellt haben, über den noch nicht abschließend entschieden wurde. Im Gegensatz zu anerkannten Flüchtlingen ist ihr rechtlicher Status vorläufig.
Geflüchtete:r:
Ein zunehmend gebrauchter Begriff in Medien und Wissenschaft, der den Fokus stärker auf die individuelle Situation und weniger auf den rechtlichen Status legt. Er wird oft als inklusiver und entstigmatisierender verstanden.

Rechtsstatus im Asylverfahren – eine Übersicht:In Deutschland gibt es verschiedene Schutzformen für Menschen, die aus humanitären Gründen aufgenommen werden. Diese unterscheiden sich in ihren Voraussetzungen, Rechten und aufenthaltsrechtlichen Folgen:

  • Flüchtlingsschutz: Nach § 3 AsylG erhalten Personen diesen Status, wenn sie aufgrund von Verfolgung gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention ihr Herkunftsland verlassen haben. Er beinhaltet ein dreijähriges Aufenthaltsrecht, Familiennachzug und Zugang zum Arbeitsmarkt.
  • Subsidiärer Schutz: Wird gewährt, wenn keine individuelle Verfolgung nachgewiesen werden kann, aber ernsthafter Schaden (z. B. Todesstrafe, Folter, Krieg) im Herkunftsland droht. Der Aufenthalt ist auf ein Jahr befristet, aber verlängerbar.
  • Nationales Abschiebungsverbot: Greift, wenn weder Flüchtlingsschutz noch subsidiärer Schutz vorliegt, aber eine Rückkehr unzumutbar oder lebensgefährlich wäre (z. B. wegen Krankheit). Die Aufenthaltserlaubnis ist ebenfalls befristet.

Diese Unterscheidungen sind für die Bleibeperspektive, den Familiennachzug und die Integration der Betroffenen entscheidend.

Was ist Migration?

Migration: Migration bezeichnet die dauerhafte oder vorübergehende Verlagerung des Lebensmittelpunkts einer Person über politische oder geographische Grenzen hinweg. Sie kann freiwillig (z. B. Arbeitsmigration) oder unfreiwillig (z. B. Flucht) erfolgen und umfasst sowohl Binnenmigration als auch internationale Migration.

Migrationsprozesse sind so alt wie die Menschheit. In der Soziologie unterscheidet man verschiedene Formen:

  • Arbeitsmigration: Erwerbsbezogene Migration in ein anderes Land.
  • Bildungsmigration: Migration im Kontext von Ausbildung und Studium.
  • Familienmigration: Zuzug im Rahmen familiärer Zusammenführung.
  • Fluchtmigration: Erzwungene Migration aufgrund von Krieg, Verfolgung oder Umweltkatastrophen.

Phasen der deutschen Migrationsgeschichte

Die Geschichte der Migration in Deutschland ist von verschiedenen historischen, politischen und wirtschaftlichen Kontexten geprägt. Sie lässt sich in mehrere Phasen unterteilen, die unterschiedliche Migrationsmuster und Integrationsherausforderungen mit sich brachten:

    1. Nachkriegszeit (1945–1955):
      Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu massiven Bevölkerungsverschiebungen: Rund 12 Millionen Menschen flüchteten oder wurden aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und anderen Teilen Europas vertrieben. Diese sogenannten „Vertriebenen“ und „Spätaussiedler:innen“ wurden als Deutsche aufgenommen, galten aber vielen als kulturell „fremd“. Sie prägten das Selbstverständnis der frühen Bundesrepublik wesentlich mit.
    2. Gastarbeiterphase (1955–1973):
      Um den steigenden Arbeitskräftebedarf der Nachkriegswirtschaft zu decken, schloss die Bundesrepublik Anwerbeabkommen mit Italien, der Türkei, Griechenland, Jugoslawien und weiteren Ländern. Die sogenannten „Gastarbeiter:innen“ sollten ursprünglich nur temporär bleiben, viele ließen sich jedoch dauerhaft nieder. Integration war in dieser Phase kein politisches Ziel – man ging von einer „Rückkehrmigration“ aus.
    3. Restriktion und Familiennachzug (1973–1980er):
      Nach dem Anwerbestopp 1973 infolge der Ölkrise fand keine Rückkehrwelle statt, sondern vielfach ein Familiennachzug. Gleichzeitig wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen restriktiver, z. B. durch das Ausländergesetz von 1965. In dieser Phase wurde deutlich, dass Deutschland de facto ein Einwanderungsland ist – ohne sich offiziell so zu definieren.
    4. Asyl- und Spätaussiedlermigration (1980er–1990er):
      Die Zahl der Asylsuchenden stieg deutlich an, insbesondere durch Bürgerkriege und politische Konflikte (z. B. im Libanon, in Sri Lanka, im Iran, auf dem Balkan). Parallel kamen viele Spätaussiedler:innen aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Die 1990er Jahre waren von politischen Debatten über „Überforderung“ und restriktive Gesetzesänderungen geprägt (Asylkompromiss 1993).
    5. EU-Osterweiterung und Globalisierung (ab 2004):
      Mit der EU-Osterweiterung erhielten Bürger:innen aus neuen Mitgliedsstaaten (z. B. Polen, Rumänien) Freizügigkeit. Gleichzeitig nahm die Zahl von Arbeitsmigrant:innen aus Drittstaaten im Zuge globaler Mobilität zu. Die Migration wurde zunehmend vielfältiger: Bildungs-, Arbeits-, Flucht-, und Heiratsmigration überlagern sich.
    6. „Flüchtlingskrise“ (ab 2015):
      Im Zuge des syrischen Bürgerkriegs und anderer Konflikte kamen 2015/16 über eine Million Menschen nach Deutschland – überwiegend aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und Eritrea. Die Debatte über Integration, Grenzschutz, Willkommenskultur und Kontrolle hat seither Politik und Gesellschaft tief geprägt. Der Begriff „Flüchtlingskrise“ ist umstritten, da er eine humanitäre Herausforderung aus der Perspektive des Aufnahmelands beschreibt und nicht die Krise der Herkunftsregionen.
Zum Begriff „Flüchtlingskrise“:
Der Ausdruck „Flüchtlingskrise“ war ab 2015 medial allgegenwärtig – doch er ist nicht neutral. Er verwendet ein Katastrophenvokabular („Krise“, „Welle“, „Flut“), das eine bedrohliche Dynamik suggeriert und Flüchtende häufig entindividualisiert und problematisiert. Aus soziologischer Perspektive wird deshalb kritisiert, dass durch diese Sprachwahl nicht die Notlage der Geflüchteten, sondern die Überforderung der aufnehmenden Gesellschaft in den Vordergrund rückt.Hinweis: Alternativ werden Begriffe wie „Fluchtmigration“, „Zufluchtsbewegung“ oder „humanitäre Herausforderung“ vorgeschlagen, um der Situation gerecht zu werden – ohne sie automatisch negativ zu bewerten.
  1. Gegenwart und Zukunft (ab 2020):
    Aktuelle Herausforderungen ergeben sich aus Fachkräftemangel, globaler Ungleichheit, Klimamigration und politischen Instabilitäten. Deutschland ist ein Migrationsland mit vielfältigen Herkunftsgruppen und einem zunehmenden Bewusstsein für strukturelle Integrationspolitik – aber auch mit politischen Spannungen und gesellschaftlichen Polarisierungen.

Integration

Integration: Integration bezeichnet den wechselseitigen Prozess der Eingliederung von Zugewanderten in zentrale gesellschaftliche Bereiche – wie Bildung, Arbeitsmarkt, politische Teilhabe und kulturelles Leben. Ziel ist die gleichberechtigte Teilhabe bei gleichzeitigem Erhalt individueller und kultureller Identität. Integration erfordert Offenheit sowohl von Seiten der Aufnahmegesellschaft als auch von den Migrant:innen selbst. Sie ist damit mehr als bloße Anpassung – sie ist Teilhabe, Anerkennung und aktives Miteinander.

Integrationsdimensionen nach Hartmut Esser

Integration ist ein mehrdimensionaler, langfristiger und wechselseitiger Prozess. Der Soziologe Hartmut Esser unterscheidet vier grundlegende Dimensionen, die jeweils unterschiedliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens betreffen – und für eine nachhaltige Teilhabe aller Mitglieder einer Gesellschaft essenziell sind:
Integration ist ein mehrdimensionaler Prozess, der sich auf verschiedene Lebensbereiche bezieht. Der Migrationsforscher Hartmut Esser unterscheidet vier Dimensionen:

  • Strukturelle Integration:
    Darunter versteht man den Zugang zu zentralen gesellschaftlichen Ressourcen wie Bildung, Arbeitsmarkt, Wohnraum, Sozialleistungen und politischen Rechten. Ein hohes Maß an struktureller Integration zeigt sich etwa daran, dass Menschen mit Migrationshintergrund gleiche Bildungs- und Berufschancen haben. In der Realität bestehen hier jedoch oft ungleiche Ausgangsbedingungen: So sind Migrant:innen überdurchschnittlich häufig in prekären Beschäftigungsverhältnissen, verdienen im Schnitt weniger und haben geringere Chancen auf Führungspositionen.
  • Kulturelle Integration:
    Diese Dimension umfasst das Erlernen der Sprache, das Verständnis gesellschaftlicher Normen, Werte und Regeln sowie grundlegende kognitive und kommunikative Kompetenzen im sozialen Alltag. Kulturelle Integration wird häufig als Voraussetzung für andere Integrationsformen betrachtet – birgt aber auch die Gefahr, als Einbahnstraße der Anpassung interpretiert zu werden, wenn kulturelle Vielfalt nicht gleichzeitig wertgeschätzt wird.
  • Soziale Integration:
    Gemeint ist hier die Einbindung in soziale Netzwerke, Freundschaften, Vereine, Nachbarschaften oder andere gemeinschaftliche Strukturen. Soziale Integration schafft Vertrauen, Zugehörigkeit und Alltagserfahrungen der Anerkennung – sie ist daher besonders wichtig für das Zusammenleben in pluralen Gesellschaften. Gleichzeitig zeigen Studien, dass viele Migrant:innen soziale Kontakte überwiegend innerhalb der eigenen Community pflegen, was sowohl Ressource als auch Herausforderung sein kann.
  • Identifikatorische Integration:
    Diese Form beschreibt das emotionale Zugehörigkeitsgefühl zum Aufnahmeland – etwa die Identifikation mit seinen Werten, Institutionen oder Symbolen. Sie ist weniger sichtbar, aber entscheidend für ein Gefühl von Einbindung, Loyalität und „Zugehörigkeit trotz Differenz“. Gerade bei Personen, die in Deutschland geboren wurden, aber als „anders“ markiert werden, entsteht hier häufig ein Spannungsverhältnis zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung.

Integrationsmodelle im Vergleich

Die Frage, wie Integration gesellschaftlich gestaltet werden sollte, wurde und wird unterschiedlich beantwortet. Drei Idealtypen lassen sich unterscheiden:

  • Assimilation:
    Dieses Modell geht davon aus, dass Zuwandernde ihre Herkunftskultur weitgehend aufgeben und sich vollständig an die Normen, Werte und Lebensweisen der Mehrheitsgesellschaft anpassen sollen. Kulturelle Vielfalt wird hier häufig als Integrationshindernis gesehen. Das Modell war lange prägend für migrationspolitische Maßnahmen in vielen westlichen Staaten.
  • Multikulturalismus:
    Im Gegensatz zur Assimilation betont dieses Modell die Koexistenz unterschiedlicher kultureller Gruppen, deren Differenz nicht nur akzeptiert, sondern ausdrücklich anerkannt wird. Kritiker:innen bemängeln, dass dadurch Parallelgesellschaften entstehen können, in denen es an übergreifenden Gemeinsamkeiten fehlt.
  • Interkulturelle Öffnung:
    Dieses Modell zielt auf wechselseitige Veränderung: Nicht nur Migrant:innen sollen sich anpassen, auch Institutionen müssen sich für Vielfalt öffnen – etwa durch mehrsprachige Angebote, diversitätssensible Bildung oder diskriminierungsfreie Verwaltungspraxis. Integration wird hier als Dialogprozess verstanden, der gemeinsame Werte und Rechte in den Mittelpunkt stellt.

Die Soziologie betont heute vor allem strukturelle Teilhabe und wechselseitige Anerkennung als zentrale Elemente gelingender Integration. Integration ist keine Bringschuld einzelner Gruppen, sondern ein gesellschaftlicher Gesamtprozess, der Offenheit und Gerechtigkeit voraussetzt.

Doppelte Bewertungsmaßstäbe im Integrationsdiskurs
Im gesellschaftlichen Diskurs über Migration und Integration werden ähnliche Verhaltensweisen oft unterschiedlich bewertet – je nachdem, ob sie bei Einheimischen oder Menschen mit Migrationshintergrund auftreten. Dies verdeutlicht, wie stark kulturelle Zuschreibungen und Stereotype die Wahrnehmung prägen können.
Ein Falafel neben einem Kartoffelkloß vor einer syrischen bzw. deutschen Flagge
„Gleiche Mahlzeit, ungleiche Wahrnehmung: Während der Kartoffelkloß als Ausdruck regionaler Tradition gilt, wird die Falafel oft als Zeichen mangelnder Integration gelesen – ein Beispiel für doppelte Standards im Umgang mit kultureller Vielfalt.“

  • Mehrsprachigkeit:
    Bei Einheimischen: Zeichen von Bildung und Weltoffenheit
    Bei Migrant:innen: Verdacht mangelnder Integrationsbereitschaft
  • Familienzusammenhalt:
    Bei Einheimischen: Ausdruck von Fürsorge und Tradition
    Bei Migrant:innen: Vorwurf von Rückständigkeit oder Kollektivismus
  • Ernährungsgewohnheiten:
    Bei Einheimischen: Interkulturelles Interesse („Ich liebe Falafel!“)
    Bei Migrant:innen: Abgrenzung vom „deutschen“ Lebensstil
  • Kleidung mit religiösem Bezug:
    Bei Einheimischen: Ausdruck von Individualität oder Spiritualität
    Bei Migrant:innen: Verdacht auf Integrationsverweigerung
  • Wohnen in ethnisch geprägten Stadtvierteln:
    Bei Einheimischen: „authentischer Kiez“, aufgewertetes Szeneviertel
    Bei Migrant:innen: „Parallelgesellschaft“, mangelnde Durchmischung

Solche doppelten Standards erschweren Integration, weil sie ungleiche Erwartungen erzeugen und symbolische Ausgrenzung befördern. Eine inklusive Gesellschaft muss diese Mechanismen erkennen und überwinden.

Ungleichheit im Bildungssystem

Ein zentrales Beispiel für strukturelle Integrationshürden ist das deutsche Bildungssystem. Schüler:innen mit Migrationshintergrund sind in Deutschland nach wie vor überproportional an Haupt- und Realschulen vertreten, unterrepräsentiert auf Gymnasien und erzielen im Schnitt schlechtere Bildungsabschlüsse. Ursachen dafür sind vielfältig:

  • soziale Herkunft und ökonomische Benachteiligung,
  • sprachliche Startnachteile,
  • institutionelle Diskriminierung,
  • kulturelle Missverständnisse oder niedrige Erwartungen seitens der Lehrkräfte.

Diese Ungleichheiten wirken sich langfristig auf den Arbeitsmarkterfolg, die soziale Integration und das Zugehörigkeitsgefühl aus – und zeigen exemplarisch, wie strukturelle, soziale und kulturelle Dimensionen der Integration eng miteinander verflochten sind.

Soziologische Schlüsselwerke im Kontext von Migration und Integration

Migration und Integration sind nicht nur empirische Phänomene, sondern auch theoretisch vielfach reflektiert worden:

  • Émile Durkheim: In seiner Theorie sozialer Integration betont Durkheim die Bedeutung kollektiver Normen für sozialen Zusammenhalt – eine Perspektive, die auf Integrationsprozesse übertragbar ist.
  • Norbert Elias & John L. Scotson: In Etablierte und Außenseiter analysieren sie die Mechanismen sozialer Ausgrenzung – ein Schlüsseltext zur Erklärung von Konflikten in segregierten Stadtteilen.
  • Pierre Bourdieu: Seine Konzepte von sozialem, kulturellem und symbolischem Kapital helfen zu verstehen, warum Migrant:innen ungleiche Chancen in Bildungs- und Arbeitsmarktprozessen haben.
  • Judith Butler: Ihre Überlegungen zu „livable lives“ und Anerkennung liefern Impulse für eine kritische Integrationsdebatte, die auch Geschlecht, Herkunft und Machtverhältnisse reflektiert.
  • Ulrich Beck: Seine Risikogesellschaft verweist auf neue Unsicherheiten, in denen Migration nicht mehr als Ausnahme, sondern als Normalfall zu verstehen ist.

Chancen und Herausforderungen der Integration

  • Chancen: Migration kann ökonomische, kulturelle und demographische Impulse liefern. Vielfalt schafft Innovationspotenziale und fördert gesellschaftlichen Wandel.
  • Herausforderungen: Soziale Ungleichheit, Diskriminierung, Sprachbarrieren und institutionelle Ausschlüsse können Integrationsprozesse behindern. Segregation und soziale Spaltung sind langfristige Risiken.
Prekärer Aufenthaltsstatus: Viele Migrant:innen leben mit unsicheren oder befristeten Aufenthaltsgenehmigungen, etwa Duldung oder im laufenden Asylverfahren. Diese Unsicherheit wirkt sich negativ auf Bildung, Arbeit, Gesundheit und Teilhabe aus – und erschwert Integration erheblich.

Integration als wechselseitiger Prozess

Integration ist keine einseitige Anpassungsleistung, sondern ein wechselseitiger Prozess, der sowohl Aufnahmegesellschaft als auch Zugewanderte betrifft. Erfolgreiche Integration erfordert daher:

  • Chancengleichheit und institutionelle Offenheit
  • Teilhabe und politische Partizipation
  • Anti-Diskriminierung und Anerkennungskultur

Relevanz für Sicherheitsbehörden und Polizei

Migration stellt Sicherheitsbehörden vor komplexe Herausforderungen, die weit über klassische Ordnungspolitik hinausgehen. In einer pluralisierten Gesellschaft kommt der Polizei eine zentrale Rolle bei der Sicherung gesellschaftlicher Kohäsion und beim Schutz vulnerabler Gruppen zu. Dafür sind nicht nur rechtliche Kompetenzen, sondern auch soziale, kulturelle und kommunikative Fähigkeiten erforderlich.

  • Interkulturelle Kompetenz in der Polizeiarbeit: Polizist:innen müssen in der Lage sein, kultursensibel zu kommunizieren, Sprachbarrieren zu überwinden und mit unterschiedlichen Wertvorstellungen professionell umzugehen. Interkulturelle Kompetenz ist keine Zusatzqualifikation, sondern integraler Bestandteil bürgernaher Polizeiarbeit.
  • Schutz vor rassistischer Gewalt: Migrant:innen und Geflüchtete sind nicht selten Zielscheibe rassistischer Anfeindungen oder Übergriffe. Die Polizei ist gefordert, diese Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ernst zu nehmen, gezielt zu verfolgen und Betroffene aktiv zu schützen.
  • Prävention von Segregation und Polarisierung: Wenn bestimmte Stadtteile als „Problembezirke“ stigmatisiert werden, drohen Exklusion und soziale Spaltung. Polizeiarbeit kann hier deeskalierend wirken, wenn sie auf Vertrauen, Dialog und Präsenz im Alltag setzt – etwa durch quartiersbezogene Präventionsarbeit oder Schulkooperationen.
  • Kooperation mit migrantischen Communities und NGOs: Eine erfolgreiche Polizei ist nicht nur reaktiv, sondern kooperativ. Die Zusammenarbeit mit Moscheevereinen, Migrantenorganisationen, Elterninitiativen oder interkulturellen Beratungsstellen kann Brücken bauen, Zugang erleichtern und Informationsflüsse verbessern.

Eine inklusive Polizei versteht kulturelle Vielfalt nicht als Sicherheitsrisiko, sondern als soziale Realität und Ressource. Sie begegnet Menschen mit Respekt, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Aufenthaltsstatus – und wird damit zum Garant für gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Vertrauensfördernde Maßnahmen in der Polizei:
Vertrauen in die Polizei ist ein zentrales Gut – besonders in pluralen Gesellschaften. Es entsteht nicht automatisch, sondern muss aktiv aufgebaut, gepflegt und verdient werden. Die folgenden Maßnahmen gelten als zentral, um Vertrauen – insbesondere in migrantischen oder marginalisierten Communities – zu stärken:

  • Interkulturelle Öffnung: Die Polizei muss sich personell, organisatorisch und kulturell für Vielfalt öffnen – etwa durch diversitätsorientierte Personalgewinnung, Sprachförderung und gezielte Mentoring-Programme.
  • Community Policing: Polizist:innen arbeiten aktiv mit lokalen Initiativen, Moscheevereinen, Migrant:innenorganisationen oder Sozialprojekten zusammen. Ziel ist eine alltagsnahe, deeskalierende Präsenz und Vertrauensaufbau durch langfristige Beziehungspflege.
  • Transparente Kommunikation: Öffentlichkeitsarbeit muss differenziert, faktenbasiert und mehrsprachig erfolgen. Das schließt auch die Aufarbeitung von Fehlverhalten ein – etwa durch unabhängige Beschwerdestellen oder Bürgerdialoge.
  • Antidiskriminierung und Beschwerdemanagement: Vertrauensverlust entsteht häufig durch reale oder empfundene Diskriminierung. Niedrigschwellige, unabhängige Beschwerdestellen und interne Fortbildungen zur diskriminierungssensiblen Polizeiarbeit sind hier essenziell.
  • Ausbildung & Reflexion: Vertrauensförderung beginnt in der Ausbildung: durch Module zu Rassismuskritik, Diversität, Migration, Rechtsstaatlichkeit und berufsethischer Reflexion. Auch Supervision und interkulturelles Training sind wirkungsvolle Instrumente.

Vertrauensaufbau ist ein Prozess – er setzt strukturelle Veränderungen, kontinuierliche Dialogbereitschaft und eine professionelle, reflexive Haltung im polizeilichen Alltag voraus.

Migration und Kriminalität: Zwischen Realität und Instrumentalisierung

Im öffentlichen Diskurs wird Migration häufig mit Kriminalität verknüpft. Dabei wird übersehen, dass die Ursachen für abweichendes Verhalten nicht ethnisch, sondern sozial strukturiert sind – etwa durch Armut, Bildungsbenachteiligung, Diskriminierung oder fehlende Teilhabechancen. Gleichwohl ist es richtig, dass ein höherer Bevölkerungsanteil in bestimmten Gruppen statistisch auch ein höheres Kriminalitätsaufkommen mit sich bringen kann – unabhängig von Nationalität oder Migrationshintergrund. Mehr Menschen bedeuten mehr Kriminalität – dies ist ein statistischer Grundzusammenhang, der jedoch differenziert betrachtet werden muss.

Rechte und rechtspopulistische Akteure nutzen diese statistischen Korrelationen häufig strategisch, um Migration pauschal zu problematisieren und Ängste zu schüren. Die Debatte um „importierte Kriminalität“ wird dabei selten faktenbasiert geführt, sondern rhetorisch zugespitzt – etwa durch Begriffe wie „Messermigration“ oder „Kulturfremdheit“. Solche Narrative lenken von den strukturellen Ursachen von Kriminalität ab und fördern rassistische Stereotype.

Eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema findet sich im Beitrag Kriminalität Nicht-Deutscher, der die komplexe Datenlage erläutert und differenziert auf polizeiliche Erfassungspraxis, soziale Selektivität und gesellschaftliche Wahrnehmungen eingeht.

Für die Polizei bedeutet dies: Objektivität und Fairness sind oberstes Gebot. Sie darf sich nicht vor populistische Karren spannen lassen, sondern muss durch rechtsstaatliche Integrität, reflektierte Praxis und diversitätsorientierte Ausbildung Vertrauen schaffen – insbesondere bei Menschen, die in der öffentlichen Debatte allzu oft unter Generalverdacht gestellt werden.

Fazit

Migration ist ein zentrales Merkmal moderner Gesellschaften – Integration ihre Antwort. Für die Soziologie bieten sich hier vielfältige Analyseansätze: von strukturellen Ungleichheiten über kulturelle Aushandlungsprozesse bis hin zu Fragen von Macht, Anerkennung und sozialer Teilhabe. In einer zunehmend pluralen Gesellschaft entscheidet der Umgang mit Migration nicht nur über individuelle Lebenswege, sondern auch über die Zukunft demokratischer Gemeinwesen.

Literatur und weiterführende Informationen

  • Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  • Bourdieu, Pierre (1982): Die feinen Unterschiede. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  • Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Stellt umfangreiches statistisches Material zur Zahl der Migranten, Asylsuchenden und Flüchtlinge in Deutschland zur Verfügung; www.bamf.de
  • Bundeszentrale für politische Bildung (2018, 14. Mai): Dossier Migration und Integration. https://www.bpb.de/themen/migration-integration/dossier-migration/
  • Bundeszentrale für politische Bildung (o. J.): Migration | Themenportal der Bundeszentrale für politische Bildung; https://www.bpb.de/themen/migration-integration
  • Butler, Judith (2005): Gefährdetes Leben. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  • Elias, Norbert / Scotson, John L. (1965): Etablierte und Außenseiter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  • Esser, Hartmut (2006): Migration, Sprache und Integration. AKI-Forschungspapiere Nr. 4.
  • Hanewinkel, V. (2018, 10. Juni): Migrationspolitik – Mai 2018. Bundeszentrale für politische Bildung. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/flucht/270677/migrationspolitik-mai-2018

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Kategorie: Allgemeine Soziologie Tags: Asylsuchende, Bourdieu, Elias, Exklusion, Flüchtlinge, Globalisierung, Hartmut Esser, Integration, Kultursoziologie, Migranten, Migration, Polizei, soziale Ungleichheit

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