Behind the Gates ist ein ethnografisches Schlüsselwerk der kritischen Sicherheits- und Stadtforschung. Die US-amerikanische Anthropologin Setha M. Low untersucht darin die sozialen, politischen und kulturellen Dynamiken sogenannter Gated Communities – abgeschlossener Wohnanlagen mit Zugangsbeschränkung. Auf Basis zahlreicher Feldstudien im Großraum New York analysiert Low, wie Angst vor Kriminalität, soziale Abgrenzung und neoliberale Sicherheitslogiken zu neuen Formen urbaner Segregation und Exklusion führen.
Hintergrund und Kontext
Das Buch erschien im Jahr 2003, vor dem Hintergrund wachsender Sicherheitsdebatten in den USA nach 9/11. Doch bereits zuvor war ein Boom sogenannter gated communities zu beobachten – insbesondere in wohlhabenden Suburbs, die sich zunehmend gegen die als „unsicher“ stigmatisierten Städte abschotteten. Low verknüpft diese Entwicklung mit globalen Urbanisierungstrends, neoliberalem Regierungsstil und einem expandierenden „Sicherheitsmarkt“.
Cheat Sheet: Behind the Gates
Autorin: Setha M. Low
Erstveröffentlichung: 2003
Land: USA
Zentrale Themen: Gated Communities, Sicherheit, Segregation, Neoliberalismus, Raumsoziologie
Methode: Ethnografie, teilnehmende Beobachtung, Interviews
Inhalt: Auf Basis ethnografischer Feldforschung untersucht Low, wie Angst vor Kriminalität, soziale Ausgrenzung und ökonomische Interessen zur räumlichen Abgrenzung und Privatisierung urbaner Lebensräume führen. Gated Communities dienen dabei als Beispiel für eine tiefgreifende Umgestaltung städtischer Räume im Zeichen neoliberaler Sicherheitslogik.
Verwandte Theorien: Cultural Criminology, Critical Security Studies, Urban Sociology
Forschungsperspektive und Methode
Low arbeitet ethnografisch und kombiniert teilnehmende Beobachtungen, Interviews und räumliche Analysen. Ihre Forschung folgt der Tradition der kritischen Urban Anthropology und ist interdisziplinär anschlussfähig – an Kriminologie, Soziologie, Geographie und Cultural Studies. Im Zentrum steht die Frage, wie sich Sicherheitsbedürfnisse räumlich manifestieren und zugleich soziale Spaltungen reproduzieren.
Zentrale Thesen
Ein zentrales Anliegen von Setha Low ist die Entzauberung von „Sicherheit“ als objektive Notwendigkeit. Sie zeigt, dass die Angst vor Kriminalität häufig nicht auf realen Gefährdungslagen basiert, sondern auf subjektiven Wahrnehmungen, die durch mediale Darstellungen, politische Rhetorik und gesellschaftliche Verunsicherungen verstärkt werden. Sicherheit wird damit zu einer sozialen Konstruktion – zu einer „gefühlten Sicherheit“, die reale Exklusionsmechanismen legitimiert und zugleich soziale Distinktionen verschleiert. Eine vergleichbare Perspektive bietet Lucia Zedner in ihrer Analyse des Sicherheitsbegriffs als ambivalentes gesellschaftliches Leitmotiv.
Zwischen dem Ausbau sichtbarer Sicherheitsmaßnahmen – etwa Videoüberwachung, Zugangskontrollen oder privatem Wachpersonal – und dem tatsächlichen Sicherheitsgefühl der Bevölkerung besteht kein linearer Zusammenhang. Studien zeigen, dass solche Maßnahmen zwar ein Gefühl der Kontrolle vermitteln können, jedoch ebenso das Gefühl verstärken, in einem gefährlichen Umfeld zu leben. Sichtbare Überwachung kann somit auch Unsicherheit erzeugen, anstatt sie zu verringern (vgl. Ditton & Farrall, 2000; Goold, 2004).Dieser paradox wirkende Effekt wird in der kriminologischen Forschung unter anderem im Zusammenhang mit Kriminalitätsfurcht diskutiert. Auch in der Debatte um Videoüberwachung wird deutlich, dass Gefahrenabwehr.">Überwachungstechnologien ambivalent wirken: Sie dienen der Prävention, können aber auch zur Symbolik permanenter Bedrohung beitragen. Setha Low zeigt exemplarisch, wie sich dieses Spannungsverhältnis in Gated Communities manifestiert – als Gefühl relativer Sicherheit im Inneren, das jedoch auf der Konstruktion eines bedrohlichen Außen basiert.
Diese Konstruktion von Sicherheit manifestiert sich räumlich in Form von Mauern, Schranken, Sicherheitspersonal und Videoüberwachung – einer neuen „Architektur der Angst“, die zunehmend das Stadtbild prägt. Gated Communities fungieren dabei nicht nur als physische Barrieren, sondern produzieren symbolische Grenzen zwischen „drinnen“ und „draußen“. Diese Grenzziehungen orientieren sich häufig an klassistischen, rassifizierten und statusbezogenen Unterscheidungen. Die Frage, wer dazugehört, wird damit weniger juristisch als kulturell und ökonomisch beantwortet. Parallelen finden sich etwa bei Erving Goffmans Analyse sozialer Zuschreibung und gesellschaftliche Fixierung negativer Merkmale an Einzelpersonen oder Gruppen, die zu sozialer Abwertung und Ausschluss führen.">Stigmatisierung und bei W. E. B. Du Bois, der bereits 1899 auf die räumliche Segregation Schwarzer Communities in Philadelphia hinwies.
Mit dieser Grenzziehung geht eine fortschreitende Privatisierung des Öffentlichen einher. Traditionell öffentlich zugängliche Räume wie Straßen, Plätze oder Parks werden zunehmend durch Eigentümergemeinschaften reguliert, durch Zugangsbeschränkungen gesichert und durch private Sicherheitsdienste kontrolliert. Sicherheit wird zur käuflichen Dienstleistung, Teilhabe zur Frage ökonomischer Ressourcen. In ähnlicher Weise zeigt Stephen Graham in seinem Werk Cities Under Siege, wie militärische und sicherheitstechnologische Logiken den urbanen Alltag durchdringen – ein Trend, den auch die Cultural Criminology mit Blick auf städtische Raumaneignung kritisch hinterfragt.
Setha Low verortet diese Entwicklungen schließlich im Kontext einer neoliberalen Stadtpolitik, in der sich der Staat aus seiner sozialen Verantwortung zurückzieht und die Organisation von Sicherheit dem Markt und dem Individuum überlässt. Wer sich sicher fühlen will, soll zahlen – oder sich durch Rückzug schützen. Dieses Prinzip folgt der von David Garland beschriebenen responsibilization strategy: Der Einzelne wird zur Hauptverantwortlichen Instanz für die eigene Sicherheit erklärt. Ähnlich argumentieren Loïc Wacquant und Bernard E. Harcourt, die den Zusammenhang zwischen sozialer Unsicherheit, Strafverschärfung und Marktideologie in westlichen Gesellschaften kritisch beleuchten.
Kritik und Rezeption
Lows ethnografischer Zugang wurde vielfach gelobt, insbesondere wegen der dichten Beschreibungen und der klaren politischen Analyse. Kritisch angemerkt wurde mitunter, dass die Studie primär auf US-amerikanische Verhältnisse bezogen bleibt. Dennoch hat Behind the Gates internationale Debatten um Stadt, Sicherheit und Exklusion stark beeinflusst.
Auch wenn Gated Communities in Deutschland selten sind, zeigen sich ähnliche Dynamiken: Wohnanlagen mit beschränktem Zugang, Sicherheitspersonal oder exklusiven Services werden unter Labels wie „Premium-Wohnen“ oder „Quartier Plus“ vermarktet. Die Tendenz zur räumlichen Abgrenzung auf Basis ökonomischer Kriterien lässt sich auch hier beobachten – wenn auch subtiler und rechtlich stärker reglementiert als im US-amerikanischen Kontext.
Gated Communities sind abgegrenzte, oft durch Mauern, Zäune und Sicherheitspersonal gesicherte Wohnanlagen mit kontrolliertem Zugang. Ursprünglich entstanden sie Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA, gewannen jedoch vor allem ab den 1980er-Jahren an Bedeutung – insbesondere im Kontext wachsender Sicherheitsbedürfnisse und urbaner Segregation.
Die weite Verbreitung solcher Anlagen wurde unter anderem durch Immobilienentwicklungen großer Konzerne wie Disney vorangetrieben, etwa mit dem Modellprojekt Celebration in Florida – einer privaten Stadtplanung im Stil einer idealisierten amerikanischen Kleinstadt.
Heute finden sich Gated Communities weltweit: In den USA, Lateinamerika (v. a. Brasilien, Mexiko, Argentinien), Südafrika, Indien, Russland, China und zunehmend auch in Südeuropa. Ihre Ausgestaltung variiert stark: von luxuriösen Wohnanlagen mit Golfplätzen und Clubhäusern bis hin zu mittleren Sicherheitswohnprojekten mit elektronischem Zugang. In einigen Regionen (z. B. Lateinamerika) finden sich auch selbstorganisierte, gesicherte Siedlungen in einkommensschwachen Quartieren – diese gelten jedoch nicht als Gated Communities im klassischen Sinn.
In Deutschland sind Gated Communities bislang selten. Das hat rechtliche, städtebauliche und kulturelle Gründe: Der Zugang zu Wohngebieten darf nicht beliebig eingeschränkt werden; zudem gilt die rechtliche Trennung von öffentlichem und privatem Raum als restriktiver. Dennoch finden sich ähnliche Tendenzen unter anderen Begriffen – etwa Premium-Wohnanlagen, exklusive Quartiere oder Sicherheitswohnen.
Fazit
Behind the Gates ist ein Schlüsselwerk für das Verständnis neuer Formen urbaner Kontrolle. Es zeigt eindrucksvoll, wie sich neoliberale Sicherheitsdiskurse in konkrete Lebenswelten und Architekturen einschreiben – mit tiefgreifenden Folgen für soziale Gerechtigkeit, urbane Teilhabe und das Verhältnis von Staat, Markt und Individuum.
Literatur
- Low, Setha M. (2003): Behind the Gates: Life, Security, and the Pursuit of Happiness in Fortress America. New York: Routledge.
- Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Frankfurt: Suhrkamp.
- Garland, David (2001): The Culture of Control. Chicago: University of Chicago Press.
- Fassin, Didier (2013): Enforcing Order. Cambridge: Polity.
- Ditton, J. / Farrall, S. (2000): The Fear of Crime. In: British Journal of Criminology, 40(3), 681–698.
- Goold, B. J. (2004): CCTV and Policing. Oxford: Oxford University Press.