Matzas 1964 veröffentlichtes Werk Delinquency and Drift ist eine Kritik an der positiven Kriminologie (z.B. Lombrosos anthropologische/ anthropogenetische Kriminalitätstheorie) wie auch an den seinerzeit prominenten Erklärungsansätzen zur Jugendkriminalität (Theorie der differentiellen Gelegenheiten von Cloward & Ohlin und Subkulturtheorie nach Cohen). Im Mittelpunkt der Kritik steht der den Theorieansätzen eigene Verhaltensdetermismus. Stattdessen plädiert Matza für eine naturalistische Auffassung von Delinquenz, die an Vertreter des Symbolischen Interaktionismus‘ (Blumer, Mead) oder auch Max Webers Konzept von soziologisches Verstehen angelehnt ist. Das Driften oder die Hinwendung zu und Abwendung von delinquenten Verhaltensweisen ist hiernach eine bewusste Entscheidung des handelnden Akteurs.
Matzas Ausführungen gelten als Grundlagen/ Vorgänger der Kritischen Kriminologie (siehe hierzu ausführlich: Instanzenforschung/ Kritische Kriminologie).
Hauptvertreter
Theorie
Mit seinem 1964 veröffentlichten Buch Delinquency and Drift knüpft Matza an den wenige Jahre zuvor erschienenen Aufsatz Techniques of Neutralization: A Theory of Delinquency (1957) an [siehe: Neutralisierungsthese (Sykes und Matza)] und erneuert seine Kritik an den seinerzeit populären Erklärungsansätzen für Kriminalität. Insbesondere stellt sich Matza der Annahme der Subkulturtheorie nach Cohen entgehen, nach der subkulturell geprägte Normen und Werte übernommen werden und konventionelle Wertevorstellungen damit gleichsam „überschrieben“ würden. Dies käme einem Verhaltensdeterminismus gleich: ein abweichendes Verhalten der Mitglieder der Subkultur wäre zwangsläufig, da diese nicht (oder: nicht mehr) über konventionelle Normen- und Werte-Vorstellungen verfügen.
Dem stellt Matza entgegen, dass
- Delinquente manchmal Schuldgefühle oder Reue hinsichtlich ihres Verhaltens zeigen. Dies wäre kaum der Fall, wenn die Personen ausschließlich über deviante Wertvorstellungen verfügten.
- Delinquente sich rechtmäßige Bürgern gegenüber respektvoll erweisen. So können sie durchaus Prominente, Sportler, Geistliche, Lehrer, Familienangehörige oder Nachbarn respektieren oder gar bewundern, obgleich diese für andere gesellschaftliche Wertvorstellungen einstehen.
- die Wahl der Opfer delinquenter Handlungen nicht beliebig ist. Die eigenen Gruppenmitglieder sind ebenso tabu wie Mitglieder der eigenen Ethnie, der Kirchengemeinde, der eigenen Schule oder Nachbarschaft. Dies deutet darauf hin, dass sich die Täter bewusst sind, dass das, was sie tun, falsch ist.
- viele Delinquente oft in ihre Gemeinschaft eingebunden sind und dieselben sozialen Funktionen wahrnehmen wie gesetzestreue Bürger. So können Ladendiebe oder Drogendealer durchaus regelmäßig Kirchgänger sein.
Der Delinquente sieht sich einem moralischen Dilemma ausgesetzt. Einerseits weiß er um die Geltung der konventionellen gesellschaftlichen Normen und Werte, anderseits ist er den freizügigen Verlockungen der devianten Subkultur erlegen. Matza vertritt die Ansicht, dass Delinquente (ebenso wie alle anderen Gesellschaftsmitglieder) sich den moralischen Verpflichtungen des Gesetzes unterworfen sehen. Erst wenn die Bindung an Gesetze als schwach empfunden werden und sich eine Gelegenheit für deviantes Verhalten ergibt, driftet der Mensch in delinquente Verhaltensweisen ab. Das hierauf folgende Schuldbewusstsein und schlechte Gewissen wird durch eine Rückkehr zu normkonformem Verhalten kompensiert.
Bei Drift handelt es sich um einen „weichen Determinismus“, d.h., Delinquenz kann teils selbst gewählt und teils determiniert sein. Der Akteur kann eine Gelegenheit ergreifen und sich bewusst für eine Wiederholung normabweichenden Verhaltens entscheiden, wenn er die Durchführung für realisierbar und lohnenswert hält oder aber eine Tat wird durch Verzweiflung über außergewöhnliche, nicht zu beeinflussende Lebensumstände beflügelt.
Einem „Abdriften“ in deviantes Veralten liegt stets eine empfundenen Unrecht zugrunde. Matza nennt hier fünf Umstände, die ursächlich für ein Ungerechtigkeitsempfinden sein können:
- Cognizance (Kenntnis) beschreibt inwiefern der (jugendliche) Delinquent sein begangenes Unrecht als solches begreift
- Consistency (Gleichförmigkeit) beschreibt, ob der (jugendliche) Delinquent sich in gleicher Weise behandelt fühlt, wie andere Täter
- Competence (Kompetenz) bezogen auf diejenigen, die über das Verhalten der Delinquenten urteilen
- Commensurability (Verhältnismäßigkeit) beschreibt, ob (überhaupt eine) die Strafe als angemessen empfunden wird
- Comparison (Vergleichbarkeit) bezieht sich auf gesetzliche Regelungen, die auf jugendliche Straftäter abzielen und aus Sicht der Jugendlichen sich als ungerecht darstellen