[lt. Fritz Sack ist der Begriff „Labelling“ unnötig eng gefasst. Er schlägt daher die Bezeichnung marxistisch-interaktionistisch vor.]
Laut Fritz Sack ist Kriminalität ein reiner Zuschreibungsprozess. In diesem Zuschreibungsprozess wird ein physikalisches Geschehen mit einem mentalen Zustand verknüpft. Dieses physikalische Geschehen durchläuft damit eine soziale Karriere.
Dieser Zuschreibungsprozess ist die einzige Ursache, dass abweichendes Verhalten überhaupt als solches gesehen wird. Damit wird Zuschreibung zur einzigen Ursache von Kriminalität erklärt.
Bedeutend ist für Sack zudem der Machtaspekt, welcher über das Etikettieren bestimmter Handlungen entscheidet. Er beschreibt seinen Ansatz daher als “marxistisch”.
Hauptvertreter
Theorie
Sack geht davon aus, dass Kriminalität komplett durch Zuschreibungen erklärt werden kann. Sein Ausgangspunkt ist eine Ubiquitätsthese, nach der Kriminalität eine “normale” Erscheinung ist, welche in allen Gesellschaftsschichten vorkommt (siehe hierzu auch: Durkheim). Damit grenzt sich die Idee des radikalen Labelingansatzes von den Ausführungen von Howard S. Becker („Outsiders“) und Edwin M. Lemert ab. Sowohl Becker als auch Lemert unterstellen, dass es neben Zuschreibungsprozessen eine objektive Tatsachenebene gäbe (bei Becker als „Normbruch“ bezeichnet und bei Lemert als „primäre Devianz“).
Welche menschlichen Verhaltensweisen als kriminell gelten, sei reine Definitionssache, so Sack. Jedes Verhalten ist erst einmal ein physikalisches Geschehen, welches seine eigene Definition nicht mitliefert. Zum Verbrechen wir ein solches physikalische Geschehen, indem es eine soziale Karriere durchläuft.
Die Etikettierung von bestimmten Verhaltensweisen verläuft dabei stark selektiv. Die Unterschichten werden kriminalisiert, während die Herrschenden dieses Label nicht erhalten. Das Gesetzt wird somit zum Instrument der Unterdrückung und es herrscht eine “Klassenjustiz”.
Diese Erkenntnisse bedeuten für Sack, dass die Fragestellungen der positivistischen Schule (z.B. Warum wird jemand kriminell?) komplett ungültig werden.
Kritische Würdigung
Der Paradigmenwechsel, welchen Sack mit seinem Ansatz ausrief, ist in seinem Einfluss auf die deutsche Kriminologie kaum zu überschätzen.
Hierbei ist zu beachten, dass Sacks Theorie in den 1960ern auf massiven Widerstand traf. Die schriftliche Auseinandersetzung mit seinen Kritikern verrät, dass im Rahmen der Auseinandersetzung eine Radikalisierung anzunehmen ist. So wird in Sacks Schriften deutlich, dass die Diskussion um die verschiedenen Paradigmen auf einer durchaus emotionalen Ebene geführt wird. So wirft Sack seinen Kritikern zum Beispiel vor, es würden „…rational nicht ausweisbare Argumente geltend gemacht, die alltäglichen Spruchweisheiten und Allerweltsformel näher kommen als wissenschaftlichem Räsonieren.“ (Sack, 1972: 4).
Sacks These, dass Zuschreibung die einzige Ursache von Kriminalität sei, ist aus heutiger Sicht sicherlich zu relativieren. Die Radikalität seines Ansatzes ist der Punkt, auf den sich die meisten Angriffe auf diese Theorie beziehen. So wird Sack vorgeworfen, er verkehre die Rollen und mache die Täter zu Opfern, die selber überhaupt keine Rolle mehr als aktiv Handelnde haben.
Literatur
Primärliteratur
- Fritz Sack, René König (Hrg.): Kriminalsoziologie, 1. Auflage, 1968,Frankfurt a.M.: Akad-Verl.-Ges.
- Fritz Sack: Zu einem Forschungsprogramm für die Kriminologie, Kriminologisches Journal 4/1973: 251.
- Fritz Sack : Definition von Kriminalität als politisches Handeln: Der labeling approach, in: Kriminologisches Journal, Jg. 4 (1972), H. 1, S. 3-31.