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Heinrich Popitz – Über die Präventivwirkung des Nichtwissens. Dunkelziffer, Norm und Strafe (1986)

8. Juni 2025 | zuletzt aktualisiert am 8. Juni 2025 von Christian Wickert

Über die Präventivwirkung des Nichtwissens. Dunkelziffer, Norm und Strafe ist ein einflussreicher Aufsatz des deutschen Soziologen Heinrich Popitz, der 1986 im gleichnamigen Sammelband erschien. Der Text basiert auf einem Vortrag und thematisiert, welche Funktion Unsicherheit, Unwissenheit und Undurchschaubarkeit für das soziale Ordnungsgefüge haben – insbesondere für die Wirksamkeit von Normen und Sanktionen.

Inhaltsverzeichnis

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  • Gedankenexperiment: Was wäre, wenn alle Straftaten entdeckt würden?
  • Merkzettel
    • Über die Präventivwirkung des Nichtwissens – Heinrich Popitz
  • Funktion des Nichtwissens
  • Relevanz für Kriminologie und Sozialtheorie
  • Fazit
  • Literaturverzeichnis

Gedankenexperiment: Was wäre, wenn alle Straftaten entdeckt würden?

Popitz greift zur Veranschaulichung auf die Glosse „On Being Found Out“ des englischen Schriftstellers William Makepeace Thackeray zurück, die das Szenario einer vollständig transparenten Gesellschaft entwirft. In dieser fiktiven Welt wird jedes abweichende Verhalten aufgedeckt und unmittelbar bestraft – unabhängig von Rang oder moralischer Autorität. Selbst Bischöfe, Offiziere und Familienväter entkommen der Sanktion nicht. Die Satire endet mit dem resignativen Fazit: „Wie froh bin ich, daß wir nicht alle entdeckt werden.“

Stellen Sie sich einmal vor, dass jeder, der ein Unrecht begeht, entdeckt und entsprechend bestraft wird. Denken Sie an all die Buben in allen Schulen, die verbleut werden müßten; und dann die Lehrer und dann den Rektor.… Stellen Sie sich den Oberbefehlshaber vor, in Ketten gelegt, nachdem er vorher die Abstrafung der gesamten Armee überwacht hat. Kaum hätte der Geistliche sein „peccavi“ gerufen, würden wir den Bischof ergreifen und ihm einige Dutzend verabreichen. (Ich sehe meinen Lord Bishof von Double-Gloucester in einer höchst unbequemen Positur auf seinem höchstehrwürdigen Sessel sitzen.) Nachdem der Bischof dran war, wie wäre es mit dem Würdenträger, der ihn ernannt hat… Die Prügelei ist zu schrecklich. Die Hand erlahmt, entsetzt über die vielen Rohren, die sie schneiden und schwingen muß. Wie froh bin ich, daß wir nicht alle entdeckt werden, ich wiederhole es, – und meine lieben Brüder, ich protestiere dagegen, daß wir bekommen, was wir verdienen…

… Was für eine wundervolle, eine schöne Fürsorge der Natur, daß das weibliche Geschlecht meist nicht geschmückt ist mit der Begabung, uns zu entlarven. … Möchten Sie, dass ihre Frau und ihre Kinder Sie so kennen, wie Sie sind, und Sie präzis nach ihrem Wert würdigen? Wenn ja – mein lieber Freund: Sie werden in einem tristen Hause wohnen, und frostig wird Ihr trautes Heim sein.… Du bildest dir doch nicht ein, dass Du so bist, wie Du ihnen erscheinst. Nicht doch, mein Guter! Gib diese monströse Einbildung auf und sei dankbar, daß sie nicht Bescheid wissen.
(Thackeray, 1869 zitiert nach Popitz, 1968, S. 4f.)

Dieses Gedankenexperiment führt Popitz zur zentralen These: Nicht das Wissen, sondern das Nichtwissen über abweichendes Verhalten bildet die Grundlage funktionierender Normdurchsetzung. Eine vollständige Überwachung, so die Argumentation, würde die Legitimität und Funktionsfähigkeit des Strafsystems untergraben, weil niemand der Sanktion entkäme – und damit die normative Ordnung selbst erschüttert würde.

Beispiel: Geringe Reichweite und Durchsetzung sozialer Normen
Nicht alle sozialen oder rechtlichen Normen entfalten eine starke gesellschaftliche Wirkung. Ein Beispiel sind alltägliche Geschwindigkeitsüberschreitungen im Straßenverkehr: Obwohl sie eindeutig verboten und potenziell gefährlich sind, werden sie häufig begangen – oft ohne soziale Sanktionierung oder persönliche Reue. Ähnlich verhält es sich bei Steuerhinterziehung im kleinen Umfang, dem Konsum illegaler Drogen (z. B. Drogen weltweit.">Cannabis vor der Legalisierung) oder Beleidigungen in digitalen Räumen. Diese Beispiele zeigen, dass Normen zwar existieren, ihre gesellschaftliche Geltung jedoch stark von Kontrolle, Sanktionierbarkeit und öffentlicher Wahrnehmung abhängt.

Merkzettel

Über die Präventivwirkung des Nichtwissens – Heinrich Popitz

Hauptvertreter: Heinrich Popitz
Erstveröffentlichung: 1986 (in: Phänomene der Macht)
Land: Deutschland
Idee/Annahme: Soziale Ordnung basiert nicht auf vollständiger Kontrolle, sondern auf strukturellem Nichtwissen. Das Dunkelfeld wirkt nicht als Mangel, sondern als stabilisierendes Moment normativer Systeme.
Zentrale Begriffe: Dunkelziffer, Normgeltung, Nichtwissen, Prävention, Unsichtbarkeit sozialer Abweichung
Verwandte Theorien: Normen und Werte, Kriminalstatistik & Dunkelfeld, Predictive Policing, Surveillance Studies, Kontrolltheorien

Funktion des Nichtwissens

Popitz entwickelt hier eine soziologische Theorie der „Nicht-Allwissenheit“: Gerade weil wir nicht alles wissen – etwa über die tatsächliche Kriminalitätsbelastung (Dunkelziffer) oder das abweichende Verhalten anderer –, bleiben Normen wirksam. Unwissen schützt nicht nur den Einzelnen vor Strafe, sondern bewahrt auch das Vertrauen in die Ordnung. Denn wenn alle wüssten, wie weit verbreitet Normbrüche tatsächlich sind, drohten Zynismus, normative Erosion und ein Legitimationsverlust des Rechts.

Diese Perspektive steht im Kontrast zu kriminalpolitischen Tendenzen, die auf vollständige Transparenz und maximale Kontrolle setzen – etwa im Kontext von Predictive Policing oder umfassender Videoüberwachung. Popitz plädiert implizit für eine epistemische Zurückhaltung: Der Staat muss nicht alles wissen, um wirksam zu sein – im Gegenteil, ein gewisses Maß an Unsichtbarkeit sichert die Handlungsfähigkeit des normativen Systems.

Relevanz für Kriminologie und Sozialtheorie

Der Text Die Präventivwirkung des Nichtwissens ist nicht nur eine ironisch zugespitzte Reflexion über Strafrecht und Überwachung, sondern auch ein grundlegender Beitrag zur Soziologie sozialer Ordnung. Er zeigt, dass Normgeltung nicht allein durch Durchsetzung entsteht, sondern durch soziale Erwartung, Unsicherheit und gegenseitige Zuschreibung. Normen entfalten ihre Wirkung nicht erst im Moment der Sanktion, sondern in der Möglichkeit ihrer Durchsetzung – und genau diese Möglichkeit bleibt immer ungewiss.

Popitz verweist darauf, dass es historisch-organisatorische und technische Schranken gegen eine vollständige Erfassung menschlichen Verhaltens gibt. Bürokratische Filter, hierarchische Kommunikationswege, begrenzte Informationskapazitäten und kulturelle Hemmnisse wirken als Barrieren gegen totale Transparenz. Diese Unvollkommenheit war bislang konstitutiv für eine freiheitlich organisierte Gesellschaft – sie ermöglichte Räume des Vertrauens, der Diskretion und des sozialen Spiels.

Doch mit der digitalen Transformation geraten diese Schranken unter Druck: Edward Snowdens Enthüllungen zur Massenüberwachung, die Ausweitung algorithmischer Kontrollsysteme (etwa im Predictive Policing) oder KI-gestützte Risikobewertungen zeigen, dass technische Mittel zur nahezu vollständigen Verhaltensinformation heute existieren – und zum Teil auch eingesetzt werden. Popitz’ Analyse erhält damit eine neue Dringlichkeit: Die Frage ist nicht mehr, ob totaler Zugriff technisch möglich ist, sondern ob und wie Gesellschaften solche Möglichkeiten begrenzen wollen.

Ein weiterer Bezug ergibt sich zur statistischen Erfassung von Kriminalität: Popitz erinnert daran, dass das Hellfeld nur einen Ausschnitt darstellt – und dass das Dunkelfeld nicht allein als Defizit, sondern als konstitutives Element des Rechts betrachtet werden kann. Gerade in einer Zeit, in der das „Nichtwissen“ zunehmend als Schwäche gedeutet wird, plädiert Popitz für eine andere Sichtweise: als Voraussetzung für Vertrauen, soziale Autonomie und funktionale Ambiguität.

Fazit

Heinrich Popitz’ Aufsatz ist ein pointiertes Plädoyer für die Bedeutung von Nichtwissen im sozialen Miteinander. Er verdeutlicht, dass vollständige Transparenz keine Lösung für soziale Probleme ist, sondern selbst zum Problem werden kann. Die scheinbar paradoxe Idee, dass ein „Zuwenig“ an Information stabilisierend wirkt, ist bis heute von großer theoretischer und praktischer Bedeutung – insbesondere im Kontext digitaler Kontrollgesellschaften.

Während Popitz in den 1960er-Jahren noch auf die strukturelle Imperfektion von Informationssystemen verwies, stellt sich heute die Frage, ob diese Imperfektion nicht längst einer politischen Entscheidung weichen muss: Wollen wir alles wissen – oder halten wir an der sozialen Funktion des Nichtwissens fest? In der gegenwärtigen Debatte um umfassende Sicherheitsgesetze, etwa zur Chatkontrolle oder KI-gestützten Gesichtserkennung, stellt sich Popitz’ Argument in neuer Dringlichkeit: Wie viel Wissen ist legitim – und wo beginnt die Gefährdung sozialer Autonomie? Seine Antwort ist klar: Nicht die Allwissenheit schützt die Ordnung, sondern das Vertrauen in deren notwendige Grenzen.

Literaturverzeichnis

  • Popitz, H. (1986). Über die Präventivwirkung des Nichtwissens. Dunkelziffer, Norm und Strafe. In: ders., Phänomene der Macht (S. 93–111). Tübingen: Mohr Siebeck.
  • Thackeray, W. M. (1869). On Being Found Out. In: The Roundabout Papers. London: Smith, Elder & Co.

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Kategorie: Kriminologie Tags: algorithmische Kontrolle, Datenschutz, digitale Kontrollgesellschaft, Dunkelfeld, Edward Snowden, Heinrich Popitz, Kontrolle, Kriminalitätstheorien, Kriminalpolitik, Kriminalsoziologie, Michel Foucault, Nichtwissen, Normgeltung, Präventivwirkung des Nichtwissens, soziale Normen, soziale Ordnung, Strafrecht, Strafsoziologie, Totalüberwachung, Transparenz, Überwachung

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Lektionen

  • The Social Organization of Juvenile Justice (1968)
    Aaron Cicourel
  • Folk Devils and Moral Panics (1972)
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  • Visions of Social Control (1985)
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  • Being Mentally Ill: A Sociological Theory (1966)
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