Die Gefährlichkeit von DrogenDrogen sind psychoaktive Substanzen, die das zentrale Nervensystem beeinflussen und in legaler oder illegaler Form konsumiert werden. ergibt sich nicht allein aus ihren pharmakologischen Eigenschaften – sie ist auch ein soziales Konstrukt. Was als gefährlich, abweichend oder kriminell gilt, wird durch gesellschaftliche Deutungen, politische Interessen und moralische Kampagnen geprägt. Das zeigt kaum ein Beispiel so deutlich wie die Geschichte der KriminalisierungDer Prozess, durch den bestimmte Handlungen oder Verhaltensweisen durch gesetzliche Bestimmungen als kriminell definiert und strafrechtlich verfolgt werden. von Cannabis.
Im Zentrum steht eine historische Figur: Harry Jacob Anslinger, der als erster Leiter des Federal Bureau of Narcotics (FBN) in den USA maßgeblich dafür verantwortlich war, dass CannabisCannabis ist eine psychoaktive Substanz, die aus den Blüten und Harzen der Hanfpflanze (Cannabis sativa, Cannabis indica) gewonnen wird. Es zählt zu den am weitesten verbreiteten illegalen Drogen weltweit. weltweit als gefährliche Droge gebrandmarkt wurde. Sein Vorgehen war weniger wissenschaftlich als ideologisch motiviert – und es wirkt bis heute nach.
Der Aufstieg eines Moralunternehmers

Harry J. Anslinger (1892–1975) übernahm 1930 die Leitung des neugegründeten Federal Bureau of Narcotics (FBN), einer US-Bundesbehörde zur Drogenbekämpfung im Justizministerium. Zuvor war er im Finanzministerium für die Durchsetzung der Alkoholprohibition zuständig gewesen. Nach deren Scheitern 1933 drohte ein Bedeutungsverlust seines Tätigkeitsfeldes – und damit seiner behördlichen Machtbasis.
Der Kampf gegen Cannabis bot ihm die Möglichkeit, einen neuen moralpolitischen Gegner zu etablieren und die Existenz seiner Behörde zu legitimieren. Anslingers Feldzug gegen Marihuana war daher nicht nur ideologisch motiviert, sondern auch ein strategisches Mittel zur institutionellen Selbstbehauptung. Der neue „Drogenkrieg“ sicherte ihm Einfluss, Budget – und öffentliche Aufmerksamkeit.
In einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs – geprägt von wirtschaftlicher Unsicherheit, Migration und RassismusRassismus bezeichnet die Diskriminierung, Abwertung oder Benachteiligung von Menschen aufgrund zugeschriebener „rassischer“ oder ethnischer Merkmale. – nutzte Anslinger gezielt mediale Kampagnen, um Cannabis als Bedrohung darzustellen. Dabei griff er auf rassistische Stereotype zurück: Die Substanz wurde mit mexikanischen Migranten, Afroamerikanern und Jazzmusik in Verbindung gebracht. Der Konsum von „Marihuana“ – so der bevorzugte Begriff in seiner PropagandaPropaganda bezeichnet systematische Kommunikationsstrategien, die Einstellungen, Überzeugungen oder Verhalten gezielt beeinflussen sollen – meist im Interesse politischer Akteure. – sei verantwortlich für Wahnsinn, Gewalt und moralischen Verfall.
„Most marijuana smokers are colored people, jazz musicians, and entertainers. Their satanic music is driven by marijuana, and marijuana smoking by white women makes them want to seek sexual relations with Negroes, entertainers, and others. It is a drug that causes insanity, criminality, and death — the most violence-causing drug in the history of mankind.“
– Harry J. Anslinger (zugeschrieben) 1Dieses häufig zitierte Zitat wird Harry J. Anslinger zugeschrieben, ist jedoch in offiziellen Quellen nicht eindeutig nachweisbar. Es findet sich u. a. bei Gerber (2004), Finley (2008) und Herer (1994), wurde aber nicht in offiziellen Reden oder Anhörungen dokumentiert.
Warum „Marihuana“?
Der Begriff „Marihuana“ war in den 1930er-Jahren in den USA kaum bekannt – im Gegensatz zum medizinisch etablierten Cannabis. Harry J. Anslinger und andere Verbotsbefürworter nutzten gezielt die fremdländisch klingende Bezeichnung, um rassistische Ressentiments gegen mexikanische Einwanderer und afroamerikanische Jazzmusiker zu aktivieren. So wurde „Marihuana“ zur Chiffre für Bedrohung, KriminalitätKriminalität bezeichnet gesellschaftlich normierte Handlungen, die gegen das Strafgesetz verstoßen. und moralischen Verfall – mit durchschlagendem Erfolg.
Der Marihuana Tax Act: Bürokratie als Kriminalisierungsstrategie
Anslingers Kampagne gegen Cannabis kulminierte in einem Gesetz, das die Weichen für eine globale DrogenpolitikDie Drogenpolitik umfasst alle politischen Maßnahmen, gesetzlichen Regelungen und staatlichen Interventionen, die den Umgang mit illegalen und legalen Drogen regeln und deren Konsum, Produktion und Handel steuern. stellte: dem Marihuana Tax Act von 1937. Offiziell handelte es sich dabei um ein Steuer- und Registrierungsgesetz. Doch de facto etablierte es ein umfassendes Verbot durch Regulierung.
Der Act verlangte von jedem, der mit Cannabis umging – ob medizinisch, wissenschaftlich oder kommerziell – eine spezielle Genehmigung des Bundesfinanzministeriums sowie das Ausfüllen detaillierter Formulare und das Zahlen einer Steuer. Da diese Auflagen realitätsfern, rechtlich unklar und strafbewehrt waren, bedeutete das GesetzEin Gesetz ist eine allgemeinverbindliche, staatlich festgelegte Norm zur Regelung des sozialen Zusammenlebens. in der Praxis: Wer mit Cannabis zu tun hatte, machte sich strafbar.
Das Gesetz wurde am 14. Oktober 1937 unterzeichnet – nur wenige Monate nach dem berüchtigten Hearing, in dem Anslinger die Gefahren von Cannabis beschwor. Die medizinische Fachwelt war weitgehend ausgeschlossen; selbst die American Medical Association (AMA) protestierte gegen die Einführung, wurde jedoch ignoriert.
Der Marihuana Tax Act war ein Musterbeispiel für symbolische Gesetzgebung: Er diente nicht primär der öffentlichen Gesundheit, sondern der Moralisierung und Strafverfolgung. Dieses Modell wurde später von vielen Staaten übernommen und bildete die Grundlage für das UN-Einheitsabkommen über Suchtstoffe von 1961.
Weiterführend:
Propaganda, Panik und Gesetzgebung
Anslinger arbeitete eng mit Zeitungsverlegern und Filmstudios zusammen. Filme wie Reefer Madness (1936) stellten Cannabis als Auslöser für Wahnsinn, VerbrechenEin Verbrechen ist eine besonders schwerwiegende Form rechtswidrigen Handelns, die im Strafrecht mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr bedroht ist – zugleich ist es ein sozial und historisch wandelbares Konstrukt. und Tod dar. Barop (2023) fasst den Inhalt des Filmes folgendermaßen zusammen:
Ein skrupelloses, verlottertes Paar verkauft Marihuana an Schülerinnen und Studenten, einer von ihnen fährt im Rausch einen Passanten zu Tode, ein anderer betrügt unter Einfluss von Marihuana seine Freundin, ein Dealer vergewaltigt seine jugendliche Marihuanakundin, deren (ebenfalls bekiffter) Freund will ihr zur Hilfe kommen und gerät in eine Schlägerei mit dem Dealer, bei der am Ende das junge Mädchen erschossen wird. So und ähnlich geht es weiter, bis ein weiterer Drogendealer totgeschlagen, seine Komplizin aus dem Fenster gesprungen und ein anderer Dealer auf Lebenszeit in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen ist. Zum Schluss erscheint noch einmal der Schulmeister aus der Einleitung und droht, es könne jeden treffen. Zu dramatischer Streichermusik wird zu guter Letzt die Botschaft eingeblendet: »TELL YOUR CHILDREN«. Mit den realen physiologischen und psychischen Auswirkungen von Marihuana hat dieser Film nichts zu tun.
Diese Form der moral panic (vgl. Stanley Cohen) bereitete den Boden für gesetzliche Maßnahmen: 1937 wurde mit dem Marijuana Tax Act faktisch ein Verbot eingeführt.
Wissenschaftliche Einwände, etwa durch medizinische Fachverbände, wurden ignoriert oder diskreditiert. Die öffentliche Meinung wurde gezielt manipuliert – und das Thema Cannabis in den USA endgültig kriminalisiert.
Soziologische Einordnung: Die Macht der Zuschreibung
Aus soziologischer Perspektive lässt sich Anslingers Rolle mit dem Konzept des Moralunternehmertums nach Howard S. Becker verstehen. Becker beschreibt, wie soziale Akteure (Politiker, Medien, religiöse Gruppen) Regeln definieren und durchsetzen, indem sie bestimmte Gruppen und Verhaltensweisen als „abweichend“ markieren.
Anslinger war ein idealtypischer MoralSystem von Werten, Normen und Überzeugungen, das angibt, was als gut oder richtig gilt. Entrepreneur: Er verfügte über politische MachtMacht bezeichnet die Fähigkeit von Personen oder Gruppen, das Verhalten anderer zu beeinflussen – auch gegen deren Willen., mediale Reichweite und ein klares Feindbild. Cannabis-Konsumierende wurden etikettiert, stigmatisiert und kriminalisiert. Die dabei erzeugte soziale Realität hatte mehr Einfluss auf Gesetzgebung und öffentliche Wahrnehmung als pharmakologische Fakten.
Becker fasst dies prägnant zusammen:
„Social groups create deviance by making the rules whose infraction constitutes deviance, and by applying those rules to particular people and labelling them as outsiders.“
– Howard S. Becker, 1963
Zwischen Jazz, Joints und Justiz
Ein häufig übersehener Aspekt der frühen Cannabis-Prohibition ist ihre kulturelle Dimension. In den 1920er- und 1930er-Jahren war Cannabis eng mit der afroamerikanischen Jazzszene verknüpft. Musiker:innen wie Cab Calloway, Louis Armstrong oder Mezz Mezzrow verwendeten Begriffe wie „muggles“ oder „viper“ – gängige Slangworte für Marihuana – ganz selbstverständlich in ihren Songs.
Viele der heute als Klassiker der Hochkultur gefeierten Jazz-Kompositionen waren damals Ausdruck einer subkulturellen Gegenwelt: Sie standen im Kontrast zur bürgerlichen Haus- und Kirchenmusik, wurden mit Sexualität, Nachtleben, AlkoholEine psychoaktive Substanz, die als Genussmittel konsumiert wird und durch ihre berauschende Wirkung bekannt ist. Chemisch handelt es sich um Ethanol (C₂H₅OH). und Drogen assoziiert – und galten vielen als anstößig. Die rassistischen Stereotype der Zeit taten ihr Übriges: Die von Schwarzen Künstlern geprägte Musik galt als verrucht, animalisch und gefährlich.
Dass der spätere Soziologe Howard S. Becker nicht nur als Begründer der Labeling-Theorie bekannt wurde, sondern selbst Jazzpianist war, ist vor diesem Hintergrund mehr als nur eine Randnotiz. Seine frühen teilnehmenden Beobachtungen in der Jazzszene – und seine Beschäftigung mit dem sozialen Gebrauch von Marihuana unter Musikern – führten direkt zu seinem späteren Klassiker Outsiders.
Der globale Export des Drogenkriegs
Die USA blieben nicht auf ihr Staatsgebiet beschränkt: In den 1960er-Jahren forcierten die Amerikaner über die Vereinten Nationen eine globale Vereinheitlichung der Drogenpolitik. Das Einheits-Übereinkommen über Suchtstoffe von 1961 listete Cannabis als besonders gefährliche Substanz. Damit wurde die US-amerikanische Verbotslogik zum internationalen Standard – auch in Europa, Asien und Lateinamerika.
Die internationalen Abkommen der Vereinten Nationen prägten Deutschlands Drogenpolitik über Jahrzehnte hinweg. Schon 1912 hatte das Deutsche Reich das Haager Opiumabkommen unterzeichnet. Mit dem Einheits-Übereinkommen über Suchtstoffe von 1961 wurde Cannabis schließlich auf globaler Ebene als gefährliche Substanz eingestuft – eine Bewertung, die Deutschland 1973 ratifizierte und in das nationale Betäubungsmittelgesetz (BtMG) übernahm.
Erst mit dem Cannabis-als-Medizin-Gesetz von 2017 kam es zu einer ersten vorsichtigen Öffnung. Der tatsächliche Kurswechsel erfolgte 2024 mit dem Konsumcannabisgesetz (KCanG), das den Besitz in begrenztem Umfang sowie den privaten Anbau legalisierte – auch als Versuch, die durch internationale Abkommen lange blockierte Reform auf nationaler Ebene voranzutreiben.
In seinem Urteil vom 9. März 1994 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass es kein Grundrecht auf den Konsum von Rauschmitteln gebe. Zugleich forderte es jedoch, dass Strafverfolgungsbehörden Verfahren wegen Besitzes geringer Mengen Cannabis zur Eigenverwendung in der Regel einstellen sollten – ein ambivalenter Schritt zwischen Repression und EntkriminalisierungDie Reduzierung oder Aufhebung strafrechtlicher Sanktionen für bestimmte Handlungen..
Fazit: Die soziale Konstruktion von Drogengefahr
Die Geschichte von Harry J. Anslinger zeigt exemplarisch, wie Drogenpolitik gemacht wird – nicht auf Basis wissenschaftlicher Evidenz, sondern durch politische Interessen, moralische Erzählungen und mediale Dramatisierungen. Cannabis wurde nicht verboten, weil es objektiv gefährlicher war als andere Substanzen – sondern weil es symbolisch aufgeladen und stigmatisiert wurde.
Begriffsklärung: Illegale vs. illegalisierte Drogen
In der soziologischen und kriminologischen Forschung ist es präziser, von illegalisierten Drogen zu sprechen – nicht von „illegalen“.
„Illegal“ impliziert eine naturgegebene Eigenschaft der Substanz; „illegalisiert“ betont dagegen den sozialen und politischen Akt, durch den bestimmte Stoffe verboten werden.
So verweist der Begriff „illegalisiert“ auf die gesellschaftliche Konstruktion von DevianzVerhalten, das in einer Gesellschaft als unangemessen, abweichend oder regelverletzend gilt – unabhängig davon, ob es strafrechtlich relevant ist. und auf Machtprozesse, die festlegen, welche Drogen als legitim oder illegitim gelten.
Ein und dieselbe Substanz kann je nach Zeit, Ort und politischer Konstellation völlig unterschiedlich bewertet werden – von heilig bis strafbar.
Ein besonders hartnäckiges Argument von Legalisierungsgegnern lautet bis heute, Cannabis sei eine „kulturfremde Droge“ – im Gegensatz zu Bier oder Wein, die als traditionell verwurzelte Genussmittel gelten. Dabei ignoriert diese Sichtweise nicht nur die jahrtausendealte medizinische und rituelle Nutzung von Cannabis in anderen Weltregionen, sondern verkennt auch, dass „KulturKultur bezeichnet die Gesamtheit gemeinsamer Bedeutungen, Symbole, Praktiken und Lebensweisen einer Gesellschaft oder Gruppe.“ keine statische Größe ist. Sie wird gemacht, verhandelt – und verändert sich.
Die Absurdität dieses Arguments wird deutlich, wenn man es auf andere Bereiche überträgt: Mit derselben Logik ließe sich auch das Verbot von Sushi oder Pizza in deutschen Innenstädten fordern – schließlich sind diese Gerichte im Gegensatz zum Schweinebraten ebenfalls „kulturfremd“. Der Hinweis auf kulturelle Herkunft dient hier weniger der inhaltlichen Auseinandersetzung als der symbolischen Grenzziehung: zwischen „wir“ und „die anderen“, zwischen legitim und illegitim.
Berauschend, aber erlaubt – ein Vergleich

Die Absurdität der Cannabis-Prohibition wird deutlich, wenn man sie mit anderen in Mitteleuropa vorkommenden Pflanzen vergleicht, die psychoaktive oder halluzinogene Wirkungen haben, aber legal wachsen:
- Fliegenpilz (Amanita muscaria) – enthält Ibotensäure und Muscimol, wirkt halluzinogen und delirant.
- Stechapfel (Datura stramonium) – stark halluzinogen, kann gefährliche Vergiftungen verursachen.
- Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) – Bestandteil antiker Hexensalben, wirkt toxisch-halluzinogen.
- Alraune (Mandragora officinarum) – mythologisch aufgeladen, enthält Atropin und Scopolamin.
- Muskatnuss – in hohen Dosen psychoaktiv (Myristicin), legaler Küchenbestandteil.
- Engelstrompete (Brugmansia) – ornamental verbreitet, enthält Scopolamin und Atropin.
Während diese Pflanzen frei in Gärten oder Wäldern wachsen, war Cannabis über Jahrzehnte kriminalisiert – obwohl seine pharmakologische Gefährdung im Vergleich als moderat gilt.
Prohibition und Rassifizierung
Prohibitionsregime sind historisch eng mit rassifizierenden Zuschreibungen verknüpft. Substanzen wurden nicht nur als gesundheitliche Gefahr markiert, sondern als kulturelle und ethnische Bedrohung kodiert – und so politisch mobilisierbar gemacht:
- Cannabis ↔ „Mexikanische Gefahr“ (USA, 1920er–1930er): In der Weltwirtschaftskrise wurde „Marihuana“ gezielt mit mexikanischen MigrantEin Migrant ist eine Person, die ihren Lebensmittelpunkt aus wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Gründen von einem Staat in einen anderen verlegt – freiwillig oder gezwungen.:innen assoziiert, die um Arbeitsplätze konkurrierten. Presse, Behörden und Filme wie Reefer Madness stilisierten Konsumierende zu „Folk Devils“ – ein klassischer Fall von moral panic. Vgl. Bonnie/Whitebread (1970); Musto (1999); Campos (2012).
- Opiate ↔ „Chinesische Gefahr“ (USA, sp. 19. Jh.–frühes 20. Jh.): Opiumraucher:innen wurden im Kontext der Anti-China-Politik kriminalisiert; Arbeitsmarkt- und Migrationskonflikte wurden über Drogenrecht ausgetragen. Vgl. Musto (1999); Courtwright (2001).
- KokainKokain ist ein stark stimulierendes Betäubungsmittel, das aus den Blättern des Kokastrauchs gewonnen wird. ↔ „Kriminalisierte ‚Andere‘“: In verschiedenen Wellen wurde Kokain mit „fremden“ Gruppen (u. a. schwarze Communities im US-Süden, später „lateinamerikanische Kartelle“) verknüpft – ein Deutungsmuster, das bis in jüngste politische Rhetorik reicht. Vgl. Provine (2007); Alexander (2010).
Diese Beispiele zeigen: Wer konsumiert (oder wem Konsum zugeschrieben wird) ist für KriminalpolitikStrategien und Maßnahmen staatlicher Institutionen zur Aufrechterhaltung sozialer Ordnung und zur Reaktion auf regelwidriges Verhalten. oft bedeutsamer als was konsumiert wird. Rassifizierende Narrative strukturieren Racial Profiling, selektive Strafverfolgung und die LegitimationProzess der Rechtfertigung und Anerkennung sozialer Ordnungen, Institutionen oder Machtverhältnisse als legitim und gerechtfertigt. repressiver Maßnahmen – unabhängig von der tatsächlichen pharmakologischen Gefährdung.
Insofern ist der „War on Drugs“ auch ein Krieg um Deutungshoheit: Wer entscheidet, was erlaubt ist? Welche Substanzen gelten als gefährlich – und warum? Und wem nützt diese Einteilung?
Diese Fragen stehen im Zentrum der nächsten Teile dieser Serie. Im dritten Beitrag werfen wir einen Blick auf die aktuelle Gesetzeslage in Deutschland, die sozialen Folgen des KCanG und die neuen Konfliktlinien rund um medizinische Versorgung, Selbstanbau, Polizeikontrollen und rechtspolitische Symbolik.
Literatur
- Alexander, M. (2010). The New Jim Crow. The New Press.
- Barop, H. (2023). Der große Rausch. Warum Drogen kriminalisiert werden. Siedler Verlag.
- Becker, H. S. (1963). Outsiders: Studies in the Sociology of Deviance. Free Press.
- Bonnie, R. J., & Whitebread, C. H. (1970). The Marihuana Tax Act of 1937. Virginia Law Review, 56(6), 971–1203.
- Campos, I. (2012). Home Grown: Marijuana and the Origins of Mexico’s War on Drugs. UNC Press.
- Cohen, S. (1972). Folk Devils and Moral Panics. MacGibbon & Kee.
- Courtwright, D. T. (2001). Forces of Habit: Drugs and the Making of the Modern World. Harvard University Press.
- Musto, D. F. (1999). The American Disease: Origins of Narcotic Control (3rd ed.). Oxford University Press.
- Provine, D. M. (2007). Unequal under Law: Race in the War on Drugs. University of Chicago Press.
- Wheeldon, J. (2022). Cannabis Criminology. Routledge.
Weiterführende Informationen
Die Podcast-Reihe Geschichten aus der Geschichte widmet ihre Folge #420 dem Aufstieg Harry Anslingers und dem Beginn des ersten War on Drugs – ein unterhaltsamer und fundierter Einstieg in die politische Karriere des Mannes, der Cannabis kriminalisierte.
Der Dokumentarfilm Grass is Greener (Netflix, 2019) beleuchtet die Geschichte von Cannabis in den USA – mit besonderem Fokus auf Rassismus, Musik und die politische Agenda hinter dem „War on Drugs“. Der Trailer gibt einen ersten Eindruck:
Vipers, Muggles & Marijuana – Cannabis im frühen Jazz
Cab Calloway
Reefer Man (1932)
Swing-Klassiker mit ironischer Darstellung eines Dauerkiffers.
Stuff Smith
If You’re a Viper (1940)
Violin-Jazz vom Feinsten – „Viper“ war Slang für Cannabis-Konsumenten.
Mezz Mezzrow
Sendin’ the Vipers (1939)
Mezzrow war nicht nur Jazzmusiker, sondern auch Cannabishändler für Louis Armstrong.
Louis Armstrong
Muggles (1928)
„Muggles“ war ein geläufiger Slangbegriff für Cannabis – Armstrong konsumierte regelmäßig.
Ella Fitzgerald
When I Get Low I Get High (1936)
Doppeldeutig und charmant – Cannabis als Mittel gegen die Sorgen des Alltags.
Barney Bigard
Sweet Marijuana Brown (1938)
Swingender Liebesbrief an „Mary Jane“ – elegant und provokant zugleich.
1️⃣ Cannabis zwischen Heilmittel, Werkstoff und Kriminalisierung
2️⃣ Harry J. Anslinger und die Erfindung des Drogenproblems
3️⃣ Das KCanG in der Praxis – Regulierung, Kontrolle, Alltag
4️⃣ Cannabis auf Rezept – Ein Selbstversuch
5️⃣ Cannabis zwischen Konsumform, Subkultur und Popkultur
Fußnoten
- 1Dieses häufig zitierte Zitat wird Harry J. Anslinger zugeschrieben, ist jedoch in offiziellen Quellen nicht eindeutig nachweisbar. Es findet sich u. a. bei Gerber (2004), Finley (2008) und Herer (1994), wurde aber nicht in offiziellen Reden oder Anhörungen dokumentiert.



