Thinking About Crime, veröffentlicht im Jahr 2004 vom amerikanischen Kriminologen Michael Tonry, ist eine fundierte und zugleich scharfe Kritik an der punitiven KriminalpolitikStrategien und Maßnahmen staatlicher Institutionen zur Aufrechterhaltung sozialer Ordnung und zur Reaktion auf regelwidriges Verhalten. der Vereinigten Staaten. Aufbauend auf jahrzehntelanger Forschung und kriminalpolitischer Beratung entlarvt Tonry die ideologischen Grundlagen der „Tough-on-Crime“-Strategie und plädiert für eine rationale, evidenzbasierte und gerechte Strafrechtspolitik. Das Werk ist sowohl eine politische Intervention als auch eine theoretische Reflexion über das Verhältnis von Politik, öffentlicher Meinung und Kriminalitätskontrolle.
Merkzettel
Thinking About Crime von Michael Tonry
Autor: Michael Tonry (geb. 1945)
Erstveröffentlichung: 2004
Land: USA
Zentrale Idee: Tonry kritisiert die Entwicklung hin zu einer harten Kriminalpolitik in den USA und fordert eine gerechtere, verhältnismäßigere und empirisch fundierte Strafrechtspolitik.
Grundlegend für: Debatten über Strafzumessung, Masseninhaftierung und politische Rhetorik im Bereich der KriminalitätKriminalität bezeichnet gesellschaftlich normierte Handlungen, die gegen das Strafgesetz verstoßen.. Verwandt mit den Arbeiten von David Garland und Jonathan Simon zur spätmodernen Strafrechtsentwicklung.
Zentrale Argumente
1. Das Scheitern der „Tough-on-Crime“-Strategie
Tonry argumentiert, dass die dominante Strafverschärfung in den USA – etwa in Form von Mindeststrafen, „Three Strikes“-Gesetzen und dem War on Drugs – massive soziale Schäden verursacht hat, ohne die Kriminalität nennenswert oder kosteneffizient zu senken. Besonders betroffen sind benachteiligte Bevölkerungsgruppen, insbesondere Afroamerikaner:innen und einkommensarme Personen.
2. Politik und Populismus statt Evidenz
Ein zentrales Thema in Thinking About Crime ist die Kluft zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und politischer Praxis. Tonry zeigt, wie Politiker:innen in den USA eher auf symbolische Maßnahmen und populistische Stimmungsmache setzen als auf empirisch belegte Strategien. Kriminologische Forschung bleibt dabei oft unbeachtet.
3. Ungerechtigkeit und Unverhältnismäßigkeit
Tonry kritisiert, dass sich das Strafrecht zunehmend von seinen grundlegenden Prinzipien entfernt: Fairness, Verhältnismäßigkeit und RechtsstaatlichkeitRechtsstaatlichkeit bezeichnet das Prinzip, dass staatliches Handeln an Recht und Gesetz gebunden ist und die Grundrechte der Bürger schützt.. Die politische Instrumentalisierung des Strafrechts führt zu einer Entwertung moralischer und juristischer Maßstäbe, was letztlich das Vertrauen in die Institutionen untergräbt.
4. Kriminalität im sozialen Kontext
Tonry betont, dass Kriminalität nicht isoliert vom sozialen Kontext verstanden werden kann. Ursachen wie soziale Ungleichheit, RassismusRassismus bezeichnet die Diskriminierung, Abwertung oder Benachteiligung von Menschen aufgrund zugeschriebener „rassischer“ oder ethnischer Merkmale., mangelnde Bildung und Arbeitslosigkeit müssen in der Kriminalpolitik berücksichtigt werden. Repression allein kann diese strukturellen Probleme nicht lösen.
Theoretische Einordnung
Tonrys Ansatz ist empirisch-realistisch, aber zugleich normativ grundiert. Obwohl er keine eigenständige soziologische Theorie formuliert, beeinflusst sein Werk zentrale Debatten in der kritischen KriminologieKriminologie ist die interdisziplinäre Wissenschaft über Ursachen, Erscheinungsformen und gesellschaftliche Reaktionen auf normabweichendes Verhalten. Sie untersucht insbesondere Prozesse sozialer Kontrolle, rechtliche Rahmenbedingungen sowie individuelle und strukturelle Einflussfaktoren. und Strafrechtsreform. Er fordert eine Rückbesinnung auf ethische Grundprinzipien der Gerechtigkeit, Verhältnismäßigkeit und Menschenwürde in der Kriminalpolitik.
Verbindungen zu anderen Theorien und Werken
- Kritische KriminologieTheoretischer Ansatz der Kriminologie, der Kriminalität als Ausdruck sozialer Ungleichheit und Machtverhältnisse interpretiert.: Tonrys Kritik an der Masseninhaftierung steht in enger Verbindung zu Nils Christie und Angela Y. Davis, die ebenfalls eine Abkehr von der repressiven Strafpolitik fordern.
- Governing Through Crime: Die Parallelen zu Jonathan Simons Konzept des „governing through crime“ sind offensichtlich: Beide analysieren die politische Nutzung von Kriminalität zur sozialen Steuerung.
- The Culture of Control: Wie David Garland legt auch Tonry den Fokus auf die kulturellen und politischen Dynamiken, die trotz mangelnder Effektivität zu einer Verschärfung des Strafrechts führen.
Literatur
- Tonry, M. (2004). Thinking About Crime. New York: Oxford University Press.
- Garland, D. (2001). The Culture of Control: Crime and Social Order in Contemporary Society. Oxford: Oxford University Press.
- Simon, J. (2007). Governing Through Crime. New York: Oxford University Press.
- Christie, N. (1993). Crime Control as Industry. London: Routledge.
- Davis, A. Y. (2003). Are Prisons Obsolete? New York: Seven Stories Press.